Antisemitismus in der Schweiz

Mehr als jeder vierte Jude denkt ans Auswandern

Juden in der Schweiz fühlen sich immer unsicherer
Der Antisemitismusbericht 2024 zeigt erneut einen deutlichen Anstieg der Übergriffe auf Jüdinnen und Juden in der Schweiz. Diese fühlen sich vermehrt nicht mehr sicher in ihrer helvetischen Heimat. Mehr als jeder vierte dachte schon ans Auswandern.

Man reibt sich die Augen und glaubt es kaum: Juden fühlen sich in der Schweiz nicht mehr sicher. Die «NZZ» findet im Titel äusserst klare Worte: «Antisemitische Vorfälle häufen sich: Jeder dritte Jude denkt ans Auswandern».

Die NZZ hält fest, dass 2024 beinahe als ein Jahr in die Geschichtsbücher eingegangen wäre, in dem in der Schweiz wieder ein Jude getötet wurde, nur weil er Jude ist: «Dies 23 Jahre nach der Ermordung des Rabbiners und Holocaust-Überlebenden Abraham Grünbaum in Zürich. Doch der 50-jährige orthodoxe Familienvater, der am 2. März 2024 ebenfalls in Zürich niedergestochen wurde, überlebte knapp. Der Täter war ein 15-jähriger IS-Anhänger.»

28,4 Prozent dachten schon an Auswandern

Aus Angst verbirgt die jüdische Bevölkerung immer häufiger ihre Identität, berichtet die «Aargauer Zeitung». Der Terror-Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und der danach folgende Gaza-Krieg führten befeuerten den Antisemitismus in der Schweiz.

Der Antisemitismus-Bericht 2024 des «Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds» (SIG) und der «Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus» (GRA) zählt 221 antisemitische Vorfälle, darunter elf Tätlichkeiten, wie «SRF» berichtet. Dies ist eine Zunahme von 42,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr und eine Steigerung von 287 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022.

28,4 Prozent von 1335 befragten Jüdinnen und Juden haben in den letzten fünf Jahren darüber nachgedacht, aus der Schweiz auszuwandern, weil sie sich hier nicht sicher fühlen, erläutert die «Aargauer Zeitung». Dies geht aus einer Studie der Uni Zürich, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Hochschule für soziale Arbeit Freiburg hervor.

Trauriger Dauerzustand

GRA-Präsident Zsolt Balkanyi-Guery sagte laut «Blick», dass im Hinblick auf die Sicherheit seiner Kinder sensibler geworden ist: «Wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin, möchte ich nicht, dass sie eine Kippa tragen, sondern eine Dächlikappe. Vor dem 7. Oktober hatte ich dieses Empfinden nicht.»

Weiter beobachtet er: «Es ist leider ein Dauerzustand, dass jüdische Menschen belästigt oder beschimpft werden. Es gibt ruhigere Phasen, aber von der einen auf die andere Minute kann der Antisemitismus wieder vorhanden sein.»

Auf neue Realität einstellen

SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner hebt gegenüber «20 Minuten» hervor, dass einige Juden keine Kippa oder Davidsterne mehr tragen, gewisse Gegenden meiden oder ihr Verhalten angepasst haben. «Ich befürchte, dass sich eine traurige Realität eingelebt hat, dass antisemitische Vorfälle salonfähiger geworden sind. Gewisse Dämme sind gebrochen, und gewisse Grenzen werden überschritten.»

Vermutlich müsse man sich auf diese neue Realität einstellen: «Aber wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken und unser Leben als Juden und Jüdinnen in diesem Land nicht komplett verändern. Die jüdische Gemeinschaft ist Teil der Schweiz und wird es auch bleiben. Denn die Schweiz ist unser Zuhause.»

West-Europa für Juden nicht mehr sicher

Eine neue Welle des weltweiten Antisemitismus beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl der Diaspora-Juden. Die Auswanderung aus Frankreich und Grossbritannien hat bereits zugenommen, in Israel bereitet man sich auf eine Einwanderungswelle vor und auch in Deutschland verschlechtert sich die Lage.

Besonders in Frankreich ist die Lage der Juden seit längerem äusserst schwierig. Im vergangenen November verlangten französische Beamte eine Reaktion der Europäischen Union auf das, was sie als «einen der schlimmsten Ausbrüche von Antisemitismus» in der jüngeren Geschichte bezeichneten.

Bereits 2017 berichtete Livenet vom Phänomen, dass Juden aus Sicherheitsgründen aus Frankreich auswandern. Daran hat sich nichts geändert: Moshe Sebbag, Rabbi der Grossen Synagoge in Paris, fand gegenüber der «Jerusalem Post» im Sommer 2024 klare Worte: «Es gibt keine Zukunft für die Juden in Frankreich. Ich sage jedem jungen Menschen, er soll nach Israel oder in ein sichereres Land gehen.» Die muslimische Massen-Einwanderung sowie eine gescheiterte Integration hätten Frankreich gespalten. Es ist von grösster Wichtigkeit, dass die Wurzeln des Antisemitismus erkannt und angegangen werden.

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Datum: 23.03.2025
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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