Der Mann auf Burgdorfs Strassen
«Mit einer Flasche Bier in der Hand pöbelt ein Heilsarmee-Offizier in der Oberstadt Passanten an!» Dieser Anruf auf der Redaktion der Burgdorfer Lokalzeitung führt einen Reporter an den besagten Ort, wo mit Severino Ratti tatsächlich ein Vertreter der Heilsarmee-Gemeinde auf der Gasse ist.
Und dies nicht allein. Um ihn herum sind Menschen, denen seine ganze Aufmerksamkeit gilt. Sie sind für ihn zu Freunden und Bekannten geworden. Es sind Menschen am Rande der Gesellschaft - süchtig nach Alkohol, Tabletten, Drogen. Einige sind in Kleinkriminalität verstrickt, andere erlitten Missbrauch. Der Journalist tritt in die Szene und schildert den ebenso interessanten wie bizarren Vorwurf. Rattis Freunde lachen: «Wir versuchen ihm schon seit einem Jahr ein Bier anzudrehen - glauben sie, das funktioniert nicht!» Das Resultat der Geschichte: Statt einem Skandalbericht erscheint in der Lokalzeitung ein Artikel über Severino Rattis Arbeit und seine Beweggründe.
Schiffbruch
Einmal pro Woche geht der Burgdorfer Heilsarmeemann auf die Strasse und besucht die Menschen, die dort anzutreffen sind. Mit rund 50 Personen, die aus der Stadt und den umliegenden Orten kommen, hat Ratti regelmässig zu tun. «Ich biete ihnen Wertschätzung und ein offenes Ohr. Andere kümmern sich nicht um sie, sondern umgehen sie in einem grossen Bogen.» Obdachlos seien die wenigsten, ein kleines Zimmer oder eine Wohnung hätten fast alle. Die meisten seien wegen Schicksalsschlägen «uf dr Gass glandet ». «Wenn jemand hier bei uns Schiffbruch erleidet, hat er oft keine Chance mehr.»«Echt und tief bewegend»
Im letzten Jahr feierte Ratti mit den Menschen von der Strasse im Heilsarmeelokal Weihnachten. «Das war echt, tief und bewegend.» Deshalb hat er am 21. Dezember 2009 zu einer weiteren Feier geladen. Zudem betreut Burgdorfs friedlichster Offizier jeden Mittwoch die «Tischlein-deck-dich»-Tafel, wo Bedürftige Lebensmittel beziehen können. Bei der Stadt ist Ratti mittlerweile der Ansprechpartner für die sogenannt Randständigen.Hundewetter ohne Katzenjammer
Grundlage für Rattis Einsätze auf der Strasse ist seine persönliche Beziehung zu Jesus Christus. Nach dem Vorbild von Jesus versucht Ratti den Menschen zu begegnen. Statt sie mit Vorwürfen zu konfrontieren, seien eine Umarmung und die Worte «Ich hab dich lieb, du bist ein cooler Typ» viel mehr im Sinne von Jesus. Wenn Liebe vorherrsche, mache diese Lust auf mehr.«Wenn jemand den Weg zu Christus findet, ist das schön, da in ihm die tiefste Hoffnung verankert ist.» Der Hinweis von Jesus, dass man zwei Meilen mit jemandem gehen soll, der einen um eine Meile fragt, ist auch Ratti wichtig. «Es gibt zwei Dinge, die ich nicht mag: Regen und Kälte », erklärt Ratti. «Aber die Hoffnung, die Jesus bietet, überwiegt bei weitem, so dass ich dieses vergleichbar kleine Leiden gerne auf mich nehme.»
Datum: 24.12.2009
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Jesus.ch