Bildung im Dienste des Evangeliums – auch heute noch
Es war der 26. April 1518. Theologen und Gelehrte diskutierten erstmals öffentlich die Thesen von Martin Luther in der Heidelberger Universität. Das akademische Streitgespräch ging als Heidelberger Disputation in die Geschichte ein. Ältere Lehrkollegen reagierten überwiegend abweisend, während jüngere Akademiker und Studenten die Thesen Luthers begeistert aufnahmen. Es ist nicht belegt, dass Melanchthon an diesem Streitgespräch in der Heidelberger Universität teilnahm, auch wenn es wahrscheinlich ist. Aber durch die Veranstaltung wurde Melanchthon auf Luthers Theologie aufmerksam und zu einem ihrer einflussreichsten Vertreter.
Ein Leben für die Bildung
Mit seinem ganzen Leben stand Philipp Melanchthon für Bildung. Er verfasste Lehrbücher, gründete Schulen und entwickelte Vorstellungen und Leitlinien für Unterricht und Lehre. Von 1518 war er Lehrer an der Wittenberger Universität, zunächst für Griechisch, später auch für Hebräisch und Theologie. Seine Vorlesungen waren unter den Studenten beliebt, bis zu 400 Studenten besuchten sie – für damalige Verhältnisse ein echter «run».Selbst sein Privathaus führte Philipp Melanchthon als Schule. Aufgrund der Wohnungsnot nahm er Studenten auf, die bei ihm nicht nur wohnten, sondern auch lernten. In Melanchthons Haus gab es Vorlesungen, Übungen und Zeiten zum selbstständigen Lernen.
Bildung und Lernen gefällt Gott
Melanchthon ging es um Frömmigkeit und Bildung – das gehörte für ihn ganz eng zusammen: «Was anderes verschafft dem gesamten Menschengeschlecht grössere Vorteile als die Wissenschaften?», zeigte sich der Gelehrte überzeugt. Es könne kein Zweifel bestehen, «dass der Lebensform des Lehrens und Lernens das grösste Wohlgefallen Gottes» gelte.
Melanchthon war ein Universalgelehrter, der sich zuallererst als Lehrer und Philosoph verstand. Er arbeitete aber auch in den Bereichen Geschichte, Pädagogik, Physik, Astronomie, Mathematik und Medizin. Seine vielen Impulse im Bereich von Bildung und Lehre machten ihn zum Lehrer Deutschlands («Praeceptor Germaniae»).
Mit der Reformation waren nicht nur die bahnbrechenden Thesen Luthers zur Rechtfertigung, sondern auch viele Impulse zur Bildung, Ausbildung und Lehre verbunden. Heute sind die Kirchen und Gemeinden in diesem Bereich kaum noch ein Motor. Das gibt Anlass, sich über diesen Bereich aus christlicher Sicht Gedanken zu machen:
- In manchen Gemeinden gibt es nur wenig Bewusstsein und Anerkennung dafür, dass Gemeindemitglieder beruflich auf hohem fachlichen oder wissenschaftlichem Niveau arbeiten. Oft ist das nur bekannt, wenn diese Menschen auch sonst in der Gemeinde stark engagiert sind. Demgegenüber sollten Gemeindeleitungen diesen Bereich mehr thematisieren und wertschätzen. Denn richtig verstanden, ist dies ein wesentlicher Bereich, wie Christen heute das Reich Gottes ausbreiten.
- Zuweilen gibt es in christlichen Kreisen nur ein geringes Verständnis dafür, dass der Verstand des Menschen eine Gabe Gottes ist, die es zu gebrauchen, zu entwickeln und einzusetzen gilt. Manchmal wird der Verstand eher als Hindernis für das Glaubensleben gesehen, was er auch sein kann, auch wenn dies insgesamt eine recht verengte Sicht ist. Man stelle sich einmal das Wirken von Paulus vor ohne sein Fachwissen über den jüdischen Glauben und seine Griechisch-Kenntnisse.
Berufung und Beruf
- Junge Menschen sollten motiviert werden, danach zu fragen, wo Gott sie gebrauchen will und beruft. Sie sollten zu Schritten für eine Ausbildung oder ein Studium motiviert werden. Hilfreich dabei sind auch Vorbilder in der Gemeinde. So könnten zum Beispiel erfahrene Christen mit jungen Menschen sprechen und sie beraten.
- Es gibt Vorstellungen unter manchen Christen, dass nicht die Ausbildung, sondern die Berufung entscheidend ist. Natürlich beruft Gott Menschen immer wieder souverän und zuweilen auch entgegen jeder Erwartung und Ausbildung. Doch das sollte nicht das Leitbild sein. Es wäre wünschenswert, dass in den Gemeinden ein Verständnis dafür wächst, dass Berufung und Beruf (und die damit verbundene Ausbildung) – wenn möglich – Hand in Hand gehen. Ansätze in diese Richtung sind übergemeindliche Initiativen, die den fachlichen Austausch unter Christen ermöglichen, zum Beispiel Lehrertreffen, christliche Berufsvereinigungen, der Verein «Christ und Jurist» oder «Christen im Gesundheitswesen». Da ist seit Jahren einiges in Bewegung.
Führung durch den Heiligen Geist und Fachkompetenz
- In manchen Gebetsinitiativen herrscht überwiegend der Blick auf die Führung des Heiligen Geistes, ohne sich tiefergehend fachlich mit Themen und Problemstellungen auseinander zu setzen, auch und gerade dann, wenn es sehr komplizierte Sachverhalte sind. Das gilt zum Beispiel auch für Zusammenhänge in der politischen System. Führung durch den Heiligen Geist ist eine Sache, Wissen und Kompetenz eine zweite.
- Gleiches gilt auch für prophetische Initiativen. Auch hier fehlen manchmal grundsätzliche Kenntnisse, die die Vermittlung der Inhalte solcher Initiativen auch nach aussen erleichtern würden. Hier braucht es ein grösseres Miteinander von Leitung durch den Heiligen Geist und Fachwissen. Bis hin zu der Frage, dass auch prophetische Erkenntnis die Forschung bereichern kann. Doch dafür gibt es bisher kaum eine Sicht.
- Christliche Gemeinden oder Initiativen könnten in Zeiten einer immer grösseren Spezialisierung eine Plattform für interdisziplinäre Gespräche bieten, um zu verhindern, dass die Forschungen und Lehrgebiete immer weiter auseinanderdriften. Es wird in Zukunft eine besondere Herausforderung sein, wie bei dem immer schnelleren Wissenszuwachs noch eine Kommunikation zwischen verschiedenen Fachbereichen ermöglicht werden kann. Dazu braucht es kompetente christliche Persönlichkeiten, die sich dazu von Gott gerufen wissen.
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Datum: 26.04.2018
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet