Haiti-Missionar: «Es braucht Geduld»
«Die Lage in Haiti ist schwierig und verfahren», beschreibt Reinhard Schaller die aktuelle Situation in Haiti. Er und seine Frau sind seit etlichen Jahren als Missionare in dem Karibikstaat, der immer wieder wegen der Gewalt in dem Land in den Schlagzeilen auftaucht. «Niemand kann sagen, was in den nächsten Wochen oder Monaten passiert. Weite Teile der Hauptstadt werden von Banden kontrolliert.»
Von den Ereignissen berichten zahlreiche Medien. Am vergangenen Montag versuchten schwer bewaffnete Personen vergeblich, die Bank der Republik Haiti zu stürmen. Immer wieder werden Tankstellen, Banken, Geschäfte oder Wohnungen in wohlhabenderen Gegenden überfallen. An manchen Orten richten die Banden auf der Strasse ein Blutbad an.
Mittlerweile ist von mehr als 300'000 Binnenflüchtlingen die Rede. Die Zahl der Toten ist unklar. Manche Medien berichten von Leichen auf offener Strasse, die wegen der Sicherheitslage nicht bestattet werden konnten. Die Schallers selbst leben im Südwesten des Landes, auf den sich die Bandenkriminalität noch nicht ausgeweitet und das öffentliche Leben lahmgelegt hat.
«Banden nutzen Schwäche der Regierung aus»
Für Schaller ist die Situation nichts Neues. Eine Besserung scheint nicht in Sicht: «Die Banden nutzen die schwache Regierung aus und nehmen immer grössere Teile der Hauptstadt in Besitz. Das lähmt alle wirtschaftlichen Aktivitäten sehr stark.» Die wenigen Firmen, die produzieren, würden angegriffen, geplündert und teilweise zerstört. Wer die Hauptstadt passiere, müsse Schutzgelder für die Durchfahrten bezahlen.
Die Bandengewalt habe die bestehenden Probleme nur verstärkt: «In Haiti ist alles zentralistisch auf Port-au-Prince ausgerichtet.» Weil alles über den Hafen dort importiert werde, seien die Einfuhren gefährdet, erklärt Schaller. Seit Wochen gebe es keinen Flugverkehr mehr. Damit seien auch keine Evakuierungen mehr möglich.
Wenn sich die Banden auch im Südwesten etablieren, sähe Schaller die eigene Arbeit als Missionar gefährdet: «Bisher hat die örtliche Polizei noch Oberhand und unsere Arbeit ist nur bedingt beeinträchtigt.» Dazu gehören die fehlenden Importe, die das Leben teurer machen. Durch das Flugverbot kommen natürlich auch keine Missionare oder Organisationen mehr ins Land.
Kaum Nachhaltigkeit gewährleistet
Kritisch sieht Schaller die geleistete Entwicklungshilfe der letzten Jahre. Manches sei sinnvoll, anderes eher schädlich gewesen: «Häufig wälzt es die Eigenverantwortlichkeit ab und führt dann zur Bequemlichkeit und Abhängigkeiten vom Ausland.» Das Land und seine Einwohner sollten lernen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Falls Gelder nicht mehr fliessen, höre das Entwicklungshilfeprojekt auf und die Ausländer gingen weg. So gebe es kaum Nachhaltigkeit.
Schaller blickt mit grosser Ungewissheit in die Zukunft. Nicht einmal die Haitianer seien sich einig und hätten eine klare gemeinsame Linie für die Zukunft ihres Landes: «Auf keinen Fall möchten sie zu viel Einmischung von aussen.» Das Ehepaar Schaller möchte in dem Land bleiben, solange sie ihre Arbeit weiter fortführen kann: «Letztendlich folgen wir dem Rat unserer Kirchenleitung. Wir würden erst auf deren Vorschlag hin das Land verlassen.»
Dabei ist Geduld gefragt: «Es bleibt uns eigentlich nichts anderes übrig als abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt. Selbst ein neuer Präsident kann nicht einfach tausende kriminelle Bandenmitglieder entwaffnen.»
Dieser Beitrag erschien zuerst bei PRO Medienmagazin.
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