«Wir müssen bescheidener werden»
wort+wärch: Öl ist letzthin billiger geworden. Was bedeutet das für die Solarbranche?
Josef Jenni: Der Anreiz zum Sparen sinkt. Das ist nicht gut für die Nutzung erneuerbarer Energien. Die meisten Politiker und ein Grossteil des Volks hangen der Wunschvorstellung vom ewigen wirtschaftlichen Wachstum an. Als könnte unsere Gesellschaft nur so funktionieren. Die Probleme beschönigt man und bürdet sie im Glauben an spätere technische Lösungen künftigen Generationen auf. Faktisch geht unsere Gesellschaft wie ein Junkie mit fossiler Energie um: Solange er den Stoff bekommt, macht er sich keine weiteren Gedanken.
Sind wir energiesüchtig?
Ja, ganz eindeutig. Unsere Gesellschaft ist total davon abhängig. Energie macht das Leben bequem. Dabei verstehen wenige Leute, was Energie wirklich ist. Im Vordergrund steht die günstige Versorgung mit Strom. Dabei vergessen sie, dass der grösste Teil der im Land umgesetzten Energie Erdöl ist. Strom macht nur etwa ein Viertel aus. Strom ist universell einsetzbar und deshalb sehr praktisch, aber er muss aus anderen Energieformen hergestellt werden.
Wie lässt sich unser Energieverbrauch in historischer Perspektive beschreiben?
Mit Energie können wir ganz viele Leistungen beziehen und unser Leben angenehm gestalten. Früher gab es bloss unsere Muskelkraft und Tiere. Heute brauchen wir ständig (in Produkten, Wärme, motorisierter Bewegung) etwa 6000 Watt, das entspricht der Energie, die 100 Sklaven mit ununterbrochenem Treten erzeugen würden. Dies hat einen hohen Preis: Das Gleichgewicht der Erde, das unser Schöpfer zu unserem Wohl geschaffen hat, stellen wir in Frage.
Ich stamme aus einer christlichen Familie. Die neutestamentlichen Wertmassstäbe sind mir wichtig. Würden alle danach leben und ihren Nächsten lieben, statt andere auszubeuten, könnten wir auf der schönen Erde friedlich und in Ruhe leben.
Ohne dass wir dessen gewahr sind, beruht unser Lebensstil auf der Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen. Betrieben wurde die Gewinnung von Rohstoffen immer rücksichtslos, in jeder Beziehung. Wer die Gewinnung und Verarbeitung kontrolliert, wird reich. Im Bergbau werden Menschen geschunden. An Rohstoffen klebt Blut. Minenarbeiter werden im Durchschnitt keine 40 Jahre alt.
Dagegen scheint die Erdölförderung geradezu schonend.
Immer weniger. In Saudi-Arabien wird Öl aus 3000 bis 6000 Metern Tiefe gepumpt. Die einfach erschliessbaren Vorkommen sind weltweit längst erschöpft. Heute wird Öl und Gas immer aufwändiger gefördert. In den besten Zeiten konnte man mit dem Einsatz eines Fasses Öl 300 Fässer fördern; in Texas genügte es, ein Rohr in den Boden zu schrauben, und schon floss das Öl. Heute braucht es durchschnittlich ein Fass für zehn Fässer. Fracking und Tiefseebohrungen erfordern einen noch viel höheren Energieeinsatz, bis 1:3 und 1:2! Wenn wir dahin kommen, wird Erdöl nicht mehr für das Verbrennen und Fahren verwendet werden, sondern nur noch für Kunststoffe und medizinische Anwendungen.
Die Bibel prangert Gier und Ausbeutung an. Was sagt sie zu Energiefragen?
Paulus hält auf Genügsamkeit: Jeder Mensch ist reich, wenn er an Gott glaubt und sich mit dem, was er hat, begnügt (1. Timotheus 6). Der Prophet Habakuk spricht vom Preis, den wir für unsere Gier zahlen werden. Nächstenliebe heisst: Wir dürfen unseren Wohlstand hier nicht auf das Elend anderer gründen.
Unser Klima ist zum Staunen. Unser Schöpfer hat es wunderbar auf unsere Bedürfnisse abgestimmt. Das CO2 wurde vor Urzeiten in der Erde deponiert. Einen grossen Teil des Planeten können wir bewohnen. Nun greifen wir in das Klimagleichgewicht ein, anfangs mit kleinen ‚Chräbeli‘ und Schaufeln, inzwischen mit immer grösseren und verrückteren Maschinen. Wir kratzen das CO2 aus der Erde und das hat Konsequenzen. Wir wagen ein ungeheures Experiment, in dessen Verlauf wir zugrunde gehen können.
Mit der Energiewende soll dies abgewendet werden. Worauf zielt sie ab?
Die ETH Zürich hat die 2000-Watt-Gesellschaft vorgeschlagen. Ein Verbrauch von nicht erneuerbaren Energien in dieser Grössenordnung wäre global verträglich. Aufgrund unseres Wohlstands sollten wir technisch dahin kommen, dass wir mit einem Drittel der heute umgesetzten Energie einigermassen angenehm leben. In meiner Broschüre* lege ich Voraussetzungen und Schritte dahin dar.
Eine Hauptsache: Wir müssen bescheidener werden. Das mögen die Leute nicht. Und Firmen profilieren sich damit, dass sie ihnen Luxus und hohe Kapitalrenditen versprechen.
Ist die Energiewende mit technischen Innovationen zu schaffen?
Innovationen allein genügen nicht. Wir stehen vor mehreren Problemen: Photovoltaik bringt im Winter, wenn wir am meisten Strom brauchen, kaum etwas. Die Deutschen haben dies bei ihren Fördermassnahmen nicht beachtet, mit gravierenden Folgen für ihre Energiewirtschaft: Im Sommer wird die Hälfte des Solarstroms nicht benötigt. Dagegen liefern alle Anlagen, für gegen 200 Milliarden Euro installiert, bei diesigem Januarwetter bloss etwa zehn Prozent des kleinen KKW Mühleberg …
Zweitens ist Strom im grossen Stil nicht speicherbar – trotz den weiter gehegten Illusionen zu Pumpspeichern. Eine saisonale Speicherung für den Bedarf der Schweiz würde über hundert Anlagen wie die Kraftwerke Oberhasli erfordern. Anders gesagt: Für eine Speicherung, die dem Bedarf im Winter gewachsen ist, müssten wir mehrere Thunerseen 1000 Meter in die Höhe pumpen. Wir bräuchten gigantische Staumauern.
Drittens sind auch die Hoffnungen, die auf Batterien als Stromspeicher für Solar- und Windenergie gesetzt werden, absolut utopisch. Photovoltaik ist sehr kupferintensiv. Wir werden nicht alle elektrisch Auto fahren und den Strom erneuerbar erzeugen können – das Kupfer dazu ist ganz einfach nicht vorhanden.
Dies alles führt zur Folgerung, dass Strom in grossen Mengen gespart werden muss. Die Energiewende schaffen wir mit Photovoltaik nicht; sie kann nur gelingen, wenn physikalische Grundlagen beachtet werden, viele Massnahmen ineinander greifen und wir alle bescheidener werden.
Was bringt Windenergie?
Norddeutschland hat über weite Strecken sehr konstanten Westwind. Das ist bei uns nicht der Fall. Ein guter Windstandort in der Schweiz gibt halb so viel Energie wie ein mittelmässiger in Norddeutschland. Doch der Wind bläst auch im Winter und abends und morgens; somit er hat auch hierzulande mehr Potenzial.
40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs der Schweiz dient dem Heizen. Da setzt die Jenni Energietechnik AG an. Was trägt eine andere Bauweise zur Energiewende bei?
Viel. Schon durch bessere Isolation der Häuser, gute Fenster und kompaktere Bauweise ist viel Energie zu sparen. Und von der Sonne können wir sehr viel mehr Wärme nehmen. Wir machen Mut zu Sonnenhäusern. Wir bieten Lösungen an für ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs. Dieser kann substanziell gesenkt werden. Gerne zeige ich Häuser und sende Interessierten detaillierte Broschüren zu.
Ein Wort zu Wärmepumpen: Bei ihnen ist der ökologische Wert davon bestimmt, woher ihr Strom namentlich in kalten Zeiten kommt und welche Leistungsziffern sie aufweisen. Unklug ist, wenn Eigentümer beim Einbau einer Wärmepumpe ihr Haus weniger isolieren müssen, als wenn sie Sonnenkollektoren und eine Holzfeuerung einrichten wollen. Da steuert der Staat falsch.
Sie propagieren Häuser mit einem meterhohen Wasserbehälter in der Mitte, der mit der Wärme des Sommers durch den Winter heizt. Was gibt es zwischen diesem radikalen Ansatz, der kostet, und naheliegenden energetischen Verbesserungen, welche viele Hausbesitzer erwägen?
Teillösungen sind gewiss auch gut. Ich bin Realist: Wenn Öl, Gas und Strom so wenig kosten wie heute, rechnet sich ein Sonnenhaus nicht. Wer baut ein solches Haus, das (fast) vollständig mit erneuerbarer Energie beheizt wird? Derjenige, welcher einen Beitrag zu einer lebenswerten Zukunft leisten will. Daran wird es sich entscheiden.
Wir wollen mit dem Tatbeweis zeigen, was möglich ist. Auch wenn Illusionen von der immerwährenden Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe bremsen. Wenn wir heute bereits auf erneuerbare Energien setzen, gewinnen wir einen hohen Grad an Eigenversorgung und im Fall der solaren Wärme auch finanzielle Unabhängigkeit von künftigen Rohstoffpreisen.
Viele leugnen die Klimaerwärmung. Doch wenn Grönlands Eis abschmilzt – nach manchen Prognosen könnte bis zum Ende des Jahrhunderts der Wasserspiegel um 6-7 Meter steigen –, werden noch viel mehr Menschen ihr Daheim verlieren und zu Flüchtlingen werden.
Die Energiewende ist ein notwendiger Kraftakt. Wenn wir alle gemeinsam mitmachen, können wir sie erreichen.
Zum Buch:
Josef Jenni: Wie erreichen wir die Energiewende konkret? Eigenverlag, Oberburg, 2015, ISBN 978-3-906558-04-2
Josef Jenni, 62, Elektroingenieur HTL, Unternehmer und Umweltaktivist. Er ist verheiratet mit Karin und Vater von 3 erwachsenen Kindern.
Die Jenni Energietechnik AG in Oberburg, 1976 gegründet, gehört zu den europaweit bekannten Sonnenenergiefirmen. Sie beschäftigt rund 70 Personen. 2015 werden in Oberburg zwei zu 100 Prozent solar beheizte Mehrfamilienhäuser fertiggestellt. Interessierte können sie besichtigen. Infos auf http://www.jenni.ch/fuehrungen.html.
Datum: 06.11.2015
Autor: Peter Schmid
Quelle: wort+wärch