Angst muss das Leben nicht bestimmen
Psychotherapie gilt bei Angststörungen weitgehend als Erfolgsgeschichte. Allerdings wirkt sie nicht bei allen Patienten. Die Akzeptanz und Commitment Therapie (ACT) legt den Fokus auf Werte statt Symptome und erreicht damit einen hohen Genesungsanteil.
Wie Lachen gehört auch Leiden zum Menschsein, Trauer genauso wie Freude. Bereits in den Sprüchen des Königs Salomo wird das festgehalten: «Alles hat seine Zeit.» Entscheidend ist, wie wir mit unerwünschten Gefühlen oder Gedanken umgehen. Man kann sie unterdrücken oder zulassen. Beim ACT liegt der Fokus auf Werten, den Dingen, die uns wirklich am Herzen liegen.
Professor Dr. Andrew Gloster leitet an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel die Abteilungen Klinische Psychologie und Interventionswissenschaft. Mit einem Team erforscht er Behandlungswege bei Angststörungen. Einer davon ist ACT. Am 31. Riehener Seminar, die von der psychiatrischen Privatklinik Sonnenhalde in Riehen durchgeführt werden, stellte er ACT vor.
Integrieren statt ignorieren
«Angst zu empfinden, ist ein ganz normaler psychischer Prozess», stellt Gloster klar. Sie gehöre zum Leben und dürfe präsent sein. Es sei unrealistisch, von einer Psychotherapie zu erwarten, dass man danach seine Gefühle nicht mehr wahrnehme. «Wir können jedoch flexibel werden gegenüber unseren Emotionen», fordert er auf. «Man muss nicht immer gleich reagieren wie bisher.»
Die ACT definiert mit dem Patienten seine Werte und nutzt sie als Grundlage der Therapie. Wenn zum Beispiel ein Glas mit Tischtennisbällen gefüllt wird, auf die man seine Werte aufgeschrieben hat, wird es irgendwann voll. Dennoch kann noch Sand dazwischen hinunter rieseln, als Zeichen für weitere Erwartungen ans Leben. Ist nun das Glas bis oben gefüllt, saugt der Sand noch ein Bier auf, das hineingegossen wird. Als Symbol für das, was Spass macht und man miteinander teilen kann. Die umgekehrte Reihenfolge ist nicht möglich. In ein volles Bierglas passen keine Bälle und kein Sand – es wird sofort überlaufen.
Hoffnung für Angstpatienten
In der Regel erfahren Angstpatienten durch eine kognitive Verhaltenstherapie konkrete Hilfe. 33 Prozent machen jedoch auch nach Jahren keine merklichen Fortschritte. Mit einer Versuchsgruppe von Patienten mit unterschiedlichen Diagnosen wurden 42 ACT-Sitzungen durchgeführt. Von denen, welche die Therapie nicht abbrachen, erlebten 80 Prozent eine starke Verbesserung ihres Empfindens. Sie hatten gelernt, ihre Denkweise umzukehren. Statt zu erwarten «Ich muss die Traurigkeit verlieren, bevor ich leben kann» wird auf unabdingbare Werte gesetzt, welche der Patient zuvor formuliert. Damit gehe das Leiden zurück, so die Erfahrung des Forscherteams. «Heute basieren meine Entscheidungen auf meinen Werten und nicht mehr auf meiner Angst», erklärte ein Teilnehmer am Schluss.
Trainingsprogramm
«Sprache formt Verhalten», hält Gloster fest. «Wie ich über mich denke und rede, kann ich verändern.» Dies generiere auch neurologische Veränderungen. Patienten bräuchten wie jeder Mensch gute Beziehungen, wo man ihnen zuhört, sie unterstützt, sich über Freud und Leid austauscht, wo man gemeinsam klagen und lachen kann und Zuspruch erhält.
Soziale Funktionen stärkten das Wohlbefinden, lassen die Symptome der Erkrankung jedoch nicht verschwinden. Dies sei durch die Akzeptanz der Lebensumstände und achtsamen Umgang mit sich selbst möglich. Der Fokus müsse auf Werte gelegt werden, welche wie ein Lebenskompass die Richtung vorgebe. Und es müssen Taten folgen, die Entscheidung allein helfe nicht weiter. Auch kleine, aber andauernde Schritte führen zum Erfolg. ACT ist ein Beispiel dafür.
Zu den Seminarunterlagen:
31. Riehener Seminar
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Datum: 01.11.2022
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Livenet