Marycha: Aus der Dunkelheit ins Licht
«Just Marycha» heisst sie in den sozialen Medien, einfach nur Marycha. Und sie strahlt das Selbstbewusstsein einer Person aus, die weiss, wer sie ist, und dass Gott sie in seiner Hand hält. Doch das war nicht immer so.
Marycha kommt in Deutschland als Sieben-Monats-Kind viel zu früh auf die Welt. Die Tochter der dreimaligen Miss Togo und eines französischen Soldaten hat keinen leichten Start ins Leben.
Von vorneherein abgelehnt
Immer wieder ziehen ihre Eltern um – der Vater wird regelmässig versetzt. Da ist es eine zusätzliche Belastung, dass Marycha nicht laufen lernt. Mit anderthalb Jahren kommt sie deshalb für sechs Monate ins Krankenhaus. Die Eltern besuchen sie nur alle 14 Tage – eine Katastrophe für das sensible Mädchen. Immer wieder muss sie in den folgenden Jahren in die Klinik, doch auch wenn sie daheim ist, fühlt sie sich nicht zu Hause.
Für ihre autoritäre Mutter ist sie so etwas wie das Aschenputtel der Familie. Den ganzen Tag heisst es für sie: «Tu dies und mach das!», während ihre Geschwister alle Freiheiten geniessen. Oft schickt die Mutter das schüchterne Mädchen im kleinen badischen Dorf, wo sie inzwischen leben, zum Einkaufen in den Supermarkt. Und wehe, sie bringt etwas Falsches mit nach Hause, dann wird sie wieder und wieder hingeschickt und schämt sich vor der Kassiererin in Grund und Boden. Als sie acht Jahre alt ist, verlässt der Vater die Familie. Damit verschwindet das letzte bisschen Zuwendung aus ihrem Leben.
Freiheit im Internat
Mit zwölf Jahren wird Marycha in ein Internat im Elsass geschickt. Sie soll ihr Französisch verbessern. Manche um sie herum leiden im Internat – Marycha blüht auf. Hier darf sie sein, wer sie ist. «Es war die beste Zeit meiner Jugend», sagt sie heute. Anstrengend sind nur die Wochenenden, an denen sie nach Hause muss. Deshalb verbringt sie so viel Zeit wie möglich mit ihrer Clique – und ihrem Freund.
Schwanger, was nun?
Mit 18 Jahren wird Marycha schwanger. Bis zum sechsten Monat verheimlicht sie dies vor ihrer Mutter. Sie hat Angst. Als sie es ihr auf Anraten des Arztes doch erzählt, wird sie verprügelt und hinausgeworfen. «So eine Schande – und das unter unserem Dach. Verschwinde!» Es dauert mehr als ein Jahr, bis die Mutter ihre Tochter wiedersieht und das Enkelkind einmal in den Arm nimmt.
Die folgende Zeit ist schwer für Marycha: Ihr Freund ist mit der Situation überfordert und hat weder eine eigene Wohnung noch verdient er etwas. Zur Entbindung geht sie allein ins Krankenhaus, der Vater des Kindes kommt zu spät zur Geburt. Eine Weile später findet er Arbeit in der Bekleidungsfertigung. Sobald ihre kleine Tochter alt genug ist, beginnt auch sie, dort zu arbeiten.
Ein Mann mit zwei Gesichtern
Schon vorher ist Marychas Beziehung zu ihrem Freund nicht einfach – jetzt wird sie katastrophal. Krankhaft eifersüchtig versucht er, jeden Kontakt von ihr nach aussen zu unterbinden. Mal zieht er sich komplett zurück und versteckt sich weinend im Kleiderschrank, mal wird er aggressiv. Schliesslich zieht er ein Messer und bedroht sie. Marycha sagt: «Wenn ich heute in der Zeitung lese, dass ein Mann seine Frau erstochen hat, dann weiss ich, wie so etwas geschieht. Ich weiss, wie sich das anfühlt.» Sie kann ihn überreden, das Messer wegzustecken und zieht sich zu ihrer Tochter ins Schlafzimmer zurück. Dort schreckt sie kurz darauf aus dem Halbschlaf hoch. Wieder steht er mit dem Messer in der Hand vor ihr. Diesmal diskutiert Marycha nicht. Sie wirft den Vater ihrer Tochter aus der Wohnung. Von jetzt an ist sie alleinerziehend.
Heraus aus der Finsternis
Danach macht Marycha düstere Erfahrungen. In Wachträumen hat sie immer wieder den Eindruck, dass finstere Gestalten in ihre Wohnung kommen und sie bedrohen. Als sie darüber mit einem Nachbarn spricht, nimmt dieser sie sehr ernst: «Du musst anfangen, in der Bibel zu lesen», empfiehlt er ihr. «Und wenn diese Wesen kommen, dann rufe Jesus zu Hilfe.»
Das klingt seltsam für sie, doch eines Nachts hat Marycha den Eindruck, dass sie jemand erwürgen möchte. Sie will «Jesus» sagen, bekommt aber keinen Ton heraus. Schliesslich kann sie doch noch rufen: «Jesus, Jesus!» und der Spuk hat ein Ende. Dreimal macht sie ähnliche Erfahrungen, und jedes Mal muss die Finsternis weichen. Von diesem Moment an weiss Marycha um die Macht des Namens «Jesus». Für sie ist es klar: «Der Teufel ist geflohen, und ich habe mein Leben Jesus Christus gegeben.»
Ein langer Weg der Heilung
Die junge Frau beginnt, in der Bibel zu lesen, besucht einen Gottesdienst und lernt Gott besser kennen. Auf Anraten eines Freundes zieht sie mit ihrer Tochter nach Frankfurt. Während diese in der Schule sitzt, besucht Marycha die Berufsschule und macht eine Ausbildung als Friseurin, dann die Fachhochschulreife und studiert schliesslich Sozialpädagogik. Langsam gewinnt ihr Leben Struktur, doch über viele Jahre belastet sie ihre Vergangenheit.
Der Glaubensschritt in die Freiheit war tatsächlich nur einer von vielen Schritten. Marycha stellt sich ihrer Vergangenheit. Sie erfährt von okkulten Praktiken in ihrer Familie, sie arbeitet ihre lieblose Kindheit auf, sie nimmt Seelsorge in Anspruch, aber auch psychotherapeutische Hilfe. Und immer wieder lernt sie Menschen kennen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie sie. Das bestärkt sie im Gedanken, diesen Menschen – besonders Frauen – zu helfen. Sie hört ihnen zu. Sie erzählt ihre eigene Geschichte. Und sie vermittelt Hoffnung. Immer wieder erklärt sie anderen: «Deine Vergangenheit definiert nicht, wer du heute bist oder sein möchtest.»
Ihr Leben hat sich verändert: Sie ist frei von Depressionen und erlebt Gottes Frieden. Licht ist in die Dunkelheit gekommen. «Mein Name ist Marycha. Just Marycha. Gott hat mich bei meinem Namen gerufen.»
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Datum: 07.06.2022
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet