Raum der Stille ist zum Ort des Auftankens geworden
Im Bundesasylzentrum (BaZ) in Kreuzlingen wohnen hauptsächlich Asylsuchende ohne Verfahren, die zurück in ihr Heimatland oder gemäss der Dublin-Verordnung in den Staat zurückgeschickt werden, der für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Von daher benötigen sie eine besondere seelsorgerliche Betreuung. Jetzt wurde dort ein Raum der Stille geschaffen – als Oase für die Asylsuchenden.
«Wohnzimmerfeeling» und königliche Atmosphäre
Anfang des Jahres wurden mein Mann und ich als Asylseelsorger im BaZ Kreuzlingen mit der Aufgabe betraut, in Absprache mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM) und dem Betreuungsteam den Raum der Stille einzurichten. Dabei galt es zu beachten, dass verschiedene Materialien und Gegenstände aus Sicherheitsgründen tabu waren. Auch religiöse Symbole durften nicht verwendet werden, da dieser Raum Menschen unterschiedlicher Religionen offenstehen sollte. So musste ich die zusammengestellte Möbelliste erst dem SEM präsentieren, bevor ich die Bestellung mit den Kirchenräten der beiden Landeskirchen in Auftrag geben konnte. Für die Gestaltung der Wände wurde uns die Unterstützung des Betreuungsteams zugesagt.
Meine Vision war, einen Raum zu gestalten, der eine wohlige Atmosphäre der Geborgenheit mit «Wohnzimmerfeeling» vermittelt und zugleich das Göttliche, Königliche in Form einer goldenen Wand und edlem Samtmobiliar widerspiegelt. Wir lernten Jango Mousa, einen syrischen Künstler aus Stein am Rhein, kennen, der vom Betreuungsteam dafür freigestellt wurde, die Wandmalereien zu gestalten. Meine Vision von der goldenen Wand hat er in seiner künstlerischen Freiheit so vervollkommnet, dass er drei Gold-Quadrate in 3D-Optik darauf entstehen liess, die mich an die Dreieinigkeit erinnern... Auf der anderen Wandseite entstand ein Baummotiv, das uns an Psalm 1 erinnert: «Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen» – so ein schönes Zeichen der Hoffnung! Die Wandmalereien passen perfekt zu dem Teppich und den Möbelfarben – so als hätte Gott alles arrangiert… Wir trafen uns mit den beiden Kirchenräten, um den Gebetsraum und die Menschen im Asylzentrum zu segnen und uns über Psalm 27 auszutauschen, der so wunderbar in diesen Raum und zur Situation der Asylsuchenden passt.
Sowohl Asylsuchende als auch Mitarbeiter im BaZ sind sehr interessiert an dem Raum der Stille und nehmen gerne dort Platz. Eine Mitarbeiterin meinte: «Dieser Raum ist viel schöner als mein eigenes Wohnzimmer!»
Begegnung mit Gott und Menschen
Die Asylsuchenden haben Krieg, Terror und seelische Verletzungen erlebt und sollen in diesem Raum innerlich zur Ruhe kommen und Frieden finden. Der Raum wird zum Relaxen, Träumen, Beten, Auftanken, für Gottesbegegnungen und seelsorgerliche Gespräche genutzt. Die Asylsuchenden haben hier die Möglichkeit, aus ihrem sonst eher monotonen, traurigen Alltag herauszukommen und in Beziehung zu Gott und anderen Menschen zu treten.
Uns war es von Anfang an wichtig, den Tag mit Gott im Raum der Stille zu beginnen – mit Bibletalk und Gebet. Dazu haben wir auch Mitarbeiter und interessierte Asylsuchende eingeladen und sind sehr dankbar, dass auf diese Weise wertvolle Begegnungen und Gespräche stattfinden können.
Rückzugsmöglichkeit und Seelsorgeangebote
Da die Asylsuchenden in Mehrbettzimmern untergebracht sind und wenig Privatsphäre haben, ist der Raum der Stille auch eine gute Rückzugsmöglichkeit. Wir bieten dort spezielle Gesprächs- und Gemeinschaftsangebote an – insbesondere für Frauen, um ihrem Bedürfnis nach einem geschützten Raum und Frauentreffen entgegenzukommen.
Ein Stück Normalität und Würde
Es ist ein Segen, wenn es einen solchen Raum in Bundesasylzentren gibt. Wir erleben es, dass die Menschen sich in dieser warmen Atmosphäre geborgen fühlen und sich viel eher öffnen, um Belastendes loszuwerden oder auch, um einmal in eine andere Welt einzutauchen – fernab von der harten Asylrealität. Ein Stück Normalität und zurückgegebene Würde, mitten in Trostlosigkeit.
Möge dieser Raum und die Menschen in diesem Raum besonders gesegnet sein!
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Datum: 07.06.2021
Autor: Meike Ditthardt
Quelle: Livenet