Aus dem «Warum?» wurde ein «Wozu?»
Beim Abschied übergibt ihm seine Tochter ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk und eine Karte mit dem Satz «Damit du dich nicht einsam fühlst, wenn wir dich alleine lassen». Worte, die einige Tage später eine völlig andere Bedeutung erhalten.
«Es war, als hätte meine Tochter geahnt, was in Thailand geschehen würde», sagt Matthias Brefin rückblickend. Seine Frau Rosette und die 35-jährige Tochter Mireille möchten sich Ende 2004 gemeinsam vier Wochen im thailändischen Ferienparadies Khao Lak erholen. Doch dem Urlaub wird plötzlich ein tragisches Ende gesetzt, denn ein Tag nach Weihnachten schlägt die Tsunamiwelle zu.
Der Seelsorger wird selbst zum Opfer
Khao Lak trifft es besonders stark, von der Umwelt wird der Ort komplett abgeschnitten. 8'000 Menschen werden dort unter den gewaltigen Wassermassen begraben. Auch für Rosette und Mireille kommt jede Hilfe zu spät: Die Frau verliert ihr Leben in den Fluten, die Tochter verstirbt wenig später in einem örtlichen Spital.
Dieser Moment stellt Matthias Brefins Leben total auf den Kopf. Jahrelang hat der Theologe andere darin geschult, wie man den Tod von geliebten Menschen verarbeitet. Nun ist er selber zum Opfer geworden. So beginnt er, sich selbst zu therapieren: «Ich habe mir vorgestellt, was ich einer Person in derselben Situation raten würde.»
Er weiss, dass es kurz nach einem familiären Verlust wichtig ist, die Säulen Wohnung, Beziehung und Arbeit nicht zu verändern. Deshalb bleibt er seiner Beschäftigung treu und leitet weiterhin Kurse über Sterbebegleitung. «Das war zwar sehr intensiv, aber in meinem Trauerprozess half es mir ungemein.»
Persönliche Worte besser als zitierte Bibelverse
In diesem monate- und jahrelangen Prozess zehrt Brefin auch von echter Anteilnahme: «Wenn jemand einfach mit mir weinte oder für mich einkaufen ging, war das sehr wertvoll. Was bei mir nicht viel nützte, waren zitierte Bibelverse. Die Leute meinten es zwar gut, aber eigene Worte haben mich mehr entmutigt.»
Zur Trauerverarbeitung gehörte für Matthias Brefin anfangs auch die Frage nach dem Warum?: «Ich wusste, dass ich Gott diese Frage stellen darf aber mir war auch klar, dass ich keine Antwort erhalten würde. Deshalb habe ich für mich das ‹Warum› zu einem ‹Wozu› geändert.»
Ein Jahr nach dem Tsunami zieht Matthias Brefin in ein altes Bauernhaus in Ins, wo einst sein Ururgrossvater Albert Anker lebte. Der Schweizer Maler hinterliess dort eine kunsthistorische Sammlung. Nun ist Brefin dort in vielerlei Rollen tätig: Als Museumswärter, Hausmann, Gärtner, Uhrmacher und vieles mehr.
«Heute bin ich frei, jeden Tag neu zu sehen, was meine Aufgabe ist. Und obwohl immer ein Schatten über meinem Leben bleiben wird, kann ich das Leben neu gestalten und lerne dabei viel Neues.» Damit hat Matthias Brefin für sich eine Antwort auf das «Wozu» gefunden.
Datum: 14.09.2011
Autor: Markus Hausmann
Quelle: antenne