«Kirche passiert am Tisch»
«Wir hatten schon immer ein offenes Haus, luden jeweils zum Freitagsznacht ein», erzählt der Hobbykoch Roli Staub. «Dann versammelten sich bis zu 30 Leute im ganzen Haus, assen und redeten zusammen.» Von der Stelle der Basler Stadtmission fühlte sich der 34-Jährige deshalb sofort angesprochen. «Kirche passiert am Tisch», findet er. Und wenn er von Gottes Liebe erfüllt sei, werde auch sein Gegenüber davon berführt, ob mit oder ohne Worte. Seit einem Jahr engagiert er sich nun mit einem 20-Prozent-Pensum in Grossbasel. Er möchte die Menschen, denen er dabei begegnet, zum Aufblühen bringen.
Gegen die Vereinsamung
Acht Jahre arbeitete Roli in Riehen als Pfarrer, nun wohnt er mit seiner Familie in Kleinbasel. «Ich entdecke in Basel viele Lokale, die zum Verweilen einladen», berichtet er. «Sie leben alle vor allem von den kreativen Menschen, die einem mit echter Gastfreundschaft begegnen.» Zweimal pro Woche besucht er einen halben Tag lang Wirte und Servierpersonal, trinkt etwas, beobachtet das Geschehen. Er stellt sich vor, lernt Einzelne näher kennen. Manchmal habe jedoch niemand Zeit für ein Gespräch mit ihm. dann zieht er weiter.
Dieser unvorhersehbare Verlauf seiner Einsätze sei kräfteraubend. Dann schwingt er sich aufs Velo, bis er wieder zur Ruhe kommt. «Die Pandemie hat gezeigt, dass Gastronomiebetriebe systemrelevant sind», stellt er fest. «Sie beugen der Vereinsamung vor. Das Personal verschenkt oft mehr als ein Lächeln – es hört auch zu.»
Stress pur
Die Pandemie bescherte vielen Gastronomen enorme finanzielle und personelle Herausforderungen. «Jetzt, wo das Leben langsam in die Lokale zurückkehrt, fehlt es überall an gut qualifizierten Arbeitskräften», stellt Staub klar. «Viele Inhaber stemmen den Betrieb notgedrungen fast allein.» Als er in einem Café eine Tasse Tee trinkt, erzählt ihm die Inhaberin, dass sie einen Monat vor dem Lockdown ihr Lokal eröffnet und ihr ganzes Vermögen investiert habe. «Hier habe ich nicht einfach eine Lösung parat», gesteht der 34-Jährige. «Aber zuhören, Zeit schenken und wiederkommen kann echt helfen.»
Ein anderes Mal beobachtet er, wie ein Randständiger ein Restaurant betritt und Unruhe stiftet. Der Wirt geht auf ihn zu, redet freundlich mit ihm, sodass er das Lokal wieder verlässt. Obwohl Staub als Privatperson da ist, spricht er dem Gastronomen vor dem Gehen ein grosses Kompliment aus: «Sie haben die Situation souverän gelöst. Ich danke Ihnen dafür!» Dieser freut sich über die positive Reaktion, und schliesslich sitzen die beiden noch eine Weile zusammen und tauschen aus.
Der berühmte Tropfen
Angesichts der fast 2'000 Gastbetriebe in der Stadt scheint der Einsatz an zwei Halbtagen nur ein Tropfen auf den heissen Stein zu sein. Doch Roli Staub erzählt von bewegenden Erfahrungen. Er durfte die Übergabe eines Betriebs an die jüngere Generation begleiten. Als der Vermieter sein Lokal nicht weiter zur Verfügung stellen wollte, ging Roli mit zu einer Aussprache. Anschliessend feierte er mit den neuen Pächtern den neuen Vertrag.
Ein anderes Mal forderte ihn eine traurige Situation heraus. «Kannst du kommen?», klang es aus dem Handy. Nach einem Suizid stand er dem Personal bei, hielt Trauer, Wut und Überforderung aus. Gemeinsam erinnerten sie sich an die verstorbene Person und nahmen so Abschied. «Da sein, Anteil nehmen – das genügt oft», so Staubs Erfahrung.
Je weniger Gott …
Er tankt Kraft und Empathie durch seinen Glauben. Doch missionieren will er nicht. Lieber baut er mit Freunden an einem Kirchen-Startup, der «Bridgetownchurch» in Kleinbasel. Er ist zu 70 Prozent dafür angestellt. «Wir wollen dort Beziehung leben und einladen, Gott kennenzulernen.» Seine Erfahrung habe gezeigt: «Je weniger Gott, desto grösser die Not.» Daher setzt er sich dafür ein, dass Gott wieder relevant wird in der Gesellschaft.
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Datum: 30.03.2023
Autor:
Mirjam Fisch-Köhler
Quelle:
Viertelstunde für den Glauben