Christen haben «führende Rolle»
Anlass für die seit vielen Wochen anhaltenden Protestkundgebungen war ein von Peking geplantes Auslieferungsgesetz. Obwohl die Regierung mittlerweile das Gesetz zurückgezogen hat, halten die Demonstrationen unvermindert an. Zu gross ist weiterhin die Angst vor steigender Einflussnahme Chinas auf die Sonderverwaltungszone.
An der Spitze der Proteste nehmen Christen eine entscheidende Rolle ein. So entwickelte sich auf Initiative christlicher Studenten das Lied «Sing Hallelujah to the Lord» zur Protesthymne. Egal ob vor dem Legislativrat oder bei Aktionen der Polizei – überall erklingt das Lobpreislied.
«Chance, sich zu vereinen»
Edwin Chow, Präsident des katholischen Studentenbundes, sieht darin den Grund, dass die Kundgebungen meist friedlich verlaufen. «Wir Christen haben die Kraft, mit der Hymne alle zu beruhigen und eine friedliche Atmosphäre zu schaffen.» Das müsse eine Aufgabe der Christen bleiben. Christen sollten weiterhin eine «führende Rolle» übernehmen.
Die Proteste seien zusätzlich «eine Chance für Katholiken und Protestanten, sich zu vereinen», erklärte Chow der Katholischen Nachrichten Agentur (CNA). Man vertrete die gleichen Werte und habe das gleiche Ziel. Aus dieser Intention heraus arbeiten beide Konfessionen eng zusammen. So könne man «noch stärker werden».
Christen vom Auslieferungsgesetz betroffen
Vor allem zwei Gründe, die viele Christen auf die Strasse treiben, sieht der in Hongkong lebende schweizerische Theologe und Gefängnisseelsorger Tobias Brandner. Einerseits seien Christen kritischer gegenüber totalitären Tendenzen und der «Machtakkumulation des Staatschefs Xi Jin Ping». Weiterhin sei man in politischen Fragen «sehr viel wacher und distanzierter» gegenüber China geworden. Ursache dafür sei der chinesische Machtanspruch, der sich immer mehr gegen Christen wendet. Der zeige sich beispielsweise an Überwachungskameras in Kirchen, Zerschlagung von Hauskirchen oder Demontagen von Kreuzen.
Aber auch Beispiele der näheren Vergangenheit sind in Erinnerung geblieben. So hätten 2001 Christen aus Hongkong Bibeln nach China geschmuggelt und seien dafür verhaftet worden. Die Angst vor einem solchen Szenario sei präsent, erzählte Chow.
China vergleicht Demonstranten mit Nazis
Die chinesischen Staatsmedien versuchen angesichts der anhaltenden Proteste die Demonstranten zu diffamieren. Am vergangenen Wochenende veröffentlichte der Fernsehsender CCTV einen Appell an die Hongkonger Bevölkerung. Darin wurde der Theologe und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, Martin Niemöller, in einer abgewandelten Form zitiert und so die Protestler in die Nähe der Nazis gerückt.
Originalzitat:
«Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich
war ja kein Kommunist.
Als sie die
Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein
Sozialdemokrat.
Als sie die
Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich
holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.»
Bei
CCTV hiess es nun mit Bezug auf die Demonstranten:
«Zuerst haben sie Steine und Metallzäune geworfen, [...], und ich
habe geschwiegen, weil sie jung waren und Nachsicht verdienten.
Dann haben
sie Polizisten angegriffen, und ich habe geschwiegen, weil die Polizisten
Waffen hatten und sich selbst schützen konnten.
Dann haben
sie Strassen blockiert, Fahrer festgehalten und misshandelt, und ich habe
geschwiegen, denn ich war ja kein Fahrer.
Dann haben
sie Flugpassagiere bedrängt und attackiert und ihnen den Zugang zu den
Check-In-Schaltern verwehrt, und ich habe geschwiegen, weil ich kein Passagier
war.»
«Und dann
kamen sie und griffen mich an, und da war niemand, der die Stimme für mich
erheben und mich schützen konnte.»
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Datum: 22.08.2019
Autor: Martin Schlorke
Quelle: Livenet / CNA / Tagesspiegel /reformiert.info