Was fällt dieser Frau ein?

Gott skandalös lieben

Es hätte eine nette Runde unter Männern werden sollen, vielleicht gewürzt mit einer anregenden Diskussion. Bis diese Frau reinkam und alles über den Haufen warf.
«Die Salbung Jesu durch Maria Magdalena» von James Tissot (1836-1902).

Da lagen sie um den Tisch herum – Männer in schwarzen, braunen oder weissen Gewändern. Das Essen wurde gerade aufgetragen, und die Unterhaltung plätscherte angenehm dahin. Es versprach ein netter Abend zu werden. Plötzlich ging die Tür auf, und eine Person kam herein, die man nun als allerletzte in dieser Runde erwarten würde.

Sie ist eine stadtbekannte Prostituierte und wagt sich in diese Herrengesellschaft. «Sie hatte erfahren, dass Jesus bei dem Pharisäer eingeladen war. In ihrer Hand trug sie ein Fläschchen mit wertvollem Salböl. Die Frau ging zu Jesus, kniete bei ihm nieder und weinte so sehr, dass seine Füsse von ihren Tränen nass wurden. Mit ihrem Haar trocknete sie die Füsse, küsste sie und goss das Öl darüber», berichtet die Bibel (Lukas-Evangelium, Kapitel 7 Verse 36-50)

Die Männer beobachten die Szene geschockt – Ausrufe des Erstaunens, vielleicht des Protestes, werden hörbar. Simon, der Gastgeber, runzelt die Stirn und schweigt zunächst. Aber auf seinem Gesicht wird klar, was er denkt:  «Wenn dieser Mann wirklich ein Prophet wäre, müsste er doch wissen, was für eine Frau ihn da berührt. Sie ist doch eine stadtbekannte Hure!» (Vers 39)

Was geht hier vor?

Man kann sich lebhaft vorstellen, was in den Köpfen der Männer hier vorgeht. Hier kommt eine Frau rein und wirft alle Konventionen über den Haufen. Heiss, sinnlich und unmittelbar drückt sie Jesus gegenüber Liebe und Verehrung aus. Sie muss etwas mit ihm erlebt haben, das sie total aufgewühlt und verändert hat. Stellen wir uns vor: sie mag einige der Männer von einer anderen Seite her erlebt haben – aber in der Öffentlichkeit war sie gestempelt. Die Sünderin, fertig. Je religiöser die Leute, um so härter das Urteil.

Und dann kam eines Tages dieser Jesus und brachte eine ganz andere Perspektive. Oh nein, auch er hiess es nicht gut, was sie tat – aber er lehnte sie nicht ab. Wir wissen nicht, ob sie Jesus persönlich begegnet war oder ob seine Reden und Taten sie so tief aufwühlten. Tatsache ist: Hier begegnete ihr ein Mensch, der sie nicht a priori verurteilte. Sie muss irgendwie erlebt haben, wie ihr in diesem Jesus Gott begegnete, der ihr Vergebung – und damit einen Ausweg aus ihrer Situation – anbot. Jemand, der sie kennt und der sie trotzdem annimmt! Das ist wie ein Dammbruch. Sie weint alle Schuld, Scham, all ihre Verletzungen und gleichzeitig ihre Dankbarkeit heraus.

Liebe und Schuld

Gott zu lieben wird im Allgemeinen als eine wohltemperierte Aktion angesehen. Eigentlich verehrt der religiöse Mensch Gott mehr – und bleibt auf Distanz. Dabei ist «Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit allen Kräften und dem ganzen Gemüt» das wichtigste aller Gebote – und eigentlich der Sinn unseres Lebens.

Wie kann man das? Unsere Geschichte gibt den Schlüssel. Im anschliessenden Gespräch mit seinem Gastgeber Simon macht Jesus eine ganz einfache Gleichung: «Wem viel vergeben ist, der liebt viel.» Solch eine Liebe bringt Religion nie zustande, aber das Evangelium. Mit einem Federstrich sagt Jesus der Frau «Deine Sünden sind dir vergeben!»

Achtung; wenn wir Gott mehr lieben möchten, wird er uns mehr zeigen, wer wir sind und was uns vergeben ist. Wenn Sie das nächste Mal schmerzhaft merken, wer Sie eigentlich sind, kann das der Anlass sein, Gott mehr zu lieben. Statt uns kaputt zu machen in Scham und Selbstanklage, lässt vergebene Schuld Liebe zu Gott hervorbrechen.

Nicht nur Frauen

Nach dem Besuch dieser Frau wird mancher der Männer nachdenklich nach Hause gegangen sein, und der alte Simon erlebte vielleicht die Lektion seines Lebens. Auch Männer kennen Schuld, auch Männer brauchen Vergebung. Heute mehr denn je. Und auch für Männer ist es wichtig, nicht bei der Schuld und der Scham, auch nicht bei moralischer Entrüstung, stehenzubleiben, sondern die Vergebung Gottes «mit einem Federstrich» anzunehmen. Und auch für Männer gilt: «Wem viel vergeben ist, der liebt viel.»

Zur Serie: «Oft gehört – neu verstanden
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Datum: 07.10.2014
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

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