Christen machen in der Krise einen Unterschied
Andreas Zurbrügg, wo und wie arbeitet SAM global in
Sri Lanka?
Andreas Zurbrügg: Die Arbeit von SAM global in Sri
Lanka ist in zwei Bereiche beziehungsweise Projekte aufgeteilt. Im Rahmen des ProEQUIPs unterstützen wir mehrere theologische Ausbildungsstätten, welche junge
Männer und Frauen auf allen möglichen Niveaus und in unterschiedlichen
Arbeitsbereichen für die Arbeit in den lokalen Gemeinden ausbilden. An der
Handwerkerschule CCS im Nordosten der Insel bilden unsere Einsatzleistenden
zusammen mit lokalen Fachleuten Bauhandwerker aus. Da die Lernenden und die
meisten Ausbildenden gemeinsam Wohnen, ist es für alle auch eine Lebensschule.
Wie erleben die SAM-global-Mitarbeitenden die
aktuelle Lage vor Ort?
Auf zwei Jahre Corona mit sehr strengen Lockdowns
folgte Ende 2021 eine schlimme Wirtschaftskrise, welche auch massive politische
Auswirkungen hat. Die Energieknappheit ist stark zu spüren. Es wird
hauptsächlich wieder auf dem Holzfeuer gekocht. Ein Generator brummt während
den stundenlangen Stromausfällen – jedenfalls, wenn genug Treibstoff vorhanden
ist. Stundenlanges Anstehen für Benzin und Diesel gilt für alle. Dazu kommt die Teuerung, welche sich direkt auf die
Auftragslage im Baugewerbe auswirkt. Bauaufträge zu generieren, um die
praktische Ausbildung an der Handwerkerschule CCS zu gewährleisten, ist aktuell
kaum möglich. Für die Einsatzleistenden ist es beelendend mit anzusehen, wie
die starke Inflation die Bevölkerung mehr und mehr in die Armut treibt.
Welche Aufbrüche erleben Sie bei Ihrer Arbeit in Sri
Lanka?
Die Kirche übernimmt in der Krise Verantwortung – das
ist schön. Kirchen und private Initiativen mobilisieren Menschen und Mittel, um
die am schwersten Betroffenen mit Nahrung, Kleidung und medizinischer
Versorgung zu unterstützen. Am CCS werden auch Jungs aufgenommen, die aus
schwierigen sozialen Verhältnissen kommen. Nicht alle schaffen es, sich mit der
Gruppe und den verschiedenen Ethnien zu sozialisieren. Jene, die bleiben,
erleben Veränderung. So kann man hier ein versöhntes, brüderliches Miteinander zwischen
Singalesen und Tamilen erleben.
Können Sie eine Lebensgeschichten mit uns
teilen, wie Menschen durch Ihre Arbeit verändert worden sind?
Vor über zehn Jahren kam Josua als schüchterner
Lernender ans CCS. Viele meinten, er sei zu schwach, um auf dem Bau arbeiten zu
können. Dank seines starken Willens, Fleiss und viel Unterstützung ist er heute
jener Vorarbeiter, der gerufen wird, wenn es irgendwo zu sozialen Spannungen kommt. Er ist Mentor und Vorbild für die Lernenden und eine Stütze im Team.
Auch handwerklich ist er besonders begabt und ein sehr geduldiger Ausbildner.
Welchen Unterschied macht der Glaube in der
gegenwärtigen, schwierigen Situation?
Die Christen in Sri Lanka nutzen die sozialen Medin
sehr stark, um sich gegenseitig zu ermutigen. Anders als die grosse Masse
wettern sie nicht gegen die Politik, sondern orientieren sich nach oben: Gott
hat alle Macht. Der Glaube an Jesus gibt Hoffnung, wo es nichts mehr zu hoffen
gibt. Viele sehen die Krise auch als Chance: Wo Menschen in Not geraten, können
wir Christen Licht und Hoffnung bringen.
Gibt es neue Projekte, die bei Ihnen anstehen?
Natürlich unterstützen wir unsere
Partnerorganisationen aktuell mit Nothilfeprojekten.
In der theologischen Ausbildung geht der Trend ganz klar hin zu Online-Trainings. Es besteht ein Bedarf in der grossen sri-lankischen Diaspora, in einer der Landessprachen theologische Schulungen besuchen zu können. Die erschwerten Reisebedingungen begünstigen ebenso das Studium von zu Hause aus. Daher unterstützen wir unsere Partnerorganisationen im Aufbau dieser Infrastrukturen.
Am CCS gibt es im Moment keine neuen Projekte, da bereits das Überstehen der Krise eine Herausforderung darstellt. Ein Fernziel ist es, den Abgängern beim Aufbau ihrer eigenen Unternehmen noch bessere Unterstützung bieten zu können, sei es durch Bildungsmodule, Coaching oder Startfinanzierung.
Was bewegt Sie persönlich bei Ihrer Arbeit besonders?
Spannend an meiner Arbeit sind die Kontakte zu
Menschen, die meinen Glauben und meine Werte teilen aber in einer ganz anderen
Welt leben. Die Herausforderung, «zwischen den Kulturen zu vermitteln», ist eine
der schönen Aufgaben in meinem Alltag.
Was können wir im deutschsprachigen Europa aus der
Arbeit von SAM global in Sri Lanka lernen?
Uns zu freuen an dem, was wir erreichen, anstatt uns über das zu ärgern, wo wir scheitern.
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Datum: 12.09.2022
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet