Chinas Christen widerstehen staatlich verordneter Anpassung
Wenn Wladimir Putin gerade in Peking aus dem Flugzeug steigt, dann gerät China kurz in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Sonst ist das zurzeit nicht der Fall. Doch im Reich der Mitte ist vieles in Bewegung. In den letzten Wochen wurden dort für die knapp 100 Millionen Christen die Bedingungen noch einmal verschärft. Der Soziologe und Religionswissenschaftler Fenggang Yang (61) spricht in einem ausführlichen Hintergrundbericht in «Christianity Today» davon, dass «der Dezember der schwierigste und zugleich hoffnungsvollste Monat für die Christen in China» gewesen sei.
Was ist geschehen?
Kurz vor Weihnachten fand in Peking der 11. Nationale Chinesische Christliche Kongress (NCCC) statt. Dieses von der Regierung anerkannte und kontrollierte Gremium wählte eine neue Leitung für den Chinesischen Christenrat und die offizielle «Drei-Selbst-Bewegung». Die Regierung schwor sie ein auf «strenge Aufsicht über die Kirchen und unerschütterliche Loyalität gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas». Ein neues und weitreichendes Gesetz verpflichtet die Kirchen seit dem 1. Januar dieses Jahres, patriotische Erziehung zu betreiben und ihren Glauben nach den Grundsätzen der chinesischen KP zu praktizieren.
Diese Massnahmen reihen sich in das Geschehen der letzten Jahre ein. Seit 2018 geht die Staatsmacht verstärkt gegen Christen, besonders solche in Untergrundgemeinden, vor. Zu Beginn schloss die Polizei die Early Rain Covenant Church in Chengdu und verurteilte deren Pastor Wang Yi zu neun Jahren Gefängnis wegen «Anstiftung zur Untergrabung der Staatsmacht» (Livenet berichtete). Hauskirchen sollten ausgerottet werden, Tausende offizielle Kirchen wurden abgerissen, umgewidmet oder geschlossen. Auch am vergangenen Weihnachtsfest war das Feiern von Gottesdiensten offiziell verboten. All dies ist Teil der Zhongguo hua, der Politik der Chinaisierung, die Staatschef Xi Jinping seit Längerem vorantreibt. Professor Yang erklärt, dass das «Hauptziel von Zhongguo hua jedoch nicht die kulturelle Assimilation, sondern die politische Domestizierung ist, um die Unterwerfung unter den kommunistischen Parteistaat China sicherzustellen».
Das Konzept der Chinaisierung
Von der Idee her ist China ein Land, dessen Verfassung die Religions- und Glaubensfreiheit garantiert, nur dass «die Politik der Partei über den staatlichen Gesetzen steht und die Verfassung übertrumpft», wie Yang erläutert. In den letzten 40 Jahren wuchs die Zahl der Christen von ca. einer bis auf schätzungsweise 100 Millionen an. Damit wurde sie zu einer Bedrohung fürs System – nicht, weil die Christen etwas Schlechtes taten, sondern weil sie nicht kontrollierbar waren. Die Chinaisierung der Religionen sieht deshalb (übrigens genauso bei Buddhismus, Daoismus und Islam) vor, dass in Gottesdiensten die Nationalflagge aufzuhängen ist, ausserdem Plakate mit Parolen wie «Liebe die Partei, liebe den Staat und liebe die Religion».
In seinem Fünfjahresplan musste sich der Protestantische Ausschuss im Dezember verpflichten, die eigenen Leitungspersonen und Studierende über die sogenannten sozialistischen Grundwerte aufzuklären und die Bibel im Sinne der chinesischen Kultur neu zu interpretieren. Selbst eine Neuübersetzung der Bibel wird vorbereitet. Weil diese Bestrebungen nichts mit einer normalen und überall vorhandenen Anpassung an die vorhandene Kultur und Gesellschaft zu tun haben, sondern verordnete Massnahmen zur Kontrolle sind, spricht Fenggang Yang nicht von «Sinisierung», sondern einer darüberhinausgehenden «Chinaisierung» der Kirche. Ironischerweise wird im Reich der Mitte ein Grossteil der Bibeln für den Weltmarkt gedruckt – bislang über 200 Millionen Exemplare.
Eine bedrohliche Situation
Dass die Chinaisierung kein abstraktes Konzept ist, sondern eine tatsächliche Bedrohungen einzelner Menschen, beschrieb Katrin Büchenbacher eindrücklich in einem Artikel der NZZ. Sie berichtet darin von Hu, der beim Studium in Paris zum Glauben findet und zurück in China erst eine Kirche besucht, dann pandemiebedingt Online-Veranstaltungen und inzwischen Untergrundkirchen. Um der Überwachung zu entgehen, treffen sich Christen dazu in Wohnzimmern, abgelegenen Höhlen oder über Land fahrenden Bussen – jeweils ohne Handys. Büchenbacher zitiert einen Insider, der erzählt, wie junge Chinesen ihre älteren Glaubensgeschwister fast ausgelacht hatten, weil sie von Verfolgung sprachen und keine Bibel-App verwenden wollten. Inzwischen haben sie sich umorientiert und besuchen christliche Versammlungen nur noch ohne Handy. «Immer mehr Pastoren entscheiden sich für ein Leben ganz ohne Mobiltelefon – in China ein schwieriges Unterfangen, da das Handy im Alltag für einfache Einkäufe oder zur Eröffnung eines Bankkontos benötigt wird.»
Die chinesischen Hauskirchen wachsen
Es ist nicht so, dass die Repressalien durch die Regierung spurlos an den Christen vorbeigehen würden, aber im Grossen und Ganzen haben sich die Gemeinden gut darauf eingestellt. Gottesdienste mit Hunderten von Teilnehmern sind praktisch nicht möglich, aber ihre Besucher versammeln sich längst dezentral in kleinen Gruppen, an jeweils unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten. Diese Guerilla-Taktik ist genauso wirksam wie das Treffen auf Onlineplattformen wie Zoom. Yang erzählt von den chinesischen Christen der 1980er- und 1990er-Jahre. Sie trafen sich in ländlichen Gebieten täglich um 5 Uhr morgens zum Gebet – diese Zeiten waren der Schlüssel dazu, dass Menschen millionenfach zum Glauben fanden.
Inzwischen beten sie wieder: jeden Tag um 17 Uhr, damit auch ihre inhaftierten Pastoren beim Hofgang mitbeten können. Chinas Christen sind überzeugt, dass dieses gemeinsame Gebet «Herzen, Köpfe, Kirchen, Gemeinschaften, Nationen und die Welt verändern wird». Wenn Fenggang Yang darüber nachdenkt, ob die chinesischen Hauskirchen die jüngste Unterdrückung durch die Regierung überleben werden, unterstreicht er: «Nach meinen Beobachtungen ist meine Antwort darauf ein klares Ja.»
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Datum: 22.01.2024
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet / Christianity Today