«Gebt eure Kinder niemals auf!»
Pornografie: Welche Wirkung hat sie auf Kinder und Jugendliche? Und führt sie zu einem gewaltbereiten Verhalten? Diesen Fragen wird im Livenet-Talk nachgespürt. Gast ist Rolf Rietmann. Seit vielen Jahren ist er therapeutischer Berater im Bereich Sexualität und Identität und arbeitet für die Organisation Wüstenstrom.
Persönliche Betroffenheit
«Ich habe zwei Söhne im Alter von dreizehn und sechzehn Jahren und stehe voll in der Auseinandersetzung.» Im Umgang mit dem Thema Internet und Pornografie nimmt Rolf eine gewisse Resignation wahr. «Es gibt Kinder, die ihre Internetzeit diszipliniert gestalten können, während andere dies weniger gut können.» Nach Vorträgen würde Rolf oft von Eltern die Rückmeldung erhalten, dass sie bezüglich des Internetkonsums ihrer Kinder resigniert haben. «Resignation darf aber keine Option sein», hält er fest. «Wir ringen um unsere Kinder. Und dies ist ein Ausdruck von Liebe: dass wir sie im Internet nicht aufgeben.»
Lassen wir unsere Kinder alleine?
Gemeinsam mit Familiencoach Regula Lehmann produzierte Rolf Rietmann einen Film mit dem Titel «Lassen wir Kinder im Internet alleine?» (hier auf YouTube abrufbar). «Es ist tatsächlich eine Beobachtung, dass wir die Kinder weitgehend alleine lassen. Vielleicht führen wir ein Gespräch oder zwei mit ihnen, mahnen sie dabei zur Vorsicht und haben dann das Gefühl, dass dies genügt.» Rolf betont, dass auch Schutzfilter keinen absoluten Schutz bieten. «Wenn Kinder wollen, werden sie zu den gewünschten Inhalten kommen. Das fordert uns heraus, dass wir permanent im Austausch mit ihnen stehen.»
Im Talk empfiehlt Rolf das Buch «Wir verlieren unsere Kinder» von Silke Müller. Er selbst ist es gerade am Lesen und fühlt sich sehr angesprochen. «Silke Müller fordert auf, unsere Kinder nachhaltend und dranbleibend zu begleiten.» Das Buch gebe zahlreiche praktische Anregungen, von welchen Rolf einige weitergibt. Er verweist auch auf eine Studie, welche besagt, dass ein Kind nie länger als 45 bis 60 Minuten vor dem Bildschirm verbringen sollte – und dies nie alleine. Da Fachleute auf diese Zeitangaben kommen und sie dringend empfehlen, seien Eltern gut beraten, darauf zu hören.
Schon Zwölfjährige sind dem Schmutz ausgesetzt
«In der Pornografie sagt man, dass 80 Prozent der Pornos einen Gewaltanteil drin haben. Diese Zahl stammt aus einer Studie.» Rolf zitiert aus Berichten, welche aufzeigen, dass Kinder, welche diese Pornos schauen, die Verbindung von Sex und Gewalt als normal betrachten. Was zwölf- bis fünfzehnjährige Schüler heute erleben, sei krass. Rolf gibt das Beispiel einer Challenge, an welcher zwölf- und dreizehnjährige Mädchen teilnahmen. Es ging darum, wer als erste «Dickpics» (Penisbilder) erhalten würde. So geraten Kinder schnell auf pornografische Seiten.
Gewalt wird heute in Windeseile übers Internet verbreitet. Rolf berichtet, wie Jugendliche das Fussballspiel mit einem Welpen filmten, bis dieser tot war. Das entsprechende Filmchen wurde über die sozialen Medien verbreitet – genauso wie Liveaufnahmen aus dem Ukrainekrieg, Beschreibungen von Kastrationen und anderen Grausamkeiten. Kinder und Jugendlichen sind diesen Bildern ausgesetzt.
«Wir können uns nicht auf den Staat verlassen»
Rolf ist zutiefst irritiert und betroffen, dass seine diesbezüglichen Meldungen kaum Reaktionen auslösen. Gerne würde er sich für aufklärende Schulungen investieren, doch aus irgendwelchen Gründen scheine kaum jemand Bedarf zu haben. «Heute ist Pornografie zu einem verbreiteten Phänomen gewordene und kein Süchtiger wert sich gegen seinen Suchtstoff.» Damit gibt Rolf eine Erklärung, weshalb so wenig gegen Pornografie vorgegangen wird. Heute sei es auch weniger die Politik, welche der Pornografie – insbesondere der illegalen – den Riegel schiebt, als vielmehr die Kreditkarteninstitute. «Wenn wir heute Geschichten hören, die sogar uns Erwachsenen den Magen umdrehen, dann fragt man sich: Wo ist denn da der Jugendschutz?» Wenn im grossen Stil etwas zum Schutz für Kinder gemacht werden will, wende man sich besser an die Finanzinstitute als an die Politik.
«Wir können uns nicht auf den Staat verlassen», hält Rolf fest, weist aber auch darauf hin, dass diese Verantwortung letztlich (auch) in den Familien liegt. «Wir Eltern stehen, wenn wir unsere Kinder lieben, in der Verantwortung.» Und einmal mehr wiederholt er: «Gebt eure Kinder niemals, niemals auf!»
Sehen Sie sich den Talk mit Rolf Rietmann an:
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Datum: 01.12.2023
Autor:
Markus Richner-Mai
Quelle:
Livenet