«Im Drogenrausch hörte ich Stimmen»
Susanne, berichte uns bitte etwas über deine Kindheit!
Susanne Thiel:
Ich bin in Meiningen im Vorarlberg bei meiner Mutter und meinem
inzwischen verstorbenen Stiefvater aufgewachsen. Meinen leiblichen Vater
habe ich leider erst mit 25 Jahren kennengelernt, kurz bevor er starb.
Er war Alkoholiker. Trotzdem fühlte ich mich als Kind geborgen, da sich
meine Mutter aufopfernd um mich und meinen älteren Bruder kümmerte. Zu
beiden habe ich seit jeher eine gute Beziehung.
Dennoch bist du als Teenager in die Drogen geraten. Wie kam es dazu?
Als Jugendliche war ich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und
leicht zu beeinflussen. Ich bin ein emotionaler Mensch und war früher
sehr offen für okkulte Dinge. Auf der Suche nach Annahme und Liebe liess
ich mich auf alles Mögliche ein, dazu zählten Drogen. Auslöser war der
Film «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo», der Anfang der 80er-Jahre in vielen
Schulen gezeigt wurde, um Jugendliche über die Gefahren von Drogen
aufzuklären.
Der Film schreckte mich nicht ab. Im Gegenteil, er animierte mich, Drogen auszuprobieren. Ich war bereits Raucherin und drehte bald meinen ersten Joint. Kurz darauf folgte härterer Stoff , ich fand schnell heraus, wo er zu bekommen war. 15-jährig lief ich von zu Hause fort und landete im Zürcher «Drogenparadies», dem «Platzspitz» hinter dem Hauptbahnhof.
Kannst du uns dein damaliges Leben bitte etwas näher beschreiben?
Der Alltag ist geprägt von der Suche nach dem nächsten Schuss. Dafür war
ich bereit, alles zu tun und verkaufte auch meinen Körper. Bald war ich
tablettensüchtig. Die Drogen und Medikamente bezog ich von
unterschiedlichen Dealern. Ab 18 Jahren bekam ich auch Methadon. Sieben
Jahre lang kämpfte ich mich mit meinem damaligen Partner von einem Tag
zum nächsten.
Wie wirkten die Drogen auf dich?
Sie waren sehr stimulierend. Anfangs stand ich eher auf dämpfende
Drogen. Ich fühlte mich sorglos und leicht, wie auf Wolke 7. Das Grau
verschwand, der Himmel war leuchtend blau – allerdings immer nur für
kurze Zeit. Der Aufprall auf dem Boden der Realität wurde immer härter.
Man stumpft innerlich ab, wird gefühlskalt und nimmt nicht einmal mehr
die Jahreszeiten wahr. Ich lebte im tiefen Winter. Nach jedem Rausch
drehte sich alles um den nächsten Schuss. Aus diesem Teufelskreis
rauszukommen, ist menschlich gesehen fast unmöglich, Wenige schafften
es.
Auch du hast den Ausstieg geschafft – wie?
Die einfache Antwort darauf heisst Jesus. Ich möchte damit niemanden vor
den Kopf stossen und auch nicht den Eindruck erwecken, ich sei von
einer Sucht in die nächste geraten, also eine religiöse… Man könnte
darunter verstehen, ich wäre erneut vor der Realität geflüchtet. Nein,
das Erlebnis mit Jesus war und ist keine Einbildung, davon bin ich
überzeugt.
Jetzt machst du uns neugierig…
Ich muss ich ein wenig ausholen. Im Drogenrausch hörte ich Stimmen. Sie
sagten mir ich sei hässlich und Gott sei böse. Ich begann Jesus und Gott
zu hassen und zu verfluchen, wurde aggressiv und unerträglich für mein
Umfeld. Kein Zweifel, es war der Teufel, Satan, der mich auf seine Seite
zog. Als ich meinen Freund verlor, machte ich mit Satan einen Deal. Ich
sagte: «Wenn du mir meinen Freund zurückbringst, bin ich bereit alles
zu tun, was du willst.» Der Freund kam tatsächlich zu mir zurück.
Dafür wurde mein Hass auf mich selbst und auf Gott immer schlimmer. Dann lernte ich eine christliche Familie kennen. Sie engagierte sich in einer Kirche, nahm mich an und bei sich auf, ohne mir Vorwürfe zu machen. Diese Menschen sprachen nicht nur von Gott und vom Glauben, sie lebten auch so und kümmerten sich um mich. Das hat mich umgehauen. Sie sagten mir, Jesus liebe alle Menschen und könne mein Leben erneuern, wenn ich seine Vergebung annehmen würde. Und das habe ich tatsächlich erlebt. Kurz vor meinem 30. Geburtstag wurde ich frei von Drogen und habe seither keine harte Droge mehr angerührt; es sagt mir nichts mehr.
Wie ging die Geschichte weiter?
14 Jahre verbrachte ich bei dieser Familie und wurde Teil ihrer Kirche.
Ich begann in Schulen und Firmen meine Geschichte zu erzählen. Meistens
wurde ich eingeladen. Mit Gott verbunden und frei von den Drogen zu
sein, das gehört für mich zusammen. Deshalb redete ich immer Klartext.
Die Jugendlichen hörten mir fasziniert zu, negative Reaktionen kommen
mir keine in den Sinn. Ich fühlte mich von Gott berufen, dies zu tun und
freue mich noch heute über jede Anfrage.
Wie lief es beruflich und privat weiter?
Nach meinem Drogenausstieg arbeitete ich zunächst als Reinigungskraft.
Anschliessend habe ich die Ausbildung zur diplomierten Sozialbetreuerin
absolviert. Seit sechs Jahren arbeite ich Teilzeit im Pflegeheim
Toggenburg und habe im Sommer 2022 meine Weiterbildung als Fachfrau
Gesundheit abgeschlossen. Ich bin mit Christian verheiratet, er ist
gelernter Zimmermann. Nach einer Umschulung arbeitet er jetzt als
Pädagoge. Auch in meiner Kirche engagiere ich mich in den Bereichen
Musik und Dekoration.
Welche Pläne hegst du für die Zukunft?
Ich würde gern ein Buch herausgeben, sofern ich Zeit und Ressourcen
dafür finde. Weiter träume ich von einem Haus für betagte und vielleicht
auch sonst benachteiligte Menschen. Ich möchte alten Menschen, die so
viel erlebt und geleistet haben, einen frohen Lebensabend ermöglichen.
Was rätst du Menschen, die Drogen konsumieren und frei davon werden möchten?
Den einfachen Entzug gibt es nicht, auch wenn es bei mir so scheinen
mag. Der Entzug sollte etappenweise geschehen, sonst besteht die Gefahr,
ins Koma zu fallen. Am härtesten ist die psychische Komponente. Man
muss frei werden wollen. Nur ein Prozent der Heroinsüchtigen schaffen
den Ausstieg, das sagt alles. Wie ich schon erwähnte, ohne Jesus hätte
ich es nicht geschafft. Seine Liebe und göttliche Kraft haben mein Leben
umgekrempelt und mir Wert und Würde geschenkt.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Hope-Regiozeitung
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Datum: 30.12.2022
Autor: Rolf Frey
Quelle: Hope-Zeitungen