Pastoren und Leitungspersonen aus der Arbeiterklasse
Pater Alex Frost erzählt eine typische Geschichte aus Zulassungsgesprächen der anglikanischen Kirche in England. Lee aus Liverpool wollte Pfarrer werden und wurde von der Prüfungskommission eingangs gefragt, wer sein Lieblingskünstler sei. «Eminem», antwortete er den Geistlichen. Die kannten zwar Mozart, Bach, van Gogh und Rembrandt, aber von dem Rapper hatten sie noch nie gehört. Was daran typisch ist? Hier begegnen sich Welten. Die akademische Welt der Theologen und die der Jüngeren bzw. sogar der Arbeiterklasse. Hier eine Brücke zu schlagen, ist eine der Herausforderungen theologischer Ausbildung heute.
Alex Frost und die Arbeiterklasse
Als Pater Frost auf der Generalsynode der Kirche von England sprach, erhielt er stehende Ovationen. Damit hatte er nicht gerechnet, denn sein Thema war eher kontrovers. Er forderte die versammelten Erzbischöfe, Bischöfe, Geistliche und Laien auf, neu darüber nachzudenken, ob ein einheitlicher akademischer Standard für die Priesterausbildung noch zeitgemäss wäre. One size fits all funktioniert nicht mehr, erklärte er sinngemäss. Die Ausbildung von Geistlichen würde talentierte und begeisterte Menschen aus der Arbeiterklasse benötigen.
Alex Frost ist selbst ein Beispiel dafür. Er erzählt: «Ich habe dann eine fabelhafte Karriere im Einzelhandelsmanagement bei Argos gemacht, aber die Tatsache, dass mein akademisches Portfolio so leer war wie einige unserer angeschlagenen Kirchen, wurde zu einem grossen Stolperstein auf meinem Weg zur Ordination.» Seine Jobs als Fussballschiedsrichter und Comedian halfen hier auch wenig. Inzwischen setzt er sich dafür ein, dass sich das ändert – unter anderem in einem Artikel bei Premier Christianity oder auch in seinem Podcast «God Cast». Frost sieht das nicht als einen Versuch, Vielfalt zu erzeugen, sondern als lebenswichtige Zufuhr von Begabung und Begeisterung. Er denkt nicht ans Abschaffen der akademischen Ausbildung, sondern an eine Ergänzung des Studiums durch andere Formate. Die «Church of England» ist nicht gerade als innovativ bekannt, aber die Zustimmung, seine Vorschläge zu prüfen, kam einstimmig. Man darf gespannt sein, was das praktisch bedeutet.
Theologie zwischen akademischer Ausbildung und Berufung
Auch im deutschsprachigen Bereich stellen sich ähnliche Spannungen dar: Einerseits ist gerade in den Landeskirchen der akademische Anspruch ans Theologiestudium hoch, andererseits fallen die Zahlen der Studierenden rapide. 2022 begannen in Deutschlands grösster Fakultät für evangelische Theologie in Tübingen nur 19 Studierende im Pfarramtsstudiengang – inzwischen sind die Zahlen einstellig! Freikirchliche Ausbildungsstätten bieten schon länger einen praxisorientierten oder auch Quereinstieg ins Pastorenamt.
Doch auch hier ist es selten der von Frost geforderte Zugang der Arbeiterklasse in den Beruf der Pfarrerin oder des Pastors. Das sogenannte «Priestertum aller Gläubigen» ist ein hohes Gut der Reformation. Niemand sollte aufgrund besonderer Weihen eine Art Mittlerfunktion zu Gott haben, stattdessen haben alle gleichermassen Zugang zu ihm. Eine fachliche Qualifikation – von Theologie bis hin zu den alten Sprachen der Bibel – ermöglicht natürlich einen kompetenten Zugang zu diesen Themen. Allerdings nicht automatisch zu alltagsrelevanten Themen und «dem Herzen» der Menschen. So werden auch hierzulande immer wieder Modelle geprüft, die Laienausbildung fördern, wobei gerade die Landeskirchen noch keine grossen Bewegungen zeigen, den Zugang zu ihren pastoralen Ämter zu öffnen.
Berufung oder Bildung?
Bei der Thematik geht es um einen Gegensatz, der eigentlich keiner sein sollte: Berufung oder Bildung? Beides ist wichtig. Keine Pfarrperson kommt ohne das eine wie das andere aus. Allerdings wurde im landeskirchlichen Bereich lange die Bildung überbewertet. Nun geht es nicht darum, Fachkompetenz abzuwerten, aber tatsächlich tut ein Blick in die erste Zeit der Christen sehr gut. Da gab es top ausgebildete Theologen an der Spitze wie den Apostel Paulus, der «zu den Füssen Gamaliels» gelernt hatte. Aber immer wieder auch Nachfolger wie Petrus und Johannes, von denen es explizit heisst: «Als sie [die Juden] aber die Freimütigkeit von Petrus und Johannes sahen und erfuhren, dass sie ungelehrte Leute und Laien seien, verwunderten sie sich; und sie erkannten, dass sie mit Jesus gewesen waren.» Die Spannung zwischen Berufung und Bildung begleitet die Geschichte der Kirche von Beginn an. Zu den besten Zeiten gab es hier allerdings kein Entweder-oder. Dass dies auch ein guter Ansatz für die Zukunft von Kirchen und Gemeinden ist, dafür steht nicht nur Alex Frost in England.
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Datum: 05.03.2025
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet