Jugendschutz bei der Legalisierung von Cannabis
Ruedi Löffel, was ist Cannabis?
Ruedi Löffel: Cannabis ist eine Hanfpflanze. Getrocknete
Blüten und Blätter heissen Marihuana («Gras»). Aus gepresstem Harz wird
Haschisch («Shit»). Der psychoaktive, berauschende
Stoff im Cannabis ist Tetrahydrocannabinol THC. Der THC-Gehalt des heute
gezüchteten Cannabis liegt teils weit über 20 Prozent – ein Mehrfaches höher
als vor Jahrzehnten. Daneben muss das Cannabinol CBD erwähnt werden. In diesen Wirkstoff
werden vielfältige medizinische Hoffnungen gesetzt; die Wirkungen sind von der Wissenschaft
allerdings noch weitgehend unbewiesen.
Wie sehen Sie die Kiffer-Szene?
Eine klar
umrissene Szene gibt es kaum. Das Rauchen von Marihuana oder Haschisch zusammen
mit Tabak in selbstgefertigten Joints ist die weitaus häufigste Konsumform. Da
gilt es festzuhalten: Das Rauchen von Tabak führt in der Schweiz jeden Tag zu
zwei Dutzend Todesfällen! Das Kiffen ist mit allen Schädigungen verbunden,
welche auch herkömmliche Zigaretten zur Folge haben! Die allermeisten Cannabis-Konsumierenden
haben vor dem Joint die Zigarette geraucht. Würden wir es schaffen, den Tabak-Einstieg
von Teenagern zu verhindern, müssten wir uns um den Schutz der Jungen vor
Cannabis kaum mehr sorgen!
Obwohl verboten, ist Kiffen relativ weit verbreitet. Bei Workshops in Schulen ist Jugendlichen oft unklar, ob Cannabis noch verboten oder schon erlaubt ist. Dabei müsste klar sein, dass es, wenn überhaupt, vermutlich erst ab 18 Jahren zugelassen wäre. Viele probieren Cannabis erstmals mit 15 oder 16. Ein beträchtlicher Teil der Konsumierenden ist unter 18-jährig! Wie beim Alkohol konsumieren dann einige exzessiv. Viele hören zum Glück wieder auf, wenn sie sich «dr Gring agschlage hei» (den Kopf angeschlagen) oder die Folgen realisieren.
Cannabis ist auch ein Business.
Wird der
Cannabismarkt freigegeben, geht es um viel Geld. Mit Alkohol und Zigaretten
werden schon Milliarden verdient. Je früher man Kinder zum Rauchen, Kiffen oder
Alkoholkonsum verführt, desto wahrscheinlicher werden Probleme und eine spätere
Abhängigkeit; desto mehr Geld kann mit ihnen verdient werden. Für die gesundheitlichen
und sozialen Schäden muss dann die Allgemeinheit aufkommen. Wenn es der
Politik mit dem Jugendschutz ernst wäre, würde man vorweg eine ganz restriktive
Tabakprävention unterstützen. Doch eben diese wird im Bundeshaus regelmässig hintertrieben.
Die Schweiz ist die Hochburg der Tabakindustrie in Europa – ein Schurkenstaat,
was die Tabakprävention anbelangt. Steuereinnahmen
können kein Argument sein. Es kann ja dem Staat nicht daran liegen, Leute
abhängig zu machen, damit er mehr Steuern einnimmt. Jene, die so argumentieren,
müssten schon lange mithelfen, Alkohol und Zigaretten höher zu besteuern!
Wozu sollen die Pilotversuche für eine kontrollierte
Cannabis-Abgabe dienen, die Fachleute und Politiker vorschlagen?
Bei diesen
Pilotprojekten geht es um den Verkauf von THC-haltigem Stoff an einige Tausend
volljährige Personen. Man möchte unter anderem herausfinden, ob und wie man
damit den Jugendschutz verbessern und den Schwarzmarkt bekämpfen kann. Da habe
ich grosse Bedenken, weil meines Erachtens einige Grundlagen und messbare
Indikatoren fehlen!
Trotzdem bin ich, in Übereinstimmung mit dem Blauen Kreuz, grundsätzlich mit dem Experimentierartikel einverstanden, den das BAG im Betäubungsmittelgesetz als Grundlage für die Pilotversuche vorschlägt: Während maximal zehn Jahren sollen in Städten Versuche nach präzisen Kriterien stattfinden dürfen. Aus meiner Sicht eine Chance, für die ganze Legalisierungsdiskussion einige wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen und wegzukommen von blossen Emotionen, Behauptungen und Vermutungen.
