Mehr als ein Buch

«Mir geht es gut, ich sterbe gerade»

Christiane Bindseil (43) und Karin Lackus (57) begleiten Menschen beim Sterben. Die Pfarrerinnen arbeiten in der Klinikseelsorge. Aus ihren Erfahrungen haben sie Geschichten zusammengetragen. Geschichten, die eigentlich gar nicht vom Sterben handeln, sondern von echtem Leben, das diesen Namen bis zum letzten Atemzug verdient.
Sterbebegleitung - Frau an Krankenbett

In ihrem Buch «Mir geht es gut. Ich sterbe gerade. – Geschichten am Ende des Lebens» erzählen die beiden Seelsorgerinnen von 28 Menschen auf ihrer letzten Wegstrecke. Was sie zusammengetragen haben, sind Berichte voller Tragik und Tiefe, aber auch voller Freude und Leichtigkeit. Trotz aller Auseinandersetzung mit dem Sterben sind es in erster Linie Geschichten vom Leben. Und gerade dessen Endlichkeit gibt den Personen darin eine besondere Würde.

Sterben bekommt ein Gesicht

Sterbehilfe und der Umgang mit Alter, Krankheit und Tod sind immer wieder Gegenstand politischer Diskussionen. Auch in Kirchen und Gemeinden wird darüber durchaus kontrovers diskutiert. Christiane Bindseil und Karin Lackus nehmen auf diese Auseinandersetzung praktisch keinen Bezug. Sie kommen von der Praxis her. Sie gehen tagtäglich mit Menschen um, die bald sterben werden, die Schmerzen haben, die von Fragen gequält werden. Doch dieselben Menschen feiern auch ihre Erinnerungen, leben Versöhnung, träumen von einer Zukunft auch über den Tod hinaus. Durch die vielen Gespräche an der Bettkante bekommen das Sterben und die ganze Diskussion um Menschenwürde Gesichter. Die Pfarrerinnen entfalten keinerlei politisches Programm – und tun es doch, indem sie ihre jeweiligen Gegenüber konsequent als Menschen in den Mittelpunkt stellen, ihnen auf Augenhöhe begegnen und ihre Würde achten.

Reicht das für den Segen?

«Wissen Sie, mit Kirche kann ich nichts anfangen, das war mir immer egal», beginnt ein Kapitel. Und die Pfarrerin hört weiter: «Aber jetzt, wo Sie schon einmal da sind, können Sie gerne bleiben. Ich habe ja eh sonst niemanden mehr in dieser Welt.» So erzählt Herr Maucher von der Einsamkeit seines scheinbar verpfuschten Lebens. «Wenn ich sterbe, merkt das keiner», zieht er als persönliche Bilanz. Er freut sich über die Besuche der Seelsorgerin, die ihm zuhört und ihn mit Zeitungen und Zigaretten versorgt. Doch eines Tages bekommt er überraschend Besuch. Seine Bekannten, mit denen er sich in einem Rauchercafé traf, haben gemerkt, dass er nicht mehr kommt. Sie haben herumtelefoniert und ihn im Krankenhaus aufgespürt. Und jetzt besuchen sie ihn regelmässig. Sein Kommentar zur Pfarrerin ist: «Eigentlich brauche ich Sie jetzt gar nicht mehr, aber jetzt habe ich mich einfach an Sie gewöhnt. Jetzt müssen Sie trotzdem kommen.» Kurz vor seinem Tod will Herr Maucher noch wissen, was sie als Pfarrerin eigentlich mit all denen macht, die gehen werden. Und sie erzählt ihm, dass es etwas Besonders ist, einem Menschen Gottes Segen zuzusprechen. «Und, können Sie das jetzt mit mir machen?», fragt er zurück.

Das Leben in seiner ganzen Vielfalt

Wer alt und krank wird, dessen Horizont wird enger. Doch das Leben behält seine ganze Fülle. Das unterstreichen Geschichten wie die vom unfrommen Herrn Maucher, der sich Gottes Segen wünscht und unter diesem Segen sterben kann. Das unterstreichen Geschichten von Menschen, die unbedingt sterben wollen, weil sie ihre Krankheit nicht mehr aushalten. Oder von denen, die nicht gehen können, weil sie noch etwas zu bereinigen haben. Manchmal sind es grosse Worte, manchmal nur kleine Gesten, an denen deutlich wird, dass Gott auch in dieser Lebensphase da ist. Dass er die Sterbenden berührt. Und uns als Leser gleich mit.

Lebenswert – lesenswert

Christiane Bindseil und Karin Lackus schreiben von den lebenswerten Seiten todkranker Menschen: «Dabei wollen wir die letzte Lebensphase nicht verklären. Da sind auch Schmerzen, da ist Angst. Und dennoch wird in jeder Geschichte deutlich: Die Zeit des Sterbens ist kostbar; unser Leben wäre so viel ärmer, würden wir uns dieser Lebensdimension vorsätzlich berauben.» Die Autorinnen unterstreichen ausserdem, dass sie die Geschichten im Buch so nicht erlebt haben. Die darin vorkommenden Personen und ihre Namen sind frei erfunden. Doch die Geschichten fussen auf ihren Gesprächen, ihren alltäglichen Erfahrungen. Man spürt ihnen ab, dass sie authentisch sind.

«Mir geht es gut, ich sterbe gerade.» ist ein Mut machendes Buch über das Sterben. Und ein starkes Plädoyer für Menschenwürde in jeder Lebensphase. Es ist ein bisschen wie ein Krankenhausbesuch, bei dem man als Gesunder einem Patienten etwas Gutes tun wollte und selbst getröstet nach Hause geht. Denn Sterbende haben den Lebenden etwas zu sagen.

Zum Buch:
Christiane Bindseil, Karin Lackus: «Mir geht es gut, ich sterbe gerade. Geschichten am Ende des Lebens»
Gebunden, 128 Seiten, Neukirchener Aussaat
ISBN 978-3-7615-6326-7
EUR 12,99 / CHF 19,50

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Datum: 22.08.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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