Moderne Stolpersteine

Ist die Bibel konservativ oder progressiv?

Darf man eine alttestamentliche Aussage gegen Homosexualität zitieren? Soll man sich als Pfarrer für die «Ehe für alle» einsetzen? Was ist wirklich «biblisch»?
Vitus Huonder

«Todesstrafe für Homosexuelle» vs. Trauung von homosexuellen Paaren

Die Fernsehpfarrerin Sybille Forrer und weitere exponierte Pfarrkollegen in der reformierten Zürcher Kirche plädieren öffentlich dafür, dass die Kirche auch homosexuelle Paare trauen soll. Anders der Churer Bischof Vitus Huonder: Er hat am 31. Juli in Fulda (D) einen Vortrag über Ehe, Sexualität und Familie gehalten. Dabei zitierte er Bibelstellen aus dem Buch «Levitikus», die für praktizierte Homosexualität die Todesstrafe vorsehen.

Zwei Extrembeispiele. Und die Folgen? Während sich über den Churer Bischof eine Flut von Kritik, Spott und Häme ergiesst und sein Zitat ihm eine Anklage der Homosexuellen-Organisation Pink Cross eingetragen hat, werden die Äusserungen der Zürcher Reformierten, welche die traditionelle und biblisch fundierte Ehe in Frage stellen, bislang gelassen aufgenommen. Sie scheinen einfach einen Trend vorwegzunehmen.

Traditionelle Werte unbeliebt

Man merkt: Wer die Bibel und christliche Traditionen in Frage stellt, hat es in der säkularen und kirchlichen Öffentlichkeit wesentlich einfacher, als wer sie verteidigen will. Wer sich für die traditionellen Werte und Ordnungen einsetzen will, braucht gute Argumente, Nerven und die Bereitschaft, durch den Fleischwolf gedreht zu werden.

Jesus war alles andere als konservativ

Tatsache ist: Die Bibel steht mit ihren Ordnungen und Werten oft quer zu modernen Überzeugungen. Sie ist damit konservativ. Jesus war aber oft auch sehr progressiv, hat bestehende Ordnungen in Frage gestellt und neue Massstäbe aufgerichtet. So hat er sich im konkreten Fall gegen die übliche Todesstrafe für eine «Ehebrecherin» eingesetzt. Oder er hat die Sabbatgesetze relativiert, wenn sie verhinderten, dass einem Menschen in einer Notlage geholfen wird. Sein Massstab war die selbstlose Gottes- und Menschenliebe.

Er hat sich nicht nur für «Sünder und Zöllner» (Lukas 19, 1-10) eingesetzt und mit ihnen Zeit verbracht, er hat sich auch gegen akzeptierte Praktiken wie den Handel auf dem Tempelgelände bei religiösen Festen stark gemacht (Markus 11, 15-19), und dies sogar handgreiflich. Damit war er progressiv und hat so viele Zeitgenossen verwirrt und gegen sich aufgebracht.

Bibel ist konservativ und progressiv

Die Bibel, die davon berichtet, ist somit gleichzeitig konservativ und progressiv. Sie schützt menschendienliche Ordnungen und Strukturen, deren Auflösung den Menschen auf die Länge nicht gut tut. Gleichzeitig stellt sie rituelle Gesetze und religiöse Praktiken im Namen der Liebe in Frage, wenn sich diese gegen das Wohl der Menschen richten. Sie ist sowohl gegen Gesetzlichkeit wie moderne Beliebigkeit. Sie postuliert als höchsten Wert die selbstlose Liebe. Jesus zeigt am Beispiel der Bergpredigt, besonders in den «Seligpreisungen» (Matthäus 5, 1-11), was er darunter meint.

Diese Liebe fordert Christen in allen Zeitaltern heraus. Denn sie bedeutet kein absolutes Ja zum Status quo noch fordert sie, alles zu verändern. Wichtig bleibt aber, dass der «Geist von Jesus Christus» dort spürbar ist, wo sich Christen über Menschen, Strukturen, gesellschaftliche Ordnungen und in der Politik äussern. Und da ist die Latte – es sei zugegeben – hoch gesetzt.

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Datum: 10.08.2015
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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