Keine halben Sachen für eine ganzheitliche Mission
Kirchen, Missions- und Entwicklungsorganisationen, Sozialwerke und theologische Ausbildungsstätten aus dem Netzwerk der SEA und von Freikirchen.ch: In der Vielfalt ihrer Aufgaben eint sie der Missionsauftrag von Jesus Christus. Mehr als einmal kam am Leiterinnen- und Leiterforum 2022 zur Sprache, dass die dafür investierte Zeit, die Mittel und Leidenschaft in der Schweiz sehr hoch, die entfaltete Wirkung dagegen vergleichsweise gering sei.
Der Wunsch, die Menschen wieder neu mit dem Evangelium zu erreichen, war unter den versammelten Leitungspersonen aus der evangelischen Szene der Deutschschweiz deutlich zu spüren. Oder «der Traum von einem unerwarteten Comeback der Kirche», wie es Michael Girgis, Rektor vom IGW und Gemeindeleiter, ausdrückte. Woran liegt es, dass der ersehnte Aufbruch in den letzten Jahrzehnten ausblieb?
Eine mögliche Antwort bildete den Ausgangspunkt des diesjährigen Leiterforums: Es braucht eine neue Art von Miteinander; es müssen neue Wege beschritten werden – so wie es die vier Freunde taten, die ein Hausdach abdeckten, um einen Gelähmten zu Jesus bringen zu können. Eine Spurgruppe von Leitenden aus SEA, Freikirchen.ch, der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Missionen AEM und dem Dachverband christlicher Entwicklungsorganisationen Interaction nutzte das Forum, um weitere missionale Akteure der Schweiz in ihren Prozess unter dem Titel «Zukunft Mission» mitzunehmen.
Unverblümte Analysen
Ins Rollen gebracht hatten diesen Prozess zwei Forschungsarbeiten von Dr. Julia Henke, der europäischen Geschäftsführerin der Missions- und Entwicklungsorganisation «Life In Abundance». Sie führte Gespräche sowohl mit Leitenden von Freikirchen als auch von Missionswerken in der Schweiz und ergründete unter anderem das missionale Denken und Handeln in den Gemeinden und die Trends, Chancen und Herausforderungen in der Missionsarbeit. Bei der Präsentation einiger ihrer Ergebnisse ortete Julia Henke ein strukturelles Problem. Verschiedene aktuelle Trends wie beispielsweise die Erstarkung des globalen Südens in Sachen Mission, die Digitalisierung oder der generelle Machtverlust von Institutionen riefen nach strukturellen Veränderungen. Organisationen strebten jedoch natürlicherweise nach Selbsterhaltung und Kontinuität und veränderten sich nicht aus eigenem Antrieb. Julia Henke forderte das Publikum mit der Frage heraus: «Sind wir bereit, unsere Projekte und Organisationen wie das Weizenkorn in die Erde fallen zu lassen, damit Neues entstehen kann?»
Der zweite Hauptreferent Dr. Johannes Reimer, Leiter des «Peace & Reconciliation Network» der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA), hielt auch nicht hinter dem Berg mit schonungslosen Analysen. Christliche Kirchen im Westen würden nur noch mit Mühe Menschen mit dem Evangelium erreichen. Zugleich hätten noch nie so viele Menschen die hiesigen Kirchen verlassen wie im vergangenen Jahr. Da auf der südlichen Hemisphäre hingegen die Gemeinden stetig wachsen, musste Reimer festhalten: «Hier bei uns läuft etwas prinzipiell falsch. Könnte unsere augenscheinliche Fruchtlosigkeit bedeuten, dass wir nicht mehr christozentrisch missionieren?»
Diese Vermutung untermauerte der Professor für Missionswissenschaft und Interkulturelle Theologie mit neun Thesen, die anregen sollten, das eigene Missionsverständnis zu hinterfragen und erneuern. So erinnerte er daran, dass Jesu Mission von Gehorsam gegenüber seinem Vater geprägt war, im Kern Versöhnung zum Ziel hatte, weltzugewandt und ganzheitlich war und im Team stattfand. Die Ganzheitlichkeit der Missio Dei illustrierte Johannes Reimer an einem Beispiel aus Usbekistan. Indem sie in der Pandemie Masken für die Bevölkerung genäht und die Toten bestattet hätten, hätten die Christen im Land selbstlos geholfen, ohne viele Worte zu verlieren. «So wird das Evangelium da gepredigt, wo den Menschen der Schuh drückt.»
Wo ein Wille ist …
In verschiedenen Voten und Gesprächsrunden kam einerseits immer wieder der Wille zum Ausdruck, Eigeninteressen der einzelnen Organisationen zugunsten des gemeinsamen Ziels zurückzustellen. «Wir müssen sagen können: 'Niemand muss in 20 Jahren den Namen meiner Organisation kennen – solange der Name Jesu gross ist'», brachte es Christian Haslebacher, Vorsitzender Viva Kirche Schweiz, auf den Punkt. Andererseits zeigte sich, dass noch viel zu tun ist, etwa die Definition eines gemeinsamen Verständnisses zentraler Begriffe und der Rahmenbedingungen für dieses neue Miteinander. Bereits Einigkeit dürfte darüber herrschen, was das Potenzial eines breiten Schulterschlusses angeht: Gemeinsam ist im Bereich der Mission mehr möglich als die Summe dessen, was einzelne Akteure für sich zustande bringen können.
Andi Bachmann-Roth, Co-Generalsekretär der SEA, gab abschliessend einen Ausblick, wie sich die Initiatoren den weiteren Weg von «Zukunft Mission» vorstellen können. Zunächst sind sie offen für alle, die sich der Spurgruppe anschliessen möchten. Bereits geplant oder zumindest angedacht sind im nächsten Jahr der Einbezug weiterer Kreise wie die Jugend, die Medien oder die Kunstszene, eine Studienreise nach Kenia sowie eine Pilotregion, um auf lokaler Ebene mit neuen Formen des Miteinanders zu experimentieren. Alle Aktivitäten sollen am Leiterinnen- und Leiterforum in einem Jahr in konkrete Empfehlungen und Strategien münden. «Das Ziel wäre, dann in einem Manifest die gemeinsamen Überzeugungen und Erkenntnisse festzuhalten und für deren Umsetzung bereit zu sein.»
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Datum: 14.12.2022
Autor: Daniela Baumann
Quelle: SEA