Eine Woche in Vietnam

Die Boatpeople

Iris Muhl berichtet direkt aus Vietnam. Sie besucht mit einer Mitarbeiterin von World Vision verschiedene Projekte und sendet jeden Tag ihre Eindrücke exklusiv an Livenet.ch.
Iris Muhl mit Boatpeople Ma Tho.

Es ist jetzt genau 18.00 Uhr. Wir hatten heute ein Meeting in Haiphong. Hun, der Leiter von World Vision, zeigte mir die einfach eingerichteten Büros der Hilfsorganisation in einem etwas älteren Haus. Der Lärm der Stadt ist fast unerträglich. Der Verkehr macht einen verrückt. Stets muss man acht geben, dass man nicht überfahren wird. Hun erzählt, dass sie 500 Kinder betreuen, doch die Anzahl Kinder, die Hilfe nötig haben, ist wesentlich grösser.

Später besuchen wir den Familienvater Ma Tho. Er gehört zu den sogenannten «Boatpeople». Die Familie lebt auf einem ins Wasser gebaute Haus. Haus ist zwar zu viel gesagt, es sind zwei kleine Räume, gerade mal ein Meter hoch. Wir werden von ihm zum Tee eingeladen. Er packt die Matratzen beiseite und legt einen einfachen Teppich aus. Plötzlich erscheinen noch fünf weiter Leute. Alles kommen von der kommunistischen Regierung. Sie wollen sehen, dass hier auch alles Rechtens vor sich geht, wenn eine Journalistin auftaucht. Von World Vision-Mitarbeiterin Tabea Leitwyler weiss ich, dass die Regierung nichts dem Zufall überlasst. Sie kontrolliert das Hilfswerk und auch andere Werke mit einem Riesenaufwand. Dass uns gleich fünf Regierungsmitglieder beehren, nutze ich für eine kleine Rede. Dazu aber später mehr.

Wir lassen Ma Tho sprechen. Er ist Fischer und hatte die Möglichkeit, einen Mikrokredit von World Vision zu bekommen. Tho erzählt, dass er sich damit Netze kaufen konnte und seinen Ausrüstung verstärken konnte. Jetzt fischt er das Doppelte als früher. Seine Kinder konnten deswegen alle zur Schule gehen. World Vision übernahm die Hälfte der Schulkosten, die andere Hälfte müssen die Familien aus Gründen der Nachhaltigkeit selber bezahlen. Tho serviert den Grüntee in schmutzigen Gläsern. Er hat keine Küche, keinen Abwaschtrog. Tho erzählt, dass die Leute aus der Schweiz nicht nur Mikrokredite von ca. 50 Franken vergeben, sondern auch für frisches Wasser gesorgt haben. Sie haben eine Wasserleitung für die Boatpeople gebaut. Trotzdem wohnen die Leute noch in sehr ärmlichen Zuständen.

An der Wand hängt zu unserer Verwunderung ein Kreuz. Der Glaube ist hier aufgrund der kommunistischen Partei verboten. Trotzdem sagt von den Regierungsleuten niemand etwas. Wir machen sie auch nicht darauf aufmerksam. Die Unterstützung nahm Einfluss auf die ganze Nachbarschaft. Heute können alle Boatpeople-Kinder die Schule besuchen. «Meine Kinder werden mal ein richtiges Haus haben», sagt Tho und lächelt. Er hat Perspektive gewonnen und weiss seine Kinder in finanzieller Sicherheit. Dieser Mann hat gemeinsam mit seiner Frau profitieren können. Doch was ist eigentlich mit der medizinischen Versorgung. «Die Kinder», meint Tho, «erhalten von World Vision auch medizinische Unterstützung.» Sie selber nicht. Dafür müssen sie selber besorgt sein. Ich bin wirklich erstaunt, wie stark diese einfache Hilfe von World Vision eine ganze Familie inklusive die Umgebung beeinflussen kann.

Obwohl mir Tabea zusichert, dass alle Kinder in der SChule sind, springt ein Kind von einem anliegend Boot zum nächsten. Zum Abschied bedanke ich mich für die Gastfreundschaft und sage den Regierungsbeamten, die fleissig mithören, während sie auf dem anderen Ohr genauso fleissig telefonieren, dass ich ihr Interesse an den Boatpeople sehr schätze und dass ich über ihr Engagement wertschätzend schreiben werde. Wie stark sie helfen, weiss ich nicht. Ich weiss, dass sie die Ärmsten der Armen medizinisch umsonst versorgen. Aber was heisst das? Die Regierungsbeamten jedenfalls freuen sich über den Besuch aus der Schweiz und bedanken sich ebenfalls in höflicher vietnamesischer Manier. Wir übergeben den Boatpeople noch ein kleines Geschenk. Ein Pack Guezli. Sie freuen sich und schütteln dankbar die Hände und nicken dabei.

Als ich den Raum auf vier Holzpfählen verlasse, bin ich traurig. Dass Menschen so leben müssen! Aber es gibt Hoffnung. Die Kinder von Tho werden es dank Schulbildung einmal besser haben. Wir machen uns auf den Weg. Nebenan ist eine Schuhfrabrik. Der Polizist, der dort vor dem Eingang stand, lauert jetzt an der stacheldrahtumzäunten Mauer. Ich sehe sehr junge Frauen am Fliessband. Sind das Mädchen? Der Polizist kontrolliert mich, dass ich nicht fotografiere. Dafür fotografiere ich die Schlacke sammelnden Armen, die den giftigen Ofenrest nochmals verbrennen. Sie lachen und winken mir zu. Heute Abend besuchen wir noch eine Abendschule für Kinder, die Tagsüber arbeiten. Davon morgen mehr. Jetzt müssen wir endlich was essen, auch wenn der Magen nicht ganz mitmacht.

Der erste Tag: Hupen als freundliches Zeichen

Datum: 10.12.2009
Autor: Iris Muhl
Quelle: Livenet.ch

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