Leben mit ADHS

«In der Verzweiflung begriff ich: Ich bin geliebt!»

Die ganze Kindheit hindurch litt Fabian Backhaus an der Hyperaktivitätsstörung ADHS. Er spürte, dass er anders war, fühlte sich einsam und wollte sich schliesslich das Leben nehmen. Doch es kam anders. Hier erzählt er seine Geschichte.
Fabian Backhaus (Bild: Screenshot Bibel.tv)

Nach nur zwei Wochen war ich aus dem Kindergarten geflogen, obwohl meine Mutter diesen einmal geleitet hatte. Ich ging zu wild mit den anderen Kindern um. Anstatt in den Kindergarten ging ich dann zwei Mal wöchentlich zur Ergotherapie.

Später in der Schule war ich oft unkonzentriert und wurde bald darauf ein «I-Kind», ein Integrationskind, welches besondere Aufmerksamkeit brauchte. Es kam eine zusätzliche Sozialpädagogin in die Klasse, um mich zu fördern.

Oft allein

Ich fühlte mich oft alleine. Wer will auch schon etwas mit einem zu tun haben, der nicht wusste, wo die Grenze war? Ein Freund und ich prügelten uns manchmal zum Spass; ich konnte meine Kraft nicht richtig einschätzen, und nicht selten war der Schlag viel zu fest und mein Freund brach in Tränen aus. Ein aufrichtiges «Ich wollte das nicht» half dann nicht viel.

Meine Unbändigkeit führte auch dazu, dass einige Fensterscheiben dran glauben mussten; es gab unzählige Schulkonferenzen oder Ermahnungen, ich brannte eine Scheune ab, einen Baum mit Hilfe eines selbstgebastelten Molotowcocktails – und schliesslich fackelte ich noch meinen BIG-Plastiktraktor ab. (...)

Trotz meines leicht überdurchschnittlichen IQs (das haben ADHSler oft) ging ich auf eine Realschule. Meine Eltern wollten, dass ich in der Schule endlich Erfolgserlebnisse habe. Im zwischenmenschlichen Bereich sah es da eher schlecht aus. Mit meinen Mitschülern hatte ich immer wieder Probleme. Der Vater eines Freundes verbot seinem Sohn, sich mit mir zu verabreden, da ich einen schlechten Einfluss auf ihn hätte... Mit 19 Jahren wurde ich wegen meiner psychologischen Akte vom Zivildienst ausgemustert.

Ausgegrenzt

Ich spürte immer wieder, dass ich anders war – und litt darunter. Und irgendwann kam es, wie es kommen musste. Es entwickelten sich Depressionen. Ich fühlte mich schlecht, wollte nicht mehr leben und fasste den Plan, mich umzubringen.

Woher diese negativen Gefühle kamen? Keine Ahnung. Ein Arzt sagte mir später, dass ADHS-Kinder die Liebe, Zuneigung und Berührung ihrer Eltern als Kleinkind nicht wahrnehmen können und sich daher vernachlässigt fühlen. Das spüren Eltern, obwohl sie versuchen, ihrem Kind alles zu geben, was es braucht. Das kann wiederum zu Selbstvorwürfen oder depressiven Gedanken bei den Eltern führen, was sich wieder auf das Kind auswirken kann... Also vielleicht war alles eine Mischung aus nicht erlebter Liebe, fehlenden Freunden und dem Gefühl, irgendwie sonderbar zu sein.

Selbstmordgedanken

Nach einem heftigen Streit mit meinen Eltern, die oft wegen mir verzweifelt waren, stand ich bei meiner Oma in der Küche, mit einem Messer in der Hand und wollte mir meine Pulsadern aufschneiden. Ich war gerade mal 9 Jahre alt. Mein Leben zog in Sekundenschnelle an mir vorbei. Ich sah nur die schlechten Dinge meines Lebens und war mir sicher: Keiner mag mich! Warum sollte ich weiterleben? Bisher war alles schrecklich, und es gab keine Hoffnung auf Besserung.

Warum ich diese Zeilen heute schreiben kann? Ich habe nicht geschnitten. Nach einem bestimmt 20-minütigem Kampf mit mir selbst und dem Messer an der Ader gab ich auf. Ich konnte es einfach (noch) nicht.

Hoffnung inmitten der Depression

In all meinen negativen Gedanken und Gefühlen und mitten in meinen Selbstzweifeln gab es auch einen Lichtstrahl: Ich entwickelte im Laufe der Zeit eine immer tiefere Beziehung zu Gott. Ich konnte ihn oft erleben, er zeigte sich mir in Bildern.

Einmal vernahm ich eine direkte Stimme in mir, die mich sehr bewegte. Es waren die Worte: «Du bist geliebt!» Es war so, als würde diese mächtige Stimme meine schlechten Gefühle zerbrechen und mir einen neuen Status über mein Leben schreiben. Tränen liefen meine Wangen hinunter. Das war kein flüchtiger Eindruck, sondern ein krasses Umgraben meiner bisherigen Gefühle und meiner Lebenshaltung.

Was folgte war wie ein Wunder: Die Depressionen verliessen mich nach und nach, bis sie eines Tages ganz verschwunden waren. Ich wusste zwar, dass ich immer noch «nicht normal» bin, aber es war mir egal, es machte mir nichts mehr aus.

So schlicht das klingt, aber Gott gab mir Kraft und Stärke, das alles zu schaffen. Ich war ein Kämpfer, und Jesus kämpfte an meiner Seite. (...) Jesus und ich waren das neue Team. Er gab mir Kraft, Hoffnung, Zuneigung und Liebe. (...)

Mein Leben heute

Heute, mit über 30 Jahren, fühle ich mich «normal». Ich kann mit Menschen umgehen, habe meine Stärken und Schwächen wie jeder Mensch. Mein ADHS hat – das würde ich zumindest sagen – keine grossen Auswirkungen mehr auf mein Leben, ausser dass ich überdurchschnittlich viel Energie habe.

Warum schreibe ich das alles hier auf? Um dich zu ermutigen! Wenn du auch manchmal nicht weiterweisst und alles um dich herum zerbricht, kann ich dir versprechen, dass Gott immer bei dir ist und dir hilft.

«ADHS, Selbstmord und ich...» Aus dem Buch «Chillen mit Jesus. Wahre Storys für Teens», Gerth Medien

Datum: 07.07.2021
Autor: Miriam Hinrichs
Quelle: Jesus.ch / Gerth Medien

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