Vor 50 Jahren erschien «Die Bibel im Bild»
«Sind das nicht die gelben Hefte?» Genau. Zu Beginn waren die Hefte sogar blau-rot-gelb gemustert. Daran erinnern sich nur wenige. Vielen kommt schnell das Bild der knallgelben Hefte mit der orangefarbenen Schrift und der grossen Illustration auf der Vorderseite in den Kopf. Ein Klassiker, der Erinnerungen weckt: «Wie haben wir als Kinder auf jeden neuen Band gewartet! In der Jungschar wurden biblische Geschichten lebendig weitergegeben, aber es war doch etwas anderes, diese spannenden Abenteuer zu Hause selbst lesen zu können. Durch die vielen Bilder mit kurzen Texten wurde auch die Fantasie angeregt und man fühlte sich mittendrin im Geschehen. Weil die Hefte immer wieder gelesen und die Inhalte aufgenommen wurden, fiel der anschliessende Sprung zu einem Bibelleseplan leichter.» (Birgit; Jahrgang 1966)
Schock und Begeisterung
Es ist ein Wagnis, das mit der Veröffentlichung der Bibel-Comics in Deutschland Mitte der 1970er-Jahre eingegangen wird. Der westfälische Pfarrer Herbert Schmidt hatte auf einer Reise in den Niederlanden Ausgaben der Hefte entdeckt und diese mit in die von Cansteinsche Bibelanstalt in Westfalen genommen. Es wird schnell klar, dass die Bibel-Comics für eine Veröffentlichung im deutschsprachigen Raum von grossem Interesse sind. Intern gehen der Publikation aber heftige Kontroversen voraus. Mitglieder des Herausgeber-Kuratoriums sehen «die Würde der Schrift angegriffen». Der Bochumer Alttestamentler Prof. Dr. Siegfried Hermann übernimmt die fachliche Prüfung der von Herbert Schmidt bereits übersetzten Texte und wird zu einem engagierten Fürsprecher der Reihe.
Kurz nach Veröffentlichung der ersten neun Hefte hagelt es Kritik: «Aufs höchste schockiert bin ich aber von der Tatsache, dass die Bibelgesellschaft sich hergibt, Comics zu verbreiten, (…) die – bezeichnender Weise – aus Amerika kommen», schreibt eine aufgebrachte Leserin des Bibelreports 1977.
Aufgrund der Reaktionen wird in der nächsten Bibelreport-Ausgabe von Seiten der Herausgeber auf das begeisterte Zielpublikum verwiesen: «Manche Erwachsenen sehen es mit Stirnrunzeln, aber die Kinder, auch die sonst leseunlustigen, greifen mit Begeisterung danach: Biblische Geschichten in der Form der beliebten Comics gibt es seit geraumer Zeit auch auf dem deutschen Markt.» Und weiter: «Der Weg in die Buchhandlung lohnt – in den Augen der Kinder gewiss.»
Superhelden-Stil
An der Begeisterung des jungen Publikums ändern die kritischen Stimmen auch in der Folge nichts und sie ist nachvollziehbar: Die Comic-Reihe kam ursprünglich tatsächlich aus den USA und traf im besten Sinne den Nerv der Comicleser dieser Zeit. Sie zeigten die biblischen Geschichten des Alten und Neuen Testaments im Stil klassischer Abenteuer-Comics. Realistisch in der Darstellung und gleichzeitig szenisch spektakulär, wie man es aus populären Superhelden-Comics kannte. Der in Haiti geborene Illustrator André LeBlanc war kein Unbekannter, hatte er doch an den erfolgreichen Comic-Serien Flash Gordon, The Spirit oder The Phantom mitgearbeitet. Als Ende der 1950er-Jahre der amerikanische Verlag David C. Cook nach einem Illustrator für eine umfassende Bibel-Comicserie suchte, kam es zu einer langjährigen Zusammenarbeit. In den Jahren 1958 bis 1964 entstanden drei- bis vierseitige Bibelcomics, die regelmässig in einer Sonntagschulzeitschrift für Kinder veröffentlicht wurden. 1973 erschien die erste Buchausgabe der sechsbändigen Reihe mit den Comicgeschichten.
Vom Ziel, mit den Comics auch ein junges, säkulares Publikum zu erreichen, ist man allerdings weit entfernt. Bereits Anfang der 1990er-Jahre habe man bemerkt, dass die Comics vor allem in frommen Familien Anklang finden, erinnert sich Dr. Hannelore Jahr, die damals als Lektorin bei der Deutschen Bibelgesellschaft den Bereich betreute. «Im kirchenfernen Bereich begegnete man der Reihe dagegen eher distanziert.» Die ursprüngliche Vision von Bibelcomics im Kiosk an der Strassenecke erfüllt sich damit nicht.
Theologische Anfragen
Der wirtschaftliche Erfolg stellt sich dennoch rasch ein. Zu diesem Zeitpunkt ist die «Bibel im Bild» schon ein Longseller. Allerdings beginnt auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Abenteuer-Comic-Stil. Während heute Anfragen in Blick auf ethnische Vielfalt gestellt werden und die Sensibilität hinsichtlich stereotyper Darstellungen gewachsen ist, sind es damals vor allem theologische Gründe: Die realistische Darstellung von Jesus beispielsweise führt zu einer ästhetischen Idealisierung, die an einen Superhelden erinnert. «Selbst am Kreuz sieht dieser Jesus ‚schön‘ aus», so Jahr. Ein Spannungsverhältnis zwischen Darstellung und der biblischen Botschaft, das sich über den knappen Text der Sprechblasen nicht auflösen lässt.
Die Deutsche Bibelgesellschaft wagt sich schliesslich erneut an eine Comic-Publikation und schlägt mit «Jesus, der Galiläer» von Rüdiger Pfeffer den Weg der «Funny Comics» ein, für die eine unrealistische Darstellung, humorvolle Überzeichnung und damit eine pointierte Erzählweise charakteristisch sind. Auch hier schlagen die Wellen der Empörung hoch.
Kultstatus
Der Nachfrage nach der «Bibel im Bild» tut all dies keinen Abbruch. Um die Jahrtausendwende geniessen die Geschichten bereits Kultstatus. LeBlancs Bildwelten werden zum Vorbild einer neuen Generation von Bibelcomics und Graphic Novels. Die Comichefte selbst werden nicht selten von Generation zu Generation weitergegeben und prägen die Vorstellung von biblischen Geschichten noch heute.
Zum 50-jährigen Jubiläum erscheint «Die Bibel im Bild» mit allen Geschichten in einer fünfteiligen gebundenen Sonderausgabe.
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