Pfarrer Geri Keller

«Bruder Klaus war ein Komet»

«Da haben sich zwei gefunden», würde man sagen, wenn der eine nicht seit bald 600 Jahren tot wäre. Geri Keller hat ein Buch über Niklaus von Flüe geschrieben, das von einer tiefen inneren Verbundenheit zeugt. Im Interview erklärt er, welche Bedeutung der Schweizer Mystiker und Nationalheilige für ihn hat.
Geri Keller von der Stiftung Schleife sprach am Anlass in Flüeli Ranft.
Bruder Klaus
«Der Name Jesus sei euer Gruss»

idea Spektrum: Geri Keller, Sie schreiben in Ihrem Buch von einem «Herzensbekenntnis zu Bruder Klaus». Identifizieren Sie sich persönlich mit ihm?
Geri Keller: Nichts würde mir fernerliegen! Klaus war ein Komet in der Geschichte der Menschheit, wie er nur selten gesehen wird. Aber je länger man sich mit ihm beschäftigt, desto mehr wächst die Liebe zu diesem Mann. Er setzte alles auf eine Karte, um seinen Gott zu kennen und ihm allein dienen zu können. Dafür hat er alles losgelassen: eine grosse Familie, seinen gesellschaftlichen Status als hoch geachteten Regierungsvertreter, Richter und Mediator. Dazu die Annehmlichkeiten eines bürgerlichen Lebens. Dass er (während zwanzig Jahren) praktisch nicht mehr essen und trinken musste, betrachtete er als Gnade. Er hatte buchstäblich nichts mehr als seinen Eremitenrock auf dem blossen Leib und eine hölzerne Zelle mit zwei kleinen Räumen.

Auf die Frage, wie man das Leiden Jesu meditieren müsse, sagte er, (der nichts mehr hatte), es fühle sich so an, wie wenn man zum Tanze gehen oder in einen Kampf ziehen würde. Ohne, dass er es so formulieren konnte: Er hatte erreicht, was Paulus schrieb über unsere Bestimmung, nämlich Jesus ähnlich zu werden.

Mystiker, Friedensstifter, Landesvater, Heiliger, Mensch. Was sticht für Sie an der Person Bruder Klaus heraus?
Eindeutig der Mensch. Bruder Klaus hat nie versucht, aus sich einen Heiligen zu machen. Bei ihm gibt es keine frommen Augenaufschläge, kein religiöses Deo. Er war und blieb Mensch; echt, authentisch bis zur Fusssohle, die keine Schuhe mehr sah. Gott gestattete ihm auch nicht, ausser Landes zu gehen, um sich – fern vom alten Leben – nochmals neu zu erfinden. Nach schweren inneren Kämpfen war er schliesslich willens, sich sozusagen im Schaufenster der Ranft seinen eigenen und den Landsleuten zuzumuten. Noch heute führt der Weg hinunter in die Ranftschlucht am ehemaligen Wohnhaus von Bruder Klaus und seiner Frau Dorothea vorbei. So, wie der Menschensohn Jesus einer «von Nazareth» war, so musste auch Klaus ein «von Flüe» bleiben.

Im «Bruder-Klaus-Jahr» wird viel über Bruder Klaus geschrieben und gesagt. Wird man seiner Person aus Ihrer Sicht gerecht?
Ich bin dankbar, dass als Motto über diesem Jahr «Mehr Ranft» gewählt wurde. Damit wird nicht zuerst ein Mensch gefeiert, so sehr wir auch von Bruder Klaus lernen können. Es geht für uns alle um ein «Hinab», um ein Innehalten, auch um ein In-sich-Hineinschauen und -Hineinhören. Wir sind schnell bereit, den Friedens- und Versöhnungsdienst von Bruder Klaus auf den Leuchter zu stellen. Doch dies sind die Früchte eines Lebens mit Gott. Das Wurzelwerk dieses Lebens, aus dem die durchschlagende Kraft und Autorität wächst, ist das Gebet und ein verborgenes Leben mit Gott. Diesen Aspekt versuchte ich in meinem Buch herauszuarbeiten.

Sie wählten als Untertitel Ihres Buches «Thesenanschlag Gottes». Sehen Sie Parallelen zwischen Bruder Klaus und Martin Luther?
Luther war wie Klaus durch und durch Mensch, nur mit dem Unterschied, dass er gerne ass und trank. Auch in der Aussage, dass Gott dem Menschen zugewandt ist und dass uns das Versöhnungswerk Jesu am Kreuz zu einem neuen Leben befreit, treffen sich die beiden. Doch finden wir vor allem in den drei grossen prophetischen Visionen von Bruder Klaus ungleich tiefere und buchstäblich atemberaubende Bilder vom Wesen Gottes. Bei beiden Männern kann man von einem revolutionären Thesenanschlag Gottes sprechen. Bei Luther, dem sprachgewaltigen Theologen und Bibelübersetzer, waren es seine 95 Thesen, die eine Erschütterung der damaligen Gesellschaft zur Folge hatten. Bruder Klaus hingegen war Analphabet, von dem uns nur wenig Diktiertes erhalten ist. Doch sein Leben mit Gott, sein radikaler Gehorsam und sein reiches Geistesleben bilden in sich einen bis heute nachwirkenden Thesenanschlag.

