Orthodoxe stellen sich einem heiklen Problem
Die griechisch-orthodoxe Bischofskonferenz zeigt einerseits Verständnis und Nachsicht für jene oft langsam und qualvoll Sterbenden, die keinen anderen Ausweg mehr sehen. Sie lehnt aber jede öffentliche Propagierung und Kommerzialisierung der Suizidhilfe ab.
Nur für Orthodoxe im Westen ein Thema
Die orthodoxen Bischöfe von Benelux, Russen, Griechen, Rumänen und Georgier, aber auch ihr Erzbischof flämischer Herkunft sahen sich zu dieser Vorreiterrolle genötigt, da das Thema Exit durch die Regierungen in Brüssel und Den Haag besonders freizügig gehandhabt wird. In den östlichen und orientalischen Stammländern der Orthodoxie besitzt diese Frage noch keine Aktualität. Zu frisch sind die Folter- und Lagerqualen sowie oft entsetzlichen Hinrichtungen der Sowjetzeiten bzw. die grausame Gegenwart in Syrien oder dem Irak. Sie verhindern das Aufkommen des Wunsches, selbst an sich Hand anzulegen oder anlegen zu lassen.
Christen gegen Rom
Dazu kommt, dass im orthodox geprägten christlichen Osten immer der «Hippokratische Eid» bestimmend blieb, der jedem Arzt die Hilfe beim Entschluss eines Schwerkranken verwehrte, mit dem Leben selbst Schluss zu machen. Die spätere römische Praxis, dem eigenen Leben selbst ein Ende zu setzen – meist in einem warmen Bad durch Öffnen der Pulsadern – konnte sich in der Orthodoxie nie durchsetzen.
Die «Steuermannsbücher»
Die Frage einer kirchlichen Antwort auf Suizid-Anpreisung stellte sich für die Orthodoxen erst im 18. Jahrhundert mit der Aufklärung, als die Ideologie der Vernunft auch eine vernünftige Selbsttötung zu rechtfertigen begann. Die damaligen kirchenrechtlichen Sammlungen – die «Steuermannsbücher» für den Gebrauch der Pfarrer – sahen strenge, meist mehrjährige Bussübungen für «Sterbehelfer» vor ihrer Wiederzulassung zum Abendmahl vor. Die Orthodoxen sind jene Christen mit dem strengsten Kirchenrecht, aber auch dem grössten Verständnis für menschliche Nöte und Schwächen. Daher wurden kranke Selbsttöter nicht vom kirchlichen Begräbnis ausgeschlossen, aber dabei besondere Gebete für göttliche Verzeihung und ihr ewiges Seelenheil gesprochen.
Jesus und Hiob als Vorbild
In diesem Geist ist auch die aktuelle Euthanasie-Erklärung aus Benelux formuliert. Es wird erwartet, dass sich bald die Schweizerische Orthodoxe Bischofskonferenz diesen Vorgaben anschliessen wird. Besondere Beachtung verdient der spirituelle zweite Teil des Dokumentes. Nicht als Vorschrift, sondern in Form von Ratschlägen für rechtes christliches Verständnis von Leiden und Sterben.
Schon in der Bibel war das religiöse Ideal nicht der glückliche, schmerzfreie Mensch, sondern der sich bis zum Äussersten Gottes Willen unterwerfende Hiob. Die Orthodoxie sieht in ihm ein Vorbild von Jesus, der durch sein Leiden am Kreuz das Böse als wahre Ursache von Schmerz und Tod besiegt hat. Auch schmerzvolles Sterben hat daher für den Menschen einen Sinn als Teilhabe am Erlösungswerk Christi. Wer das vollbringt, verdient Bewunderung – wer nicht, dem sei es vergeben. Aber grundsätzlich gilt der orthodoxe Standpunkt: Niemand darf eine Todgeweihte, einen das Leben Ausstöhnenden, um sein heilbringendes Sterben betrügen!
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Datum: 23.06.2017
Autor: Heinz Gstrein / Fritz Imhof
Quelle: Livenet