Anglikaner und Homosexuelle: Ein heikler Balanceakt
Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, Erzbischof Justin Welby, hatte vorausgesagt, dass dieser Kompromiss auf Kritik von beiden Seiten stossen würde. «Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass das, was wir heute vorschlagen, für einige zu weit und für andere nicht weit genug geht, aber ich hoffe, dass das, worauf wir uns geeinigt haben, in einem Geist der Grosszügigkeit und des Strebens nach dem Gemeinwohl aufgenommen wird», sagte Welby in der Pressemitteilung, in der die Entscheidung bekannt gegeben wurde.
Die Reaktionen in den ersten 24 Stunden bestätigten, was das Oberhaupt der Kirche von England erwartet hatte.
Konservative Anglikaner: «Trojanisches Pferd»
Auf der eher evangelikalen oder theologisch konservativen Seite der anglikanischen Kirche macht sich Enttäuschung breit. John Dunnett, ein Sprecher des Church of England Evangelical Council (CEEC), sagte, er sei zwar «dankbar, dass der Erzbischof die Lehre von der Ehe nicht ändern will», dass aber Segnungen von homosexuellen Partnerschaften zu einem «trojanischen Pferd» für zukünftige Änderungen der grundlegenden christlichen Lehren werden könnten.
Ähnlich äusserte sich auch die Gruppe «Anglican Futures», die die Autorität der Heiligen Schrift in der Lehre innerhalb der Kirche von England verteidigt. Die von den Bischöfen getroffene Vereinbarung sei «bedauerlich, weil sie das Evangelium verleugnet und niemanden erfreuen wird», erklärten sie, denn «Segnungsgebete für Menschen in gleichgeschlechtlichen Ehen anzubieten, während man behauptet, die Lehre der Heiligen Ehe als eine Ehe zwischen einem Mann und einer Frau auf Lebenszeit beizubehalten, ist unlogisch».
Die Anglikanische Kirche ist eine weltweite Bewegung. Gafcon, die globale evangelikale Bewegung innerhalb der anglikanischen Kirche auf internationaler Ebene, beklagte ebenfalls den Schritt zur Segnung homosexueller Partnerschaften in der Kirche. «Wieder einmal gehen unsere westlichen anglikanischen Provinzen ihren eigenen Weg in Fragen des Glaubens und der Praxis, ohne sich mit der Mehrheit der Anglikanerinnen und Anglikaner in der weltweiten Gemeinschaft zu beraten oder sich um sie zu kümmern», schrieb ihr Vorsitzender Foley Beach. Solche Entscheidungen der Kirche von England «verleugnen nicht nur die heilige Praxis, sondern lehnen auch die Autorität der Heiligen Schrift, die Lehre der historischen Kirche und den Konsens des Leibes Christi aus allen Stämmen, Sprachen, Völkern und Nationen ab», beklagte der Gafcon-Vertreter.
Scharfe Kritik von Pro-LGBT-Anglikanern
Auf der anderen Seite der Debatte äusserten Vertreterinnen und Vertreter der liberalen und progressiven Theologie und Praxis in der Kirche von England noch schärfere Kritik. Eine der prominentesten Stimmen, Jayne Ozanne, Mitglied des Laienhauses der Generalsynode und LGBT-Aktivistin, sagte, die angekündigten Massnahmen seien ein «absolut verabscheuungswürdiges Ergebnis». «Wir haben über die Jahre unzählige Entschuldigungen erhalten, aber keine Massnahmen, um die schädliche Diskriminierung zu beenden», fügte sie auf Twitter hinzu. «Das ist eine Beleidigung für alle, die dem Prozess vertraut haben.» LGBT-Menschen würden mit dieser Entscheidung «zweitklassig und diskriminiert» bleiben.
Nigel Pietroni, Vorsitzender der Campaign for Equal Marriage (Kampagne für die gleichberechtigte Ehe), erklärte: «Unsere Beziehungen werden nicht als gleichwertig mit denen heterosexueller Paare angesehen.»
Der Bischof von Oxford, Steven Croft, zeigte sich «enttäuscht, dass wir nicht den ganzen Weg gegangen sind, den einige von uns gehen wollten», fügte aber hinzu, dass die Entscheidung «ein guter Schritt nach vorne (…)» sei. «Sie wird einige Ungerechtigkeiten korrigieren und einen greifbaren öffentlichen Dienst anbieten, der vorher nicht verfügbar war». Laut einem weiteren liberalen Bischof, John Inge aus Worcester, gehe die Erklärung «zwar nicht so weit, wie einige von uns es gerne gehabt hätten, aber es ist ein grosser Schritt nach vorn».
Reaktionen von freien Evangelikalen
Peter Lynas von der «Evangelischen Allianz Vereinigtes Königreich» (EAUK) sagte: «Die Kirche von England hält an ihrem langjährigen Bekenntnis zur Ehe zwischen einem Mann und einer Frau fest. Wir hoffen, dass dies Klarheit schafft und dieser Prozess nun zum Abschluss kommt. Die Botschaft muss einheitlich sein – man kann nicht etwas segnen, das man nicht anerkennt.» Er fügte hinzu: «Das Mitgefühl für diejenigen, die sich für ein anderes Leben entscheiden, kann neben den Überzeugungen über die Ehe bestehen. Wir können die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau feiern und gleichzeitig anerkennen, dass unsere Kultur eine andere Auffassung vertritt und das Ja dazu hat.»
Einen härteren Ton schlug die Gruppe «Christian Concern» an, deren Geschäftsführerin Andrea Williams den Schritt als «Kapitulation der Kirche von England» bezeichnete: «Die Bischöfe haben den Mut und die Überzeugung verloren, die Schönheit von Gottes Vision der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau deutlich zu machen.» Die anglikanische Kirche im Land würde «den Weg für die Feier der 'gleichgeschlechtlichen Ehe' freimachen, auch wenn sie es dem Namen nach nicht tut (…) Dies ist ein bahnbrechender Moment und wird als Wendepunkt im Niedergang und Fall der Kirche von England in die Geschichte eingehen – es sei denn, die Gläubigen in der Synode können sich diesen Vorschlägen entschieden widersetzen.»
Welby: persönlich keine Segnungen
Der Erzbischof von Canterbury wird persönlich keine Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare vornehmen, kündigte er am vergangenen Freitag an. Auf einer Pressekonferenz zu den Vorschlägen der Bischöfe sagte Welby, dass er einerseits «sehr erfreut» darüber sei, dass gleichgeschlechtliche Paare in der Kirche gesegnet werden können: «Wir haben tatsächlich Entscheidungen getroffen, die unseren Umgang mit LGBTQI+ Menschen verändern.»
Er werde aber nicht persönlich solche Akte der Segnung abhalten. Als Erzbischof von Canterbury sei er «ein Instrument der Gemeinschaft»; er müsse «ein Brennpunkt der Einheit» sein und habe «eine pastorale Verantwortung für die gesamte [anglikanische] Gemeinschaft»: «Ich will diese seelsorgerische Verantwortung nicht gefährden, die zum Beispiel nächste Woche zum Tragen kommt, wenn der Papst und der Moderator der Kirche von Schottland und ich eine Friedenspilgerreise in den Südsudan unternehmen, wo in den letzten neun Jahren eine halbe Million Menschen durch den Bürgerkrieg gestorben sind.» In Afrika wird die liberalere Haltung westlicher Länder Homosexuellen gegenüber vielerorts nicht verstanden. Welby: «Das ist ein Akt der Selbstverleugnung, aber er ergibt sich aus der globalen Verantwortung.»
Datum: 24.01.2023
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Livenet / Evangelical Focus / Church Times