Sie deuten die Visionen von Bruder Klaus in Ihrem Buch. Welche Botschaft beinhalten diese für uns heute?
Ich verstehe sie als prophetisches Wort, das aus dem Herzen Gottes kommt und in sich eine Lebenskraft trägt, die uns nach Jahrhunderten noch berühren und treffen kann. Ich beschränke mich darauf, einige Grundaussagen anzudeuten. Da ist eine verzehrende Sehnsucht Gottes nach Gemeinschaft mit seinem Geschöpf zu spüren – nach dem Einswerden, wie es im hohepriesterlichen Gebet von Jesus in Johannes, Kapitel 17 geschildert wird. Natürlich bleibt Gott der heilige Gott, wie ihn Klaus erfahren hatte, und wir sind und bleiben seine Geschöpfe.

Aber der Vater im Himmel sucht uns als Pilger, der über uns zuerst im Chor mit Himmel und Erde sein bedingungsloses Halleluja singt. Er zieht wie ein Bettler den Hut vor uns und bittet um eine Gabe, die er uns vorher in die Hand hineinlegt, so als wäre er selber ein Bedürftiger. Er trägt gut sichtbar eine mit Gold gesprenkelte Bärenhaut – also unsere eigene Haut als wahrer Mensch (und Gott). Er verschenkt sich und seine Liebe masslos und verschwenderisch, wie es in der Brunnenvision beschrieben wird, wo sich das Herz Gottes wie in einer Sturzflut ausschüttet als Wein, Öl und Honig. Doch die Menschen sind so mit sich selber und ihrem Alltag beschäftigt, dass niemand hineingeht, um von diesem Reichtum zu schöpfen. Und schliesslich: Gott selber, der Vater und Ermutiger, nimmt sein zweifelndes Geschöpf in seinen Arm und dankt ihm überschwänglich für die Brosamen seiner Liebe, gemäss den Worten Jesu: «Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.»

Wie ordnen Sie Marienerscheinungen von Bruder Klaus ein?
Niklaus von Flüe war ein katholischer Gläubiger in einer damals konfessionell noch nicht getrennten Kirche. Bilder zeigen ihn mit dem selbstverständlichen Attribut einer Gebetskette, später einmal Rosenkranz genannt. Dass er eine tiefe Liebe zu Maria hatte, die ihm gemäss einem Fresko einmal erschienen sein soll, ist ebenso bekannt. Und doch treten bei den Menschen guten Willens diese sogenannt «katholischen» Züge seines Glaubens völlig zurück hinter die alles überstrahlende Jesus- und Gottesliebe von Bruder Klaus.

Deshalb wurde er auch – im Gegensatz zu vielen andern Heiligen – von Anfang an als eine ökumenische Gestalt wahrgenommen. Auch unsere Reformatoren sprachen mit Hochachtung von Bruder Klaus. Man ist versucht zu formulieren: Je mehr Jesus in uns lebt und sich ausprägt, desto weniger konfessionell Trennendes gibt es zwischen den Gläubigen.

Warum ist Niklaus von Flüe für uns, in unserer Zeit, immer noch bedeutsam? Was ist sein Vermächtnis?
Es gibt das geflügelte Wort: Ganz sein oder lass es ganz sein! Unsere Kirchen und Gemeinschaften leiden zum Teil unter einer grassierenden Halbherzigkeit derer, die sich doch Christinnen oder Christen nennen. Es dominiert das «Ich – Mein – Mir». Dabei wissen wir alle, dass die alte Losung von Wilhelm Busch immer noch gilt: «Jesus unser Schicksal». Soll Hilfe kommen, dann nur durch ihn, und zwar auch durch ihn in uns, sagte doch schon Paulus: «Ich vermag alles durch den, der mich stark macht!»

Gott hat sein Reich in unsere Hand gegeben. Es liegt jetzt an uns, dass wir uns Jesus ganz hingeben, damit es in Kraft kommen kann. Das Leben von Bruder Klaus, das vor 600 Jahren mit allen inneren Brüchen und Kämpfen begann, mag uns dazu ermutigen.

Zum Buch

Pfarrer Geri Keller (86) hat sich jahrelang mit Niklaus von Flüe (1417-1487) auseinandergesetzt. Im seinem Buch «Der Name Jesus sei euer Gruss, Bruder Klaus ein Thesenanschlag Gottes» bietet Keller einen persönlichen Blick auf das Leben des Schweizer Heiligen, dessen Geburtstag sich 2017 zum 600. Mal jährt. Neben der Hervorhebung einzelner biografischer Aspekte bildet die Behandlung der drei grossen Visionen von Bruder Klaus einen Schwerpunkt. Der Gründer der Stiftung Schleife nimmt die Lesenden mit hinein in die starke Bildwelt des Eremiten und deutet die Texte für die heutige Zeit

«Der Name Jesus sei euer Gruss» bestellen

Zum Thema:
Gott und den Menschen nahe: 260 Personen verschiedener Kirchen bei Bruder Klaus

600 Jahre Bruder Klaus: Beter und Gründergestalt für die heutige Schweiz
25 Jahre Stiftung Schleife: Ein Miteinander der Generationen

Datum: 23.09.2017
Autor: Christof Bauernfeind
Quelle: idea Spektrum Schweiz

Werbung
Livenet Service
Werbung