Trösten

Wenn der Tod einfährt wie ein Schwert

Er ging mit dem Hund spazieren wie jeden Morgen. Der Hund kam zurück, er nicht. Man fand ihn am Strassenrand liegend, erschossen. – Es gibt Momente, da ist alles anders. Ganz anders. Der Tod hat jemand mitten aus dem Leben gerissen. Die Seele kommt nicht mit. Was tun?
Unglücksfälle und Verbrechen machen sprachlos: Pfr. Peter Schulthess leitete seinen Vortrag mit Zeitungsartikeln ein.
Unfall

Ein plötzlicher Todesfall, durch eine Kollision auf der Strasse, durch ein Verbrechen, einen verheerenden Brand, infolge eines Herzversagens, ist wie ein Wirbelsturm, der blockiert, gegen den man nichts ausrichten kann. Dieses Bild brauchte der reformierte Pfarrer und Notfallseelsorger Peter Schulthess kürzlich bei einem Vortrag in Bäretswil im Zürcher Oberland.

Unter Schock

Die Betroffenen sind in den ersten Minuten in der Regel allein. „Alles ist wüst, kaputt. Das Herz leert sich. Als wäre man im falschen Film. Das gehört nicht zu mir.“ In dieser Phase, unter seelischem Schock, verhalten sich die Geschlagenen auf unvorhersehbare Weise, nicht selten kopflos, mit Schreien, Schweigen, Wut. Schulthess geht in diese Situationen hinein „mit dem Vertrauen: Gott ist da. Wir fallen in keinem Augenblick aus der Hand Gottes.“

„Der Geist Gottes soll zu wirken anfangen“

Der Notfallseelsorger hat darauf zu achten, dass sich der Schockierte nicht selbst Schaden zufügt. In der ersten Phase kommt es darauf an, „Menschen dorthin zurückzuführen, wo sie wieder handeln können.“ Schulthess riet in seinem Vortrag davon ab, eilig-betriebsam die innere Wüste überdecken oder dem Schreien, Heulen und Schimpfen wehren zu wollen. „Alles kann helfen auf dem Weg der Trauer.“

Einfach da sein

Der Seelsorger soll ankommen, nichts tun, da sein, erste Bedürfnisse stillen, eine Hand anbieten, etwas zu trinken holen, Verständnis wecken für die Beamten, die ihre Arbeit tun müssen. „Drängen Sie sich nicht auf. Es gibt Momente, wo ein Gebet angebracht ist – und viele, wo es nicht angebracht ist.“ Ein Wort kann verletzten. Vorformulierte Gebete mögen hilfreich sein. „Das Allerwichtigste ist die eigene Ausstrahlung – dass der Betroffene spürt, was Psalm 23,3 sagt: ‚Ich fürchte mich nicht, denn du bist bei mir’.“

Vor Selbstvorwürfen schützen

In einer zweiten Phase realisieren die Betroffenen allmählich, was passiert ist. „Bei vielen geht Lebensphilosophie kaputt – ‚ich dachte immer, das könne mich nicht treffen.’ Was hat sich Gott gedacht?“ Manche beginnen sich zu fragen, wie sie den fatalen Moment hätten verhindern können. Der Seelsorger hat vor verzehrenden falschen Vorwürfen an die eigene Adresse zu schützen. „Wir haben auch keine Antwort. Was ich persönlich denke, mag für mich eine Antwort sein – aber sagen darf ich es nicht.“ Fragen sind auszuhalten.

Der wichtige Schritt der Abdankung

Der Todesfall bringt eine Menge Formalitäten mit Ämtern und Versicherungen mit sich. Mitten im Schmerz – und man sollte funktionieren. Einige Tage später folgt die Abdankung – „ein ganz wichtiger Moment, auch fürs Dorf. Wenn man sich da in die Augen sehen konnte, kann man Wochen später viel einfacher wieder reden.“

Aus über zehnjähriger Erfahrung weiss Schulthess, dass für Hinterbliebene die Zeit der Trauer ein Ende hat: „Ich habe Hoffnung – aus der Bibel, auch aus Erfahrung: Nach Jahren wird die Frau wieder lachen können.“ An einer Abdankung soll möglichst klar das Geschehen, das zum Tod führte, dargelegt werden, um falschem Gerede vorzubeugen.

Wenn das Bild von Gott zerbricht

Die seelische Verarbeitung des Schicksalschlags braucht viel Zeit. Peter Schulthess vergleicht den Trauerprozess mit dem Wiederkäuen der Kuh. „Auch wir als Helfende müssen die Sache durchgehen, oft sehr vielmal. Wir hören das Geschehene immer wieder an.“ Bei Glaubenden, sagt der Zürcher Oberländer Pfarrer, zerbricht oft das bestehende Gottesbild. Ein anderes kann sich bilden. „Bei anderen beginnt oft eine tiefe Sinnsuche. Manche kommen in einen Glaubenskurs. Oder in den Gospelchor. Singen, Musik hilft. Lieder, die man hundertmal geübt hat, sind drin.“

Langer Trauerprozess

Nach Schulthess’ Erfahrung brauchen Menschen nach einem schockierenden Todesfall mehrere Jahre Begleitung. „Vielleicht hat die Witwe bei der Abdankung 500 Kärtchen erhalten. Zwei Jahre später kommt kein einziges Kärtchen.“ Der Seelsorger soll dann Zeichen setzen und dranbleiben. Mut machen, in den Alltag zurückzukehren, Mut zur Arbeit. „Trauer ist nicht einfach Trauer für drei Jahre, sondern kommt auf und lässt nach wie ein Sturm, manchmal hell, manchmal düster.“

Gott macht die Last leichter

Peter Schulthess sagte im Vortrag auch, was ihn durchträgt: „Mich begleitet immer Hoffnung, dass die Last, wenn auch noch so schwer, durch Gott erleichtert wird. Ich bin Jesus unendlich dankbar, dass er nicht als Strahlegott auf die Erde kam, dem alles gelang. Nicht ein Star, sondern einer, der Furchtbares durchmachte, Todesangst litt, Gethsemane… Und die Engel kamen und stärkten ihn. Damit rechne ich: dass Engel Gottes da sind und ihren Trost bringen, ihr Werk tun.“

Datum: 16.11.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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