Nach dem Mordanschlag

Ist die Religionsfreiheit in Jordanien gefährdet?

Am 25. September wurde in der jordanischen Hauptstadt Amman der 56-jährige Publizist Nahed Hattar, griechisch-orthodoxer Christ, von einem Mann, der in ein saudisches Männergewand (Dischdascha) gekleidet war, aus wenigen Metern Entfernung erschossen. Das Ereignis wirft ein Schlaglicht auf die Lage der Christen in Jordanien.
Kirche neben Moschee in Beirut, Libanon
Jordanischer Christ demonstriert nach Hattars Ermordung in Amman
Der jordanische König Abdullah versichert immer wieder, dass Jordanien die Christen schützt.

Nahed Hattar hatte keinen Personenschutz, obwohl die Todesdrohungen gegen ihn bekannt waren: Er hatte in den Tagen zuvor rund 200 Mordankündigungen per Telefon, Mail oder Post erhalten. Die Tat ereignete sich laut arabischen Medienberichten vor einem Gerichtsgebäude. Demnach sollte sich der 56-jährige Christ dort wegen Beleidigung des Islam verantworten.

Die Provokation

Hattar hatte auf seiner Facebook-Seite eine Karikatur veröffentlicht, die sich über die Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) lustig machte. Zu sehen war ein IS-Kämpfer, der mit zwei Frauen im Bett liegt und Gott bittet, ihm einen Drink zu bringen. Der mit weissem Bart und goldener Krone gezeichnete Gott öffnet von aussen den Vorhang und schaut in das Schlafzimmer.

Überschrieben war die Karikatur mit «fil Djanna», auf Deutsch: «im Paradies», das vom Koran allen verheissen ist, die im Kampf für die Ausbreitung der islamischen Herrschaft den Tod finden. Angesprochen und beleidigt gefühlt hätten sich laut der Website «Telepolis» auch Vertreter der jordanischen islamischen Geistlichkeit, die gegen Hattar Klage wegen Blasphemie einreichten. Auch die Regierung in Amman habe sich auf ihre Seite geschlagen. Ein Familienmitglied des Ermordeten machte die Regierung für die Folgen verantwortlich.

Mörder gefasst

Der auf frischer Tat gefasste Mörder wurde von den jordanischen Behörden als der 49-jährige Riad Ismail Abdallah aus Ammans erzmuslimischen Viertel Jaduda identifiziert. Er war gleich nach Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien 2011 dorthin gegangen und hatte sich der Terrormiliz An-Nusra angeschlossen, einem Ableger von al-Kaida. 2013 kehrte er nach Jordanien zurück und wurde als Vorbeter (Imam) an einer staatlichen Moschee angestellt. Als er in Predigten die pro-westliche Haltung der jordanischen Führung anprangerte, verlor er seinen Posten. Weiter wurde aber nichts gegen ihn unternommen, obwohl er den Behörden als Extremist bekannt war.

Wie christlich war Nahed Hattar wirklich?

In den Nachrufen auf ihn wird der als griechisch-orthodoxer Christ getaufte Nahed Hattar als «nicht-praktizierend» oder gar als «Atheist» bezeichnet. Seine Familie liess ihn jedenfalls in seinem Heimatort Fuheis 20 km von Amman am 28. September kirchlich abdanken, wozu sich sogar der orthodoxe Metropolit von Jordanien einfand, Benediktos Tsekouras vom Patriarchat Jerusalem.

Dennoch nahm der römisch-katholische Erzbischof für Jordanien – Maroun Lahham – er ist wie auch Hattar und fast alle jordanischen Christen palästinensischer Abstammung – dessen Entfremdung von der Kirche zum Anlass, um seiner Ermordung religiöse Motive abzusprechen. Auslöser seien «politische und ideologische Faktoren» gewesen.

Christliche Würdenträger uneinig über Motive

Ganz anders reagierte am 30. September Lahhams neuer Vorgesetzter, der Verweser des Lateinischen (= römisch-katholischen) Heilig-Land-Patriarchats, Erzbischof Pierbattista Pizabella: Für seine Amtseinführung in Jordanien am Wochenende wurde das ganze Programm auf ein Minimum beschränkt. Aus Respekt vor Hattars Familie und mit Blick auf die schwierige gegenwärtige Lage im Land werden die für Samstag und Sonntag geplanten Veranstaltungen in den Pfarreien Jordaniens auf die liturgischen Feiern reduziert. Erzbischof Pizzaballa, den Papst Franziskus Ende Juni im Rang eines Apostolischen Administrators zum Nachfolger des emeritierten Patriarchen Fouad Twal an die Spitze des Patriarchats ernannte, will stattdessen Hattars Familie einen Kondolenzbesuch abstatten.

Gerade bei den orthodoxen Christen arabischer Sprache fanden und finden sich häufig vereint mit Treue zu ihrer Kirche marxistische und religionskritische Überzeugungen. So wurde der Arabische Baath-Sozialismus in Syrien von dem christlichen Lehrer und Publizisten Michael Aflaq gegründet, im Irak wirkte sein Schüler Elia Farah bis zuletzt bei den Saddam-Hussein-Baathisten. Im Ägypten von Abdel Nasser war es der orthodoxe Kopte Kamal Ramzi Stino, der den «Arabischen Sozialismus» begründete.

Christ und politisch links – oder auch rechts

Auch die Katholiken orientalischer Riten zeigen sich für diesen Linksdrall anfällig. So war Saddam Husseins Stellvertreter und Chefdiplomat Tarek Aziz chaldäisch-katholisch. In dieser Tradition von christlicher Gläubigkeit und und linker Gesinnung stand auch der ermordete Nahed Hattar.

Bei den römischen Orientkatholiken herrschen hingegen rechtsradikale Tendenzen vor. So wurden die syrischen «Nationalsozialisten» (SSNP) vom katholischen Antun Saada gegründet, die libanesische faschistische «Falange» durch den Maroniten-Katholiken Pierre Gemayel ins Leben gerufen.

Bei den evangelischen Christen in Nahost, besonders in Israel, Arabisch-Palästina und Jordanien, fehlt jede Politisierung. Sie stehen ganz im Geist ihrer Gründer von der Basler Mission und der Chrischona Bewegung.

Religionsfreiheit ja, aber ...

In Jordanien herrscht offiziell Religionsfreiheit. Seine zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit von den ultramuslimischen arabischen Ölstaaten leistet aber der Anwendung islamischer Prinzipien Vorschub. Ein Modellfall wurde es, als Anfang des Jahres die Jordan Dubai Islamic Bank (JDIB) in Amman die Christin Vivian Salameh entliess, weil sie sich weigerte, einen Schleier zu tragen. Die Frau begründete die Ablehnung mit religiösen Gründen, da der Schleier mit dem Islam verbunden sei, der nicht ihre Religion ist. Die Bank gab sich 2015 eine neue Hausordnung, die sich an der Scharia ausrichtet und von allen weiblichen Angestellten das Tragen eines Schleiers verlangt.

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Datum: 02.10.2016
Autor: Heinz Gstrein / Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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