Müsste man, um wirksamen Jugendschutz zu betreiben,
Minderjährige am Konsum hindern?
Jede Zigarette,
jeder Joint ist schädlich. Je jünger Konsumierende sind, desto grösser und
langfristiger die Schäden. So gesehen ja. Wirksame Prävention würde alles
unterstützen, um Jugendliche am Konsumeinstieg zu hindern. Dazu müsste der
Bundesrat die Steuern auf Zigaretten wieder erhöhen dürfen, Werbung und Sponsoring
verbieten und die Erhältlichkeit massiv einschränken. Ich kann mir
schlecht vorstellen, dass man bei den geplanten Cannabis-Pilotversuchen etwas
über den Jugendschutz herausfinden kann, wenn jene, die teilnehmen können,
älter als 18 sein müssen. Wie sollen Verbesserungen im Jugendschutz gemessen
werden? Und der Schwarzmarkt? Ohne messbare Wirkungsziele wird der Versuch zur
Farce.
Kommt der Absicht, Jugendliche zu schützen, auch das
herrschende Menschenbild in die Quere? Der Staat soll die Freiheit seiner
Bürger möglichst nicht einschränken – und ihnen auch den Rausch, die
Bewusstseinserweiterung zugestehen?
In Diskussionen
stelle ich fest, dass die Motive oft nicht klar sind und nicht offengelegt
werden. Viele können die Kernfragen nicht beantworten: Was ist das Ziel der
Drogenpolitik? Wie die Jugend schützen? Ich meine, das Ziel muss sein, Menschen
zu befähigen, ihr Leben nüchtern zu meistern. Klar, Cannabis-
oder Alkohol werden von vielen Menschen konsumiert, um herunterzufahren, um zu
geniessen oder positive Stimmung zu erzeugen. Ziel meiner Arbeit beim Blauen
Kreuz ist es, den missbräuchlichen Konsum und Abhängigkeit zu verhindern und
menschliches Leid zu vermindern.
Wie sehen Abstürze aus?
Mitarbeitende aus
der Psychiatrie verweisen auf einen Anstieg von Psychosen bei Cannabis-Konsumierenden.
Ein Bekannter von mir, Familienvater, hat einmal Cannabis-Güetzi gegessen – und
landete im Spital. Er kehrte nie mehr in seinen Job zurück! Ein einmaliger
Rausch kann dein Leben ruinieren. Der Zürcher Hirnforscher Prof. Boris Quednow
betont, dass die Entwicklung des Gehirns nicht vor 21 abgeschlossen ist. Der
Cannabis-Konsum kann, namentlich bei jungen Menschen, sehr gravierende Folgen
haben.
Wie steht das Blaue Kreuz zur verbreiteten
Rausch-Neigung?
Der Rausch gehört
wohl zum Menschen. Wer läuft bis zum Umfallen, kriegt ihn durch Endorphine. An fast
jedem gesellschaftlichen Anlass wird Alkohol konsumiert – häufig mehr als ein,
zwei Gläser. An Parties werden verschiedenste Drogen konsumiert, um bestimmte
Wirkungen zu erzielen. Das Blaue Kreuz engagiert sich gegen den Missbrauch von
Substanzen und hilft Menschen, denen der Konsum entglitten ist. Hunderttausende
schaffen es leider nicht, ihren Konsum zu kontrollieren. Einige müssen morgens
erst den Alkohol-Pegel erreichen, um zu funktionieren, andere geraten beim
Cannabis in eine psychische Abhängigkeit und verlieren Motivation,
Belastbarkeit und Konzentrationsfähigkeit.
Wie bewerten die Befürworter der generellen
Legalisierung diese Wirkungen?
Die Frage wird oft
gar nicht gestellt, geschweige denn beantwortet. Ich bin sehr für
Selbstverantwortung – doch viele schaffen es ganz einfach nicht. Da muss der
Staat präventive Leitplanken setzen und Hilfsangebote unterstützen.
Zur Person
Ruedi Löffel, geb. 1962, leitet den Bereich Prävention + Gesundheitsförderung des Blauen Kreuzes Bern - Solothurn - Freiburg. Als EVP-Grossrat (bis Ende Mai 2020) kämpfte er während 18 Jahren für wirkungsvolle Prävention. Ruedi Löffel gehört dem EGW Münchenbuchsee an.
Das Interview erschien ursprünglich in der Juni-Ausgabe von wort+wärch, dem Magazin des Evangelischen Gemeinschaftswerks EGW.
Zur Webseite:
Blaues Kreuz
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Datum: 06.07.2020
Autor: Peter Schmid
Quelle: wort + wärch