«Und … wie gross ist deine Gemeinde?»
Haben Sie schon einmal eine Konferenz erlebt, bei der die nächste Rednerin oder der nächste Redner vorgestellt wurde: «Sie/er leitet eine Gemeinde mit 25 Mitgliedern»? Wahrscheinlich nicht. Nun ist es nicht so, dass Vorträge von Sprecherinnen und Sprechern kleiner Gemeinden automatisch ungeistlicher wären. Tatsache ist: Sie kommen trotzdem nicht vor. Grösse spielt in der Wahrnehmung von Kirchen und Gemeinden eine entscheidende Rolle – daher ist die Frage nach der Zahl der Mitglieder oder der Besuchenden im Gottesdienst absolut üblich. Nur: Ist sie damit legitim?
Warum fragen wir nach Zahlen?
Wer andere danach fragt, wie viele Menschen denn den Gottesdienst besuchen, der macht erst einmal gar nichts verkehrt. Er oder sie interessiert sich einfach für eine Kirche oder Gemeinde und hätte dazu gern ein paar Informationen. Interessanterweise kommt die Frage nach den Zahlen aber meistens ganz am Anfang – lange bevor man sich nach den Menschen erkundigt (Wer kommt eigentlich so zu euch?), nach eventuellen Innenwirkungen (Wachsen die Leute bei euch im Glauben?) oder Aussenwirkungen (Wie geht es euren Nachbarn, seit ihr als Gemeinde da seid?). Hinter der Frage «wie viele seid ihr eigentlich?» können völlig unterschiedliche Interessen stecken.
- Jemand aus der
Gemeinde will wissen, wie viele Stühle er oder sie denn nun für die nächste
Veranstaltung stellen soll oder wie viele Lizenzen für die neue App benötigt
werden. Natürlich muss man hier Zahlen nennen.
- Eine Besucherin oder
ein Besucher will wissen, ob die Gemeinde die eigenen Erwartungen erfüllen
kann. Eine grosse Gemeinde bietet oft Professionalität und Vielfalt, eine
kleine eher familiäre Strukturen und Nähe.
- Immer wieder enthält die Frage allerdings eine Art geistliches Ranking: Wie gesegnet ist die Gemeinde? Und dieselben Gläubigen, die sich mittwochs als «kleine Herde» fühlen, die gesellschaftlich zwar in der Minderheit, aber auf dem richtigen Weg sind, fühlen sich sonntags als besonders heilig, weil sie so gross sind, dass sie drei Gottesdienste anbieten müssen.
Manches lässt sich mit Zahlen nicht ausdrücken
Wie viel PS hat das Auto? Wie viel verdienst du? Wie viele Follower hast du in den social media? – Zahlen spielen eine wichtige Rolle beim Einsortieren und Beurteilen. Doch oftmals greifen sie zu kurz.
- Die christliche Gemeinde
startete ihre Erfolgsgeschichte mit zwölf bzw. elf Nachfolgern von Jesus. Alle
Soziologen würden heute behaupten, dass das unterhalb der «kritischen Masse»
ist, mit der eine Gesellschaft beeinflusst werden kann. Die Jünger wussten das
nicht. Sie taten es einfach.
- Wenn wir schon Zahlen
erheben, warum zählen wir dann Mitglieder und nicht geheilte Ehen, Mentee-Mentoren-Verbindungen,
Menschen, die angefangen haben, signifikant mehr zu spenden, oder
stattgefundene Versöhnungen?
- In einem alten Werbespot für eine Bank ging es einmal um das gegenseitige Auftrumpfen: «Das ist mein Haus, mein Auto, mein Boot.» Ist es eigentlich okay, denselben Massstab auch an Gottes Arbeit auf der Erde anzulegen – an die Gemeinde? Steht hier «mehr» auch für «besser»? Oder kopieren wir damit nur Beurteilungen nach menschlichen Kriterien?
Wirklich gezählt wird später
Die oben aufgeführten Fragen stellen manches unausgesprochene Selbstverständnis infrage. Sie lassen allerdings den Umkehrschluss nicht zu: Je kleiner die Gemeinde, desto heiliger und besser ist sie… Das stimmt so auch nicht. Tatsache ist, dass Gott sehr wohl an Wachstum interessiert ist. Allerdings zuerst an qualitativem: «Wachst dagegen in der Gnade und in der Erkenntnis unseres Herrn und Retters Jesus Christus!» (2. Petrus Kapitel 3, Vers 18). Und Tatsache ist genauso, dass es einige Überraschungen geben wird, wenn Gott einen Blick auf seine Nachfolgenden wirft.
Dass echter Wert sich kaum in Zahlen fassen lässt, mag ein profanes Beispiel verdeutlichen: Wie viel ist die Mona Lisa wert? Das Gemälde von da Vinci ist DAS Gemälde schlechthin. Alle kennen es. Doch es lässt sich nicht in Zahlen fassen. Zum letzten Mal wurde das Bild 1518 vom alten Leonardo selbst für 6'250 Golddukaten verkauft (heute etliche Millionen). Das zurzeit teuerste Bild der Welt ist übrigens ebenfalls ein da Vinci. 2017 erzielte «Salvator Mundi» (der Retter der Welt) bei Christie's in London einen Preis von 450,3 Millionen Dollar. Die Mona Lisa wird von Fachleuten auf über eine Milliarde geschätzt. Da sie nicht zum Verkauf steht, ist das allerdings nur fiktiv. Und dem besonderen Zauber des Gemäldes tut sein Preis auch keinen Abbruch. Damit ist das Kunstwerk im Louvre den heutigen Gemeinden gar nicht so unähnlich: Man vermutet und vergleicht, aber letztlich spielen Grösse (nur 77 x 53 cm) und persönliche Einschätzungen gar keine Rolle.
Zum Thema:
Kleine Gemeinden im Schatten der grossen Churches?
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Datum: 14.06.2021
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet