Über Einheit und Klarheit

Keine Palliativ Care in den Kirchen

Christian Haslebacher und Ulrich Eggers
Wie können wir das Evangelium in einer postchristlichen Gesellschaft kommunizieren? Diese Frage bewegt die Kirchen in der heutigen Zeit. Die Antworten gehen dann jedoch weit auseinander und führen zu hitzig geführten Debatten…

In zwei Livenet-Talks sprach Chefredaktor Florian Wüthrich mit Ulrich Eggers und Christian Haslebacher darüber. Hier ist eine inhaltliche Zusammenfassung der beiden Talks.

Jesus muss im Zentrum sein

Ulrich Eggers, ist Vorsitzender von Willow Creek Deutschland. Durch seine Aufgabe ist er um Einheit bemüht, vor allem aber darum, den Auftrag als Kirche wahrzunehmen. «Mit der missionarischen Jesusbewegung steht es gut, wenn sie sich um Jesus kümmert», sagt er. «Und es steht nicht so gut mit ihr, wenn sie sich um B-Prioritäten bewegt.» Die missionarische Jesusbewegung wurde durch Christen gebildet, die Jesus in der Gesellschaft bekannt machen wollten. Das war die absolute Priorität. Die Frage ist nun, ob sie dies in den aktuellen theologischen Streitfragen noch im Blick hat.

Umgang mit der LGBTQ Bewegung

Dann geht Ulrich auf den Umgang der Kirche mit der LGBTQ Bewegung ein. Diese Thematik müsse diskutiert werden, aber ohne den Fokus aufs Wesentliche zu verlieren. «Für uns muss wichtig sein, was auch für Christus wichtig ist.» Dazu gehört, Menschen die Annahme Gottes zu bringen und Versöhnung mit Gott zu ermöglichen. «Wenn das nicht Priorität hat, versündigen wir uns, auch wenn wir es gut meinen.» Leider würden Streitereien rund um Homosexualität oder die Genderfragen oft ein Miteinander verunmöglichen.

«Wenn wir missionarisch unterwegs sind, ist die Annahme ein zentrales Thema», betont Ulrich Eggers. «Wenn wir aber Menschen annehmen und uns dann alles, was sie sind und tun egal ist, hat das auch nichts mit Liebe zu tun.» Diese beiden Seiten müssen zusammen gebracht werden. «Deshalb brauchen wir den Fokus darauf, was Jesus wichtig war.» Ulrich gefällt folgende Aussage eines Missionars: «Ich führte Menschen zu Christus und liess sie dort.» Letztlich gehe es darum, Menschen mit Jesus bekanntzumachen und sie dann bei Jesus zu lassen, weil dies der einzige Ort ist, wo sie Veränderung erfahren können.

Einheit In Christus

Ulrich Eggers betont, dass wir uns Jesus nähern müssen, um einander nahe zu kommen. Die Nähe zu Christus verbinde, fordere aber auch heraus, uns selbst zu hinterfragen. Sollen wir denn über zweitrangige Dinge diskutieren oder sogar streiten. «Ja, das ist wichtig», hält Ulrich trotzdem fest. «Aber noch wichtiger ist die Liebe füreinander.»

Im Talk mit Christian Haslebacher wird dieses Thema wieder aufgenommen. Ulrichs Sicht von Einheit in Jesus, bestätigt Christian Haslebacher und ergänzt sie damit, dass wir uns im Klaren sein müssen, wer Jesus eigentlich ist. Im Talk erwähnt er zentrale Eigenschaften von Jesus, welche hochgehalten werden müssen. «Ein Jesus, der nicht leibhaftig auferstanden ist, interessiert mich überhaupt nicht», gibt er ein Beispiel. In einem solchen Jesus sei keine Einheit zu finden.

Auf dem Boden des historischen Christentums stehen

In den frühchristlichen Bekenntnissen, wie beispielsweise dem Apostolischen Glaubensbekenntnis, sieht Christian Haslebacher den gemeinsamen Boden unseres Glaubens beschrieben. «Wenn wir da Abstriche machen, verlassen wir gewissermassen den Boden des historischen Christentums. Das hat nichts mit Ausgrenzung zu tun, sondern ist einfach eine Beschreibung der Fakten.» Er halte es zwar für möglich, dass jemand gerettet wird, ohne allen Glaubenssätzen dieser Bekenntnisse zuzustimmen. Trotzdem grenzt er sich von einem Glauben ab, welcher nicht an den grundlegenden Säulen des historischen Christentums festhält.

Die aktuelle Herausforderung

«Als Christen spüren wir die Herausforderung, das Evangelium in die Welt hinauszutragen», beschreibt Christian die Situation. «Auf diese Herausforderung gibt es verschiedene Reaktionen. Einige propagieren eine liberale Ethik, während andere gute Gründe sehen, an einer historischen, christlichen Ethik festzuhalten. In diesem Spannungsfeld sind wir.»

Verglichen mit früheren Generationen, als das Christentum die dominante Weltanschauung darstellte, leben wir heute in einer grossen Konkurrenzsituation. Christian vergleicht mit einem Marktplatz und stellt fest, dass uns die konkurrierenden Marktstände (d.h. andere Weltanschauungen) nicht einfach zujubeln. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass wir vollständig gesellschaftskonform sein können. «Es gibt im Evangelium Dinge, die in der heutigen Gesellschaft nicht so einfach andockbar sind und es in der 2'000-jährigen Kirchengeschichte auch nie waren.» Christian erwähnt, das Jesus der König der Welt und aller Dinge ist. Wir müssen uns damit abfinden, dass der christliche Glaube immer ein Ärgernis bleibt.

Hat das historische Christentum eine Zukunft?

Es sei ein verbreitetes Narrativ, dass die Kirche schrumpft, wenn sie sich nicht der Gesellschaft anpasst. Aktuelle Studien zeigen aber, wie vor allem die grossen Landeskirchen an Bedeutung verlieren, während sich die Freikirchen recht gut halten. Gewisse Stimmen kündigen auch für Freikirchen das grosse Schrumpfen an. «Ich bin nicht da, um in der Kirche Palliativ Care zu machen, sondern um Kirche zu bauen.» Auch die Viva Kirche sei nicht in Verteidigungsstellung. «Wir stellen uns der Aufgabe, herauszufinden, wie wir das Kreuz und das Blut und alles, was dazugehört, so zu den Menschen bringen können, dass diese es verstehen und als relevante Botschaft wahrnehmen.»

«Es gibt so viel Not in dieser Welt und wir haben durch das Evangelium die Antwort auf diese Not.» Es gibt also keinen Grund, sich wegen des Evangeliums zu schämen. Es gilt aber, die Tiefe des Evangeliums zu begreifen und dieses dann mit Freude weiterzutragen.

Sehen Sie sich Teil 1 mit Ulrich Eggers an:

Sehen Sie sich Teil 2 mit Christian Haslebacher an:

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Datum: 10.05.2023
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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