Ägyptens Christen erstmals repräsentativ im Parlament vertreten
Medhat Klada, wie ist die Lage der Kopten in Ägypten?
Medhat Klada: Die Lage der Christen ist viel ruhiger geworden. Präsident al-Sisi behandelt alle gleich, die laufenden Wahlen sind frei. Noch aber leiden manche Kopten unter dem Blasphemie-Gesetz. Dieses brachte viele Christen unschuldig ins Gefängnis. Wir leiden unter diesem Gesetz.
In den meisten Ländern war der Arabische Frühling letztlich kein Erfolg. Ist er in Ägypten unter der neuen Führung zu einem geworden?
In Ägypten hat er Erfolg, weil das Land über ein starkes Militär verfügt. Dieses hat die Faschisten von der Macht weggebracht und wir haben al-Sisi gewählt.
Viele Leute sagen, die arabischen Länder sollen Flüchtlinge aufnehmen, nicht nur der Westen – was viele nicht wissen ist, dass Ägypten allein rund eine halbe Million aufgenommen hat.
Ägypten hat als eins der ganz wenigen arabischen Länder 500'000 Flüchtlinge aufgenommen. Andere arabische Länder haben sie verstossen, obschon sie die gleiche Sprache sprechen und das gleiche glauben. Zudem wollen die Flüchtlinge nicht von einer schlechten Situation in eine andere schlechte Situation. Denn in arabischen Ländern gibt es keine Freiheit und Religionsfreiheit. Darum wollen sie in Richtung Westen und nicht Osten.
Wie leben sie nun in Ägypten?
Ägypten hat sie in den Arbeitsmarkt integriert, manche von ihnen haben inzwischen sogar ein eigenes Geschäft eröffnet. Manche konnten eigenes Kapital mitbringen. Sie bauen Ägypten mit.
Ein koptischer Geschäftsmann will sogar eine Insel für Flüchtlinge kaufen?
Ja, das Bild des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan berührte die Herzen vieler Menschen. In der arabischen Welt reagierten leider nicht viele, aber der Milliardär Sawiris bat Griechenland und Italien, ihm eine Insel für diese Flüchtlinge zu kaufen oder zu mieten. Das Angebot ist seriös, aber bisher hat er noch keine Antwort erhalten.
Gegenwärtig laufen die Wahlen in Ägypten, was kann man bislang dazu sagen?
Im nächsten Parlament werden rund fünfzig Christen vertreten sein. In einem Landesteil ist die Wahl bereits bestritten, dort sind 24 Christen gewählt worden.
Das wären ungleich mehr als früher...
Früher sass einmal ein Kopte im Parlament und einmal waren es vier. Nun wird in zwei Schritten gewählt, im ersten wurde in Oberägypten und im Westdelta gewählt, dort sind 24 Christen gewählt worden; nach dem zweiten Schritt, in Kairo und Ostdelta dürften es über 50 sein. Das wären mehr Kopten im Parlament als jemals in der ägyptischen Geschichte.
Medhat Klada ist Präsident des europäisch-koptischen Dachverbandes «European Union of Coptic Organizations for Human Rights» sowie Vorsitzender der schweizerischen «Middle East Human Rights ME-HR». Er ist in Ägypten aufgewachsen und lebt in der Nähe von Zürich.
Medhat Klada ist Mitautor der Buches «Schicksalstage am Fusse der Pyramiden».
Vom 17. bis 19 Oktober wurde rund die Hälfte der Sitze vergeben, vom 30. November bis am 2. Dezember erfolgt die zweite Tranche für die 568 Sitze. Die Parlamentarier sind in der Folge für fünf Jahre gewählt.
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Datum: 28.10.2015
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet