Nordkorea: Mit simplen Luftballons gegen den „Vorhof der Hölle“

Laut Schätzungen leben etwa 200 000 Menschen in Nordkoreas Straflagern. Oft leiden sie ungeheure Qualen. Folter und Hunger sind an der Tagesordnung. Deshalb wird Nordkorea oft als „Vorhof der Hölle“ bezeichnet.

Eine Studie des US-Komitees für Menschenrechte in Nordkorea (USCHRK) legte mit Hilfe von Satellitenfotos und Zeugenaussagen ein System von Arbeitslagern und politischen Gefängnissen offen, das von Hieronymus Bosch erfunden sein könnte, ein Vorhof der Hölle.

Ehemalige Wärter und Häftlinge, die den Terror überlebten und entkommen konnten, beschreiben minutiös die Gräueltaten, die in den Lagern an der Tagesordnung sind. Das 125 Seiten starke Dokument ist die detaillierteste Studie, die je von den berüchtigten Camps angefertigt wurde. Ihr Autor David Hawk ist Anwalt für Menschenrechtsfragen.

Er belegt etwa 36 Gefängnislager, die in abgelegenen Regionen Nordkoreas immense Flächen bedecken - manche sind über 60 Quadratkilometer gross. Im Gegensatz zu den Konzentrationslagern der Nazis werden die Gefangenen hier nicht "vernichtet". Vielmehr soll, wie beim sowjetischen Vorbild des GULag, so viel Produktionskraft wie möglich aus ihnen herausgepresst werden.

Die Häftlinge leisten regelrechte Sklavenarbeit. In 72-Stunden-Wochen schuften sie als Minenarbeiter, Holzfäller, Bauern, in Steinbrüchen und Textilfabriken. Die Camps spielen eine wichtige Rolle in Nordkoreas maroder Wirtschaft.

Die Nordkoreaner leugnen derweil hartnäckig die Existenz der Lager - und verweigern jeden Zugang. Alle Vorwürfe über ihr brutales Strafsystem seien "der verleumderische Versuch, dem Image des Landes zu schaden". Doch vor Ort weiss jeder über die berüchtigten GULags Bescheid.

Lutballons mit Johannesevangelium

Nordkorea sei das abgeriegeltste Land das er kenne, sagt Michael Hausin gegenüber Livenet.ch: «Es fällt uns schwer, Kontakte ins Land zu halten», so der deutsche HMK-Mitarbeiter (Hilfsaktion Märtyrerkirche) weiter. Über ihre Schwesterorganisationen in Australien und den USA beteiligt sich das Werk an verschiedenen Aktionen in diesem Ostasiatischen Land. Eine davon: Mit orangen Luftballons werden Verse aus dem Johannesevangelium «importiert». «Wir hoffen, dass sie im Land auf den Boden fallen und ihre Wirkung tun.» Man könnte über diese banale Methode schmunzeln, würde sich dahinter nicht eine enorme Tragik abzeichnen.

«Jerusalem des Ostens» ...

Was ist aus dem «Jerusalem des Ostens» nur geworden, wie die heutige Hauptstadt Pjöngjang früher genannt wurde? Einst, um das Jahr 1907 gab es rund 2300 Kirchen und 300'000 Gläubige. Nach 1950 wurden viele ermordet, wenige konnten nach Südkorea flüchten.

Heute trifft die brutale Geisel der stalinistischen Regierung die Christen mit voller Wucht: «Im Grenzgebiet zwischen China und Nordkorea hatten wir mit chinesischen Christen eine Art Auffangstation für Nordkoreaner installiert. Diese Grenze kann ja von Einheimischen übertreten werden. Nordkoreanische Christen werden auf chinesischer Seite in einer Art Kurzbibelschule trainiert, um im eigenen Land pastorale Aufgaben durchzuführen.» Dann aber verfaulen die Früchte der Genfer Menschenrechtskonvention: «Rückkehrer die erwischt werden droht die Todesstrafe.»

... wurde „Vorhof der Hölle“

Äusserlich unterscheidet sich das Leben der Christen nicht von «normalen» Nordkoreaner. Christen leiden unter Hunger wie andere. Die Leidensfähigkeit scheint unbegrenzt. Die Genossen frieren und hungern. Sein Schicksal beklagt aber keiner. Es wäre Verrat an der Revolution. Die Monumente sind grell beleuchtet, in den Wohnungen dürfen bisweilen keine Lufterwärmer verwendet werden. Das Stromnetz könnte zusammenbrechen. Auf dem Land geht es ums nackte überleben. Im Winter bei Minus 20 Grad und kälter. Bei manchen Gebäuden ohne richtige Fenster. Nach Berichten von Amnesty International (AI) lässt das kommunistische Regime missliebige Menschen verhungern. Solche die sich dagegen wehrten, wurden gefoltert und hingerichtet.

Das Überleben lernen die Nordkoreaner in Kindheit. Als 13jährige haben sie einen 400 Kilometermarsch durch den eisigen Winter an die chinesische Grenze zu bestehen. Auf den Spuren des damaligen Buben Kim Il Sung (starb 1994), der spätere „grosse Führer“. Einst gab es bestimmte Erfolge, das Land stand sogar besser da als Südkorea.

Das traurige Lachen

Das Blatt hat sich gewendet, manchenorts werden keine Löhne mehr ausbezahlt, öffentliche Verkehrsmittel gibt’s wenig. Kontakt zu Ausländern gibt’s kaum. Der Entwicklungsstand im Land soll 13mal unter jenem der DDR liegen, als die Mauer fiel. In Kooperation mit China entwickelt das Regime, das nicht einmal in der Lage ist, seine eigene Bevölkerung zu versorgen, Fernraketen.

Internet gibt es nicht. Weil Nordkoreaner kein Internet mögen, heisst es. Das Staatsfernsehen zeigt glückliche Menschen. Alle lachen und singen. Die Lobeshymnen über den „lieben Führer“ Kim Jong Il sind überall zu sehen.

Christen gelten als Landesverräter

Gehören die Christen zu einer Hausgemeinde, müssen sie fürchten, entdeckt zu werden, schildert Michael Hausin: «In Nordkorea ist die Bevölkerung lückenlos überwacht. In den Städten sind Zusammenkünfte, unbeobachtet von Nachbarn, nahezu unmöglich. Auf verschiedenen Wegen gelingt es dennoch. Auch dann ist man vor Spitzeln oder einer lang angelegten Überwachung nicht sicher.»

In Pjöngjang gibt es drei Vorzeigekirchen für westliche Besucher. Die Hausgemeinden haben keinen Kontakt zur Regierung, sagt Hausin: «Offiziell gibt es sie ja gar nicht. Kluge Kirchenführer der offiziellen «Staatskirche» versuchen die Hausgemeinden einzubinden und ihnen damit die Unabhängigkeit zu nehmen. Eine grosse Schwierigkeit liegt darin, dass Christen als «Fünfte Kolonne» der USA gelten. Landesverrat ist ihnen so immer vorzuwerfen.»

100'000 Christen «sitzen»

In Nordkorea soll es rund 100'000 Christen geben, die in Arbeitslagern eingesperrt sind. Ihr Verbrechen: Ihr Glaube. Offiziell gibt es nur 12'000 Christen, im Untergrund werden aber bis zu 400'000 vermutet. Gemäss dem Schweizer Hilfswerk «Offene Grenzen» kamen in den mindestens zehn Lagern zwischen 1972 und 1998 rund 400'000 Menschen ums Leben. Im stalinistischen Regime gilt immer noch die Sippenhaftung. Für die Verbrechen haftet diese bis in die dritte Generation. Häftlinge kommen gelegen. Rund ein Prozent der Landesbevölkerung lebt wird in einem der Arbeitslager geschunden und erwirtschaftet rund 40 Prozent des gesamten Sozialprodukts. Lebend kommt kaum einer heraus. Öffentliche Hinrichtungen zählen zur Tagesordnung. Die Produktion läuft durch ein Zuteilungssystem, welches auch die Anzahl Gefangener bestimmt. Interniert werden Menschen also nicht nur weil sie sich etwa strafbar gemacht hätten, sondern weil «Leibeigene» für die Produktion gebraucht werden. In der völlig daniederliegenden Wirtschaft spielen diese «Sklaven» eine wichtige Rolle in den Minen, Steinbrüchen und Textilfabriken.

Was haben diese Menschen „schweres“ verbrochen?

- Sie haben – angeblich – die Ehre des einen der beiden «Kim’s» beleidigt.
- Sich über die Hungersnot beklagt (die schon über drei Millionen Tote forderte). Klagen bedeutet nämlich, die Kim’s für unfähig zu halten, ihr Volk zu ernähren.
- Ausländische Radiosendungen hören.
- Ausländische Zeitungen lesen.
- Mit Ausländern reden.
- Den obligatorischen Anstecker mit dem Bild des einen der beiden Kim’s nicht bei sich tragen.
- Sich vor ihren Bildern falsch oder gar nicht verbeugen.

Soon-Ok Lee gelang die Flucht aus Nordkorea. Sieben Jahre verbrachte sie in den Lagern der Diktatur – unlängst berichtete sie vor dem amerikanischen Kongress aus ihrer Leidensgeschichte. Ein Gefangener dürfe nicht:
- In den Spiegel sehen.
- Sprechen.
- Lachen.
- Zum Himmel sehen. Dies kann die Menschen als Christen entlarven. Womit sie wagen, auf einen anderen Führer zu vertrauen als dem grossen Führer. Was wiederum als Hochverrat gilt.

Unterschiedliche Wahrnehmung

Die herrliche Welt Kim Jong Il’s lässt nur Radio- und TV-Geräte mit inländischen Frequenzen zu. Möglich dass die Nordkoreaner der Propaganda glauben, dass sie im besten aller Länder leben und die ganze Welt hoffnungsvoll nach Nordkorea blickt, um vom «grossen Führer» zu lernen. Tatsache ist: Nordkorea ist eines der brutalsten Regime der Gegenwart. In keinem anderen Land haben es Christen so schwierig. Das Land steht auf dem traurigen ersten Rang des Verfolgungsindexes.

Datum: 27.01.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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