Bibel-Boom in den USA
In der Vorweihnachtszeit ist es üblich, dass man in der Presse «überraschende Neuentdeckungen» zur Weihnachtsgeschichte findet. Jedes Jahr wieder gibt es irgendwo die Sensationsenthüllung, dass König Herodes der Grosse bereits 4 vor Christus verstarb und Jesus gar nicht im Jahr null (das es nicht gegeben hat) auf die Welt gekommen sein kann. Diese bahnbrechende Neuigkeit stammt tatsächlich aus dem «Lehrbuch der neutestamentlichen Zeitgeschichte» von Emil Schürer und wurde 1874 veröffentlicht. Sie feiert also gerade ihren 150. Geburtstag!
Umso interessanter war es, am 1. Dezember im Wall Street Journal eine Nachricht zu lesen, die wirklich unerwartet kam: «Bibelverkäufe boomen, befeuert von Erstkäufern und Neuausgaben». Was steckt dahinter?
Wachstum gegen den Trend
Dem US-Buchmarkt geht es vergleichbar wie dem in Deutschland bzw. der Schweiz: Er stagniert. Während die normalen Buchverkäufe im Jahr 2024 um knapp ein Prozent zulegten, stieg der Verkauf von Bibeln bis Ende Oktober im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent. Brandon Vogt, Leiter des katholischen Medienunternehmens «Word on Fire», beschrieb die Situation folgendermassen: «Wir haben 50‘000 Exemplare bestellt, was uns sehr viel erschien, und gingen davon aus, dass sie uns mindestens ein oder zwei Jahre lang reichen würden. Erstaunlicherweise waren die Lederausgaben innerhalb von 24 Stunden ausverkauft und die meisten Hardcover- und Taschenbuchausgaben innerhalb weniger Wochen. Seitdem hat sich der Verkauf nicht verlangsamt.»
Zusammen mit seinen Kollegen macht er das Interesse an den besonders wertigen Bibelausgaben oder einer katholischen Studienbibel fest und verweist auf einen erfolgreichen katholischen Bibel-Podcast in den USA. All das mag mitspielen, doch das Interesse ist konfessionsübergreifend festzustellen. Und es findet in einem religiösen Klima statt, in dem der institutionelle christliche Glaube eher rückläufig ist – das ist in den USA nicht anders als in Europa. Jeffrey Trachtenberg vom Wall Street Journal vermutet als Ursache für den Verkauf von 13,7 Millionen Bibeln die Sorge um die Wirtschaftslage, die weltweiten Konflikte und die Ungewissheit bis November über die bevorstehenden Wahlen. Er denkt, dass viele Menschen deshalb in der Bibel Trost suchten. Auch das gehört sicher zum Gesamtbild, erklärt jedoch kaum, warum eine stärker säkularisierte Bevölkerung diesen Trost gerade in der Bibel sucht.
Interesse an geistlichen Inhalten
Die meistnachgefragten Bibeln waren moderne Ausgaben in verständlicher Sprache. Sie wurden hauptsächlich von Erstleserinnen und -lesern gekauft – also Menschen, die noch nie darin gelesen hatten. Typisch dafür ist die Künstlerin und Influencerin Cely Vazquez, die ihren knapp zwei Millionen Followern auf TikTok und Instagram zeigte, wie sie als 28-Jährige ihre erste Bibel kaufte. «In letzter Zeit habe ich diesen Reiz verspürt, Gott näherzukommen & war immer etwas überwältigt von dem Gedanken, die Bibel zu lesen […]🥹💖 Ich hatte dieses ermutigende Gefühl, die Bibel zu lesen & jetzt sind wir hier!!! 💖 Ich bin so aufgeregt!!!»
Dieses Interesse ist noch kein geistlicher Aufbruch und es ist offen, ob etwas davon in den Kirchen und Gemeinden ankommt, doch es spiegelt die Besonderheit der sogenannten Gen Z wieder – der Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden: eine globale Perspektive, ein Suchen nach Sinn und Sicherheit und nicht zuletzt ein Desillusioniert-Sein von alten Lösungen. All dies mag dabei mitspielen, dass sich in den USA mehr Menschen als in den letzten Jahren mit dem Glauben auseinandersetzen wollen – und zwar mit seiner Basis und nicht dem, wie er von der Kirche repräsentiert wird. Viele vergleichbare Trends schwappen nach einer Weile aus den USA nach Deutschland und in die Schweiz. Es wäre kein schlechter Trend.
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