Die Ukraine und die Religion

Der neue Präsident setzte gleich ein Zeichen

Bei den Präsidentenwahlen in der Ukraine hat der Neuaufsteiger Wolodymyr Selenskij einen Erdrutschsieg erzielt. Dieser sistierte sogleich ein diskriminierendes neues Religionsgesetz.
Wolodymyr Selenskij

Überraschend am Erdrutschsieg von Wolodymyr Selenskij war nicht so sehr die Tatsache der Abwahl des bisherigen Amtsinhabers Petro Poroschenko als das Ausmass von 73 Prozent der Stimmen für den Herausforderer. Und dies für einen im öffentlichen Leben unerfahrenen Kabarettisten. Beobachter in Kiew sprechen jetzt von einem «Macron-Effekt», weisen aber auch auf die umstrittene Kirchenpolitik des Vorgängers als Grund für dessen katastrophalen Misserfolg hin.

Poroschenkos Stimmenmagnet zog nicht

Die Schaffung einer von Moskau als bisherigem religiösen Zentrum unabhängigen (autokephalen) orthodoxen Nationalkirche für die Ukraine hatte sich Poroschenko eigentlich als Stimmenmagnet für seine fraglich gewordene Wiederwahl ausgedacht. Doch blieb der erwartete Widerhall aus, es gab kaum Übertritte von Bischöfen, Pfarrern und Gläubigen zum neuen Gebilde. Mit Gesetz Nr. 2662-VIII liess er daher durch das Kiewer Parlament die moskautreue Kirche als «ausländische Infiltration» ächten und verbot ihr die Bezeichnung «ukrainisch». Gleichzeitig wurden die Beschäftigung von Geistlichen und die Finanzierung aus dem Ausland unter Strafe gestellt. Die ukrainische Bevölkerung sollte nach ihrem eigenen Staat auch einheimische religiöse Strukturen erhalten.

Auch evangelische Kirchen wie das EGW betroffen

Dieses Gesetz traf aber neben den russischen Orthodoxen auch 265 andere, meist evangelische Gemeinschaften, deren Ukrainisierung bevorstand. So die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche der Ukraine mit vielen Pastoren aus Deutschland und ihrer Unterstützung durch das Gustav-Adolf-Werk oder die lutherische Missouri-Synode in den USA. Dasselbe galt in der Karpathenukraine für die Reformierte Kirche, der dort 11 Prozent der Bevölkerung angehören, die aber stark nach Ungarn ausgerichtet ist.

Die nationalistische Vision Poroschenkos hätte aber auch das segensreiche Wirken des Evangelischen Gemeinschaftswerkes (EGW) aus der Schweiz in der Ukraine bedroht. Der Einsatz seiner Aktiven in der von alkoholkranken Eltern (meist Vätern) vernachlässigten Kinderfürsorge im Raum von Luzk und anderswo wäre als «Auslandspropaganda» etikettiert worden.

Wichtige Stimmen für Wolodymyr Selenskij

Als einzige evangelische Gemeinschaft hatte die «Ukrainische Lutherische Kirche» mit ihren 31 Gemeinden Aussicht, die Anforderungen des neuen Gesetzes mit ihrer Verwendung der byzantinischen Liturgie und des julianischen Kalnders zu erfüllen.

Poroschenkos Vorgaben für «echt ukrainische» Kirchen sollten am 26. April in Kraft treten. Kein Wunder daher, dass am 21. April die meisten Orthodoxen und Evangelischen mit Russophilen, Altkommunisten und Atheisten für Herausforderer Selenskij gestimmt haben.

Ein Sohn jüdischer Eltern

Der 41-jährige Sohn jüdischer Eltern ist selbst religiös indifferent, und er scheint keine Gefahr für die Religionsfreiheit in der Ukraine darzustellen. Jedenfalls wurde sofort nach seinem Wahlsieg das Inkrafttreten des umstrittenen Religionsgesetzes aufgeschoben.

Allerdings ist von Selenskij, der Russisch und nicht Ukrainisch spricht, der seinen Aufstieg als Komiker jahrelang in Moskau und nicht in Kiew begonnen hatte, auch eine neue Hinwendung der Ukraine Richtung Russland zu befürchten.

Osten unter evangelischer russischer Religionspolitik

Dessen Religionspolitik im ukrainischen Osten, der unter dem Einfluss von Putin-hörigen Separatisten steht, sieht für evangelische Christen ziemlich bedrohlich aus: In den «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk sind alle freikirchlichen Gotteshäuser von Schliessung bedroht, Pfarrer und Gemeindeleiter werden festgenommen und misshandelt, Gebetszelte abgerissen. In Slavjansk haben sogar prorussische Freischärler zwei Diakone der Pfingstbewegung nach Folterungen ermordet.

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Datum: 24.04.2019
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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