Vom Gegenwarts-Optimierungwahn loskommen
«Wir leben in einer Zeit, die das Gegenteil von dem produziert, was sie will», sagte kürzlich der deutsche Historiker und Journalist Michael Stürmer. Menschen wollen leben, und sie wollen ein gutes Leben haben. Doch eines der grössten Themen unserer Zeit ist das Recht auf einen begleiteten Suizid, sobald ich mir diesen wünsche. Er steht offenbar weit über dem Wunsch, das Ende des Lebens unter einer guten medizinischen und menschlichen Begleitung zu erleben.
Der «Verzweiflungs-Leitwert» unserer Zeit
Er ist Ausdruck der Multioptionsgesellschaft unserer Zeit, wie es der ehemalige Chrischona-Direktor und aktuelle Heimpfarrer der Heimstätte Rämismühle, Markus Müller, beschreibt. Er sieht im Wunsch nach Selbstbestimmung einen «Verzweiflungs-Leitwert» und im selbstbestimmten Sterben eine «Option, die alle andern Optionen ausschliesst». Aber er sei auch die logische Folge des «Gegenwarts-Optimierungswahns». Wenn Leiden in der Gegenwart wo immer möglich vermieden werde, wolle man auch auf dem Weg zum Sterben nicht leiden.
Wenn die Zukunftsfrage ansteht
Wer aber den Weg zum Lebensende ohne die Abkürzung Suizid gehe, mache oft erstaunliche Erfahrungen und Entwicklungen durch. Sie könne vom Wunsch, Beziehungen zu erneuern und den letzten Weg in der Begleitung von lieben Menschen zu gehen, wecken. Und sie könne hinführen zur Frage, wer ich wirklich bin. Und schliesslich zur alles überwältigenden Zukunftsfrage: «Aus welcher Hoffnung lebe ich? Was sehe ich vom Kommenden?»
Menschen, die andere beim Sterben begleiten, machen immer wieder die Erfahrung, dass sie Wegbegleiter sind auf einem Weg, der mit neuen Erfahrungen und Überraschungen verbunden ist, die das Leben auf der letzten Etappe verändern.
Wenn der Vorhang aufgeht...
An einer Tagung der CISA, den Christlichen Institutionen der Sozialen Arbeit, hat Markus Müller am 12. November Theodor Bovet zitiert, den grossen Schweizer Theologen, Psychiater und Eheberater, der die biblische Perspektive mit diesen Worten beschrieben hat: «Das Alter ist nicht mit einem letzten Akt einer Tragödie zu vergleichen, nach dem der Vorhang fällt und die Lichter gelöscht werden. Vielmehr gleicht es den letzten Takten der Ouvertüre, nach denen der Vorhang aufgeht, das Licht erstrahlt und das Eigentliche beginnt.»
Fazit: wer das Leben auf dem letzten Abschnitt optimieren will, darf es nicht selbstbestimmt verkürzen wollen.
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Datum: 15.11.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet