Gründe für den Zustrom
Was macht Jugendkirchen so attraktiv?
In einem Büro der FACTS-Redaktion sitzen fünf Jugendliche. Sie beantworten die Fragen der Reporter. Was bewegt sie? "Wir haben halt viel mehr Angst vor der Zukunft", sagen sie, oder "Vor zwei Jahren im Internat, da hatte ich niemanden, mit dem ich über meine Probleme sprechen konnte. Da kifft man dann eben." Ein anderer: "Familie, das bedeutet für mich einfach Sicherheit, Geborgenheit. Es ist etwas, das einem Halt gibt "1 .
"Montagmittag, 12.15. Die Bibelgruppe im Gymnasium Leonhard trifft sich. Sie nennt sich jetzt "Breeze". Das bedeutet "eine frische Brise", und das wollen sie sein. Sie fangen an zu essen, und damit ist die "coop food time " (ausgesprochen "cuup fuud taim") eröffnet. Anschliessend gehts weiter mit "breeze praise" (Anbetung). Manchmal lassen sie das aus und kämpfen sich stattdessen durch ein "school shake" (Gebet). Nach dem "Sprungbrätt" (Input)verarbeiten sie das Gehörte in den Minigruppen. Es ist 14.15, die Schülerinnen und Schüler hasten wieder in den Schulalltag.
Sonntagabend, 17.35. Die letzten Gottesdienstbesucher trudeln in der Theodorskirche ein. In den Seitenreihen finden sie noch Sitzplätze. Die Scheinwerfer sind auf die Band gerichtet. Nach dem Eingangslied betritt die Moderatorin die Bühne. Sie heisst alle Gäste willkommen, die Erstbesucher erhalten ein kleines Willkommensgeschenk. Sie sollen sich wohl fühlen. Der Aufruf zur finanziellen Unterstützung gilt nicht für sie. Währenddessen projiziert der Videobeamer die Infos auf die Grossleinwand. Anschliessend: Anbetung, Sketch, Predigt. Es ist eine "Kirche, die Spass macht". Es ist 19.30, die Kirche leert sich. Einige gehen noch ins "Vineyard Cafe" gegenüber zum Essen, Lachen, Austauschen.
Drei Szenen mit jungen Menschen. Auf der einen Seite eine Gruppe entkirchlichter Teenager mit ihren Bedürfnissen, auf der anderen Jugendliche und junge Erwachsene, die zusammenkommen, um Gott zu feiern. Wie gross ist der Graben dazwischen? Wie kann er überwunden werden? Einige junge Gemeinden scheinen das Erfolgsrezept entdeckt zu haben. Sie sind so attraktiv, dass Hunderte Jugendlicher jeden Sonntag - und oftmals noch unter der Woche - an ihren Aktivitäten teilnehmen. Martin Baumann, Leiter vom ICF 2 Basel, sagt, er wolle Brücken von den Menschen zu Gott bauen. Offensichtlich gelingt das. Was sind die Gründe für den starken Zustrom?
Den Juden ein Jude
"Und ich bin den Juden wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne 3 ." Mit diesen Worten beschreibt Martin Baumann einen Teil des ICF-Erfolgs. Es gehe darum, die Sprache der Jugendlichen zu sprechen und auf der gleichen Ebene mit ihnen zu kommunizieren.
Sobald die richtige Sprache gesprochen wird, fühlen sie sich verstanden und kommen. Sie sind weder überfordert noch haben sie das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu sein. Die Leute haben den gleichen Kleidungsstil, hören dieselbe Musik, lachen über die gleichen Witze, teilen ähnliche Probleme.
Entsprechende Reaktionen bekommt man zu hören: "Es geht viel ab" ,man braucht sich nicht zu schämen", "man kann gut andere Leute mitnehmen", erzählen Mitglieder. Beim Stichwort "ICF" denken sie an "professionell, cool, zeitgemäss, jung, offen, multimedial, partymässig". Das sind Begriffe, die ihrem Umfeld entsprechen. Sie vollziehen den Eintritt in eine christliche Gemeinde, sei es durch den Gottesdienst oder organisierte Partys, äusserst niederschwellig." Die Menschen sollen Schritt für Schritt in eine Gottesbeziehung hineinwachsen", sagt Erich Zbären, Leiter der Jugendgruppe "Youth Planet" vom ICF Basel. Da darf die erste Stufe der Jüngerschaftstreppe nicht höher als ein paar Zentimeter über dem Boden der Gottlosigkeit sein.
Bedürfnis-und beziehungsorientiert
Die Menschen werden dort abgeholt, wo sie mit ihren Problemen stecken geblieben sind. Die Predigten sind themenorientiert und geben Ratschläge für das alltägliche Leben, den Umgang mit einander, die Familie oder die Schule. "Die Bibel ist relevant für das alltägliche Leben", so Martin Baumann "und das wollen wir den Leuten zeigen."
Eines der grössten Bedürfnisse der Jugendlichen sind Beziehungen. Deshalb wird Gemeinschaft gross geschrieben. Das Herzstück der Gemeinschaft sind die Kleingruppen oder Workshops. Dort wird das Leben miteinander geteilt, man trägt und hilft einander. Der Gemeindeberater Reinhold Scharnowski 4 behauptet sogar, dass der primäre Zugang zum Evangelium über das Dazugehören erfolgt: "Die Generation der 80er und 90er (oft "Generation X" genannt), lebt eindeutig nach dem Muster "belong-believe-behave". Das Wichtigste ist das Dazugehören. Beziehungen gehen über alles. Der Glaube wird nicht mit Inhalten verbunden, sondern fast durchgehend als Beziehung verstanden und ausgedrückt - Beziehung zu Jesus und eine enge Beziehung zueinander 5 .
Erst in der Gemeinschaft entwickelt sich der Glaube, und ein veränderter Lebensstil bahnt sich an. Karsten Wolff 8 bringt es auf den Punkt: "Es geht nicht um christliche Veranstaltungen, Gebäude, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession, Musikstil, Kleiderordnung, lange Haare, kurze Haare, gefärbte Haare, keine Haare, Ohr und Nasenringe rein oder raus oder sonst was für Äusserlichkeiten. Es geht um Beziehung, Beziehung zu Gott, der uns geschaffen und einen guten Plan für unser Leben hat 9"
Rückbesinnung auf biblische Traditionen
"Traditionen sind uns sehr wichtig", sagt Martin Baumann. Er meint damit eine Rückbesinnung auf frühchristliche Werte anstelle von Formen. Das ICF definiert fünf Grundwerte: Anbetung, Jüngerschaft, Gemeinschaft, Dienst, Evangelisation 10 .Die erste Gemeinde ist dabei das Vorbild. Jeden Sonntag bei Gottesdienstbeginn ist der Slogan "ICF Basel - it 's a gospel movement"11 zu hören. Erich Zbären betont die Wichtigkeit, eine Bewegung zu sein, die nicht stehen bleibt, sondern mit aller Kraft den Bedürfnissen der Jugendlichen nachjagt. Zu den biblischen Traditionen zählen auch:
Das Beste geben.
Es ist unsere Verantwortung, für Gott alles zu versuchen. Wir müssen unsere "Talente" richtig verwalten. "Ausserdem gibt es genügend Freiheit und Unterstützung, eigene Ideen oder Projekte in die Tat umzusetzen", wie eine Schülerin, die ins ICF geht, dankbar bemerkt.
Gabenorientierte Mitarbeiterschaft. Es gibt für alle viele Möglichkeiten, Gaben einzusetzen und die Gemeinde mitzubauen. So verwundert es nicht, wenn Teenager bereit sind, am Morgen um 9.00 Uhr beim ersten Gottesdienst die Anlage aufzustellen und am Abend um 21.00 nach dem zweiten Gottesdienst abzubauen. Magnus Persson 12 meint dazu:"Wenn wir Jugendlichen heute ein Konzert oder sonst ein Top-Angebot bieten, wird das in kürzester Zeit out sein. Nach ein, zwei Mal kommen die Leute nicht mehr. Wenn wir aber eine Kirche mit ihnen bauen, die "ihre" Kirche ist, engagieren wir sie dauerhaft 13 ".
Kommentar
Solange nicht Gott …
(SKa)Die Jugendkirchen haben mit den gleichen Schwierigkeiten und Problemen zu kämpfen wie andere Kirchen. Vielleicht sind sie einfach durch die Flexibilität, die ihre doppelte Ausrichtung mit sich bringt - auf Werte der Urgemeinde nach hinten und die Bedürfnisse und Nöte der Zeit nach vorne -, in einer günstigeren Ausgangslage, um ihnen zu begegnen. Schliesslich geht es bei allem Programm, aller Show, aller Technik nur darum, in der Beziehung zu Jesus Christus zu wachsen. Solange Jesus nicht hinter irgend einen Verstärker oder einen Videoclip verbannt wird, solange die einzelnen Menschen in der Masse ihre Identität nicht verlieren, bin ich froh über jeden Menschen, der aufgrund einer Party, einer Einladung in einen Gottesdienst oder durch die Freundschaft mit einem Christen "nach Hause" findet. Schliesslich ist es Gott, der das Wachstum schenkt.
Simon Kaldewey ist VBG -Mitarbeiter für die Arbeit unter Schülerinnen und Schülern im Raum Basel und wohnt in Riehen.
Fussnoten
1 FACTS Nr.32/2000,S.81-82
2 International Christian Fellowship
3 1Kor 9,20
4 Reinhold Scharnowski arbeitet bei "Dawn Ministries "
5 FOCUSUISSE Report 3/2000,"Gott unter den Kids "
6 Grossevangelisation ,Strassenevangelsation
7 Very Important Person; damit sind die engsten Freunde und Verwandten, die Gott nicht kennen, gemeint.
8 Karsten Wolff ist Leiter von KRAFTWERK Dresden, einer Jugendkirche mit ca.80 Leuten.
9 FOCUSUISSE Report 3/2000,"Gott unter den Kids "
10 Die Saddleback Community Church hat diese Begriffe in dieser Zusammenstellung geprägt. Wer mehr darüber wissen möchte, kann das mit dem Buch von Rick Warren, "Kirche mit Vision, Koinonia Verlag 1998 " tun..
11 Übersetzt: ICF Basel - ist eine Bewegung der Guten Nachricht
12 Magnus Persson ist aus Schweden und arbeitet an einer Vision, ein christliches 24- Std.-Jugendzentrum in jeder europäischen Stadt aufzubauen.
13 FOCUSUISSE Report 3/2000,"Gott unter den Kids "
Datum: 13.05.2002
Autor: Simon Kaldewey
Quelle: Bausteine/VBG