Gott, warum?
Ich sitze in einer wunderschönen Kirche im Süden Deutschlands, viele Menschen sind anwesend, das Sonnenlicht scheint durch die Kirchenfenster. Wir verabschieden uns gemeinsam von einem jungen Familienvater, der nach langer und schwerer Krankheit verstorben ist. Lange konnte ich die Trauer durch den eigenen Alltag immer wieder aufschieben und verdrängen, doch jetzt überkommt sie mich. Die Tränen laufen über meine Wangen und ich schreie innerlich zu Gott: «Warum? Warum muss die Familie dieses Leid ertragen? Warum hast du ihn nicht durch unsere Gebete geheilt? Nur ein Wort von dir hätte gereicht!» Diese Fragen werfe ich Gott entgegen.
So viel Leid
Es ist der zweite Todesfall eines Familienvaters in unserem Bekanntenkreis und während ich diese Zeilen schreibe, liegt ein weiterer Familienvater mit inneren Blutungen im künstlichen Koma.
Warum müssen unsere Freunde solch einen Schmerz erleben? Gott, warum greifst du nicht so ein, wie ich es mir vorstelle? Wut steigt in mir auf. Hier in der Kirche habe ich Fragen, Enttäuschung und auch plötzlich viel Wut im Bauch; denn dein Handeln, Gott, verstehe ich nicht! Ich verstehe nicht, warum unser Fasten keinen sichtbaren Erfolg gezeigt hat, warum unsere Gebete nicht geholfen haben. «Vater Gott, hörst du mich überhaupt noch?»
Gottes ausgestreckte Hand
Und genau hier, in meiner Wut, in meinem Unverständnis, in meiner Trauer, sehe ich dich, wie du mir die Hand entgegenstreckst und mich liebevoll anschaust. Mir fällt die Aussage in Jeremia Kapitel 31, Vers 3 ein: «Ich habe euch schon immer geliebt, darum bin ich euch stets mit Güte begegnet.»
Ich merke, wie viel Trauer und Wut der vergangenen Monate in mir steckt und im Gespräch mit meinem Mann werden mir noch mehr Gebete bewusst, die Gott nicht nach meinen Sehnsüchten erfüllt hat. Dass Gott kein Wunschautomat ist, erzähle ich den Kindern im Kindergottesdienst, dass Gott unsere Gebete erhört, gebe ich an sie weiter und auch, dass alles einen Sinn hat. Aber in mir drin brodelt es: «Gott, fair ist es nicht, dass andere leiden müssen, dass Familien trauern müssen!»
Seine Versprechen
Und da flüstert Gott mir zu: «Nein, das ist nicht fair und ich sehe dich. Ich sehe deine Trauer und deinen Schmerz. Ich sehe die Familien und das Leid, das sie erleben. Danke, dass du damit zu mir kommst und deine Wut an mich abgibst.»
Es tut gut zu wissen, dass Gott da ist, in meiner Verzweiflung. Meine Zweifel, die an manchen Tagen doch sehr gross sind, tausche ich ein gegen die Versprechen Gottes:
«Ich will dich trösten, wie eine Mutter ihr Kind.» Jesaja Kapitel 66, Vers 13
«Gott wird abwischen alle Tränen von Ihren Augen.» Offenbarung Kapitel 21, Vers 4
«Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden.» Johannes Kapitel 16, Vers 20
Während ich meinen Kindern ein paar Tage später ein Kinderbuch vorlese, wird mir bewusst, dass ich gerade in dieser Traurigkeit verschiedene Phasen durchlaufe, auch in meiner Trauer um meine Gottesbeziehung, so, wie ich sie kenne. Schadet es, frage ich mich? Fühle ich mich meinem himmlischen Vater nun nicht mehr nah? Oder kann ich nun mehr verstehen, wie du fühlst, Jesus? Kannst du mich nicht auch so gut verstehen? Jesus, du warst auch oft bewegt; hast mit deinen Freunden geweint und getrauert.
Nicht alleine
Trauer kann unterschiedliche Gründe haben: Ein geliebter Mensch stirbt, ein Traum ist geplatzt, das weltweite Leid, eine Freundschaft ist zerbrochen oder ein schweigender Gott – all dies sind Situationen, die Trauer auslösen und ich merke, dass es mir hilft, traurig zu sein. Die Trauer anzunehmen, der Wut Raum zu geben und die Gefühle zuzulassen hilft mir in meinem Trauerprozess. Schreien zu Gott hilft, denn er hört mir zu und möchte mich trösten. Und ich merke in diesem Prozess, dass ich ihn nicht alleine durchlaufe. Ich darf mich meinen Mitmenschen öffnen und gemeinsam mit ihnen weinen und klagen. Ich darf aber auch die Hand nehmen, die Gott mir ausstreckt und mit ihm gemeinsam diesen schweren Pfad gehen. Ich darf vertrauen, dass unser grosser Gott gemeinsam mit mir weint und mich liebevoll tröstet.
Die Liebe bleibt
Mein Vertrauen in Gott habe ich nicht verloren. Ich freue mich, dass meine Freunde sich als Familien im Himmel wiedersehen werden und dies vor allem gesund, denn im Himmel wird es keine Tränen mehr geben und keinen Schmerz. Dort wird es sicher auch Antworten geben auf Fragen, die ich heute noch habe.
In allem Unverständnis über Erlebtes und Erfahrenes, in Enttäuschung über den ausbleibenden «Erfolg» meiner Gebete, gehe ich den Weg weiter mit dir, denn ich glaube, dass du Gott es gut mit mir meinst und deine Liebe niemals aufhört.
«Wir haben erkannt, dass Gott uns liebt und haben dieser Liebe unser ganzes Vertrauen geschenkt.» 1. Johannes Kapitel 4, Vers 16
Und plötzlich entsteht mein ganz eigener Klagepsalm:
Mein Gott, warum lässt du dieses Leid zu?
In meinem Schreien höre ich dein leises Flüstern,
du Herr, der Ewige: «Ich bin da.»
Warum muss ich traurig sein und habe das Gefühl,
dass du meine Gebete nicht beantwortest?
In meinem Schreien höre ich dein leises Flüstern,
du Herr der Versorgung: «Ich höre dich.»
Wie lange muss ich beten, bis du Heilung schenkst?
In meinem Schreien höre ich dein leises Flüstern,
du Herr des Friedens: «Ich tröste dich.»
Mein Gott, warum reagierst du nicht?
In meinem Schreien höre ich dein leises Flüstern,
du Herr, der mich sieht: «Ich weiss, wie du dich fühlst.»
Ein Wort von dir würde genügen und Berge würden versetzt,
ein Wort würde genügen und Heilung würde geschehen.
Ein Wort, warum sprichst du es nicht?
In meinem Schreien höre ich dein leises Flüstern,
du Herr, der Arzt: «Ich liebe dich!»
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Datum: 13.02.2025
Autor:
Ann Katrin Krümpelmann
Quelle:
Magazin Joyce 01/2025, SCM Bundes-Verlag