Pro & Kontra

Evangelikale und Homosexualität – ein «spannendes» Verhältnis

Ist jede Art von Homosexualität Sünde? Dies fragt das evangelische Nachrichtenmagazin idea zwei profilierte Vertreter der evangelikalen Szene in Deutschland: Michael Kotsch und Martin Grabe. Die Pro-und-Kontra-Aufmachung legt dabei eine schwarz-weisse Sichtweise nahe. Dabei wird das Thema längst auch wohltuend differenzierter behandelt.
Homosexuelles Paar
Redaktor Hauke Burgarth

Das evangelische Nachrichtenmagazin idea stellt im Rahmen der Rubrik «Pro und Kontra» regelmässig mehr oder weniger kontroverse Themen zur Diskussion. Mit der Frage «Ist jede Art von Homosexualität Sünde?» wendet sich die Wetzlarer Redaktion an Michael Kotsch, den Vorsitzenden des theologisch konservativen Bibelbundes und Dozenten der Bibelschule Brake und an Martin Grabe, den Vorsitzenden der Akademie für Psychotherapie und Seelsorge sowie Chefarzt für Psychotherapie und Psychosomatik an der christlich ausgerichteten Klinik Hohe Mark.

«Gott lehnt Homosexualität ab»

Michael Kotsch betont dabei, dass jede Sexualität in die Ehe von Mann und Frau gehöre: «Jede ausserhalb dieses Rahmens ausgeübte Sexualität wird von Gott abgelehnt.» In diesem Zusammenhang nennt er Sex vor und ausserhalb der Ehe, gekauften Sex, Sex mit Familienangehörigen, mit Tieren oder mit gleichgeschlechtlichen Partnern. Der Theologe räumt ein, dass Menschen lebenslang homosexuell empfinden könnten, was er mit pädophilem oder polygamem Verhalten gleichsetzt: «Doch nicht die Veranlagung ist in den Augen Gottes Sünde, sondern deren Ausübung.» Nach Kotschs Verständnis bezeichnet das Neue Testament jede ausserhalb der heterosexuellen Ehe praktizierte Sexualität als «Unzucht» und bewertet ausgeübte Homosexualität als Kennzeichen einer grundsätzlichen Abwendung von Gottes Massstäben. Dazu zitiert er Römerbrief, Kapitel 1, Vers 27: «Ebenso haben die Männer die natürliche Beziehung zur Frau mit einer unnatürlichen vertauscht: Männer begehren Männer und lassen ihrer Lust freien Lauf. So erfahren sie die gerechte Strafe für ihren Götzendienst am eigenen Leib.»

«Homosexualität ist Gabe und Aufgabe Gottes»

Martin Grabe vertritt demgegenüber die Ansicht: «Homosexualität ist keine Sünde.» Homosexuelles Empfinden gehört für ihn zu den Gaben und Aufgaben, die Gott einem Menschen mit auf seinen Lebensweg gegeben habe – und so etwas geschehe nicht ohne seinen Willen. Sexualität als starke Kraft ist hierbei nach Ansicht des Mediziners auf einen Rahmen angewiesen, um Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung und süchtige Selbstzerstörung zu vermeiden. «Für Christen ist hier die Bibel ausschlaggebend.» Auftrag für Kirchen und Gemeinden sei es daher, Lösungen für moralische Fragen und Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Eine lieblose, unterschwellige Ausgrenzung von Homosexuellen ist dabei seiner Meinung nach ebenso wenig hilfreich wie eine denkfaule Übernahme des Zeitgeistes. «Stattdessen ist es dringend an der Zeit, diese Fragen miteinander und vor Gott zu bewegen: Welche Lebensmöglichkeiten gibt es in der Gemeinde Jesu für homosexuell empfindende Menschen? Vielleicht werden verschiedene Gemeinden zu verschiedenen Lösungen kommen. Aber Lösungen braucht es endlich», unterstreicht Grabe.

Spaltung oder Dialog?

Homosexualität ist – und bleibt – sicher ein Thema, zu dem es verschiedene Meinungen gibt. Doch die Frage ist eher, wie wir als Christen damit umgehen. Auch wegen der Tauffrage und anderer theologischer Themen haben sich Christen in der Vergangenheit den Glauben abgesprochen und sich gegenseitig verfolgt. Dieses Stadium haben wir glücklicherweise überwunden. Es scheint allerdings, dass manche Christen gern eine isolierte Streitfrage haben, an der sie die Gläubigkeit ihres Gegenübers festmachen wollen.

Die polarisierende Berichterstattung vieler christlicher Medien trägt sicher ihren Teil dazu bei, dass zum Thema Homosexualität und Christsein mehr Reden und Richten übereinander als echter Dialog stattfindet. Und zwar von beiden Seiten! Es ist klar, dass wir bei diesem kontroversen Thema keine absolute Einigung erzielen werden. Doch dasselbe gilt für so viele Fragen in unserem Gemeindeleben. Schaffen wir es, die Perspektive des jeweils Andersdenkenden ernst zu nehmen und von ihm zu lernen? Halten wir die Spannung aus und bleiben trotzdem im Gespräch? Das wäre ein Abschied von der klassischen Schwarz-weiss-Sicht – meiner Meinung nach aber deutlich näher an dem, was Jesus uns vorgelebt hat.

Datum: 19.03.2015
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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