Der Stellvertreter
Beim Zählappell kam heraus, dass ein Gefangener aus Block 14A fehlte. Jeder wusste, was das bedeutete: Wenn ein Häftling entkam, mussten zehn andere dafür sterben. So auch dieses Mal: Lagerführer Fritzsch kündigte an, dass für den geflohenen Mithäftling zehn andere aus seinem Block ausgelost und im Hungerbunker verschwinden würden. Können wir uns vorstellen, wie die Männer sich in diesem Moment gefühlt haben müssen?
Langsam wurden zehn Namen verlesen. Beim zehnten schrie ein Mann auf: «Oh, meine arme Frau und meine armen Kinder! Ich werde sie nie wieder sehen!» Der Mann hiess Franciszek Gajowniczek und schrie vor Verzweiflung immer wieder dieselben Sätze heraus. Dann sackte er wie ein Häuflein Elend in sich zusammen.
Plötzlich geschah etwas Unerwartetes. Bewegung kam in die Reihen der aufgestellten Männer. Einer der Gefangenen trat hervor und wendete sich an den Lagerführer. «Hauptmann», sagte er, «Ich habe weder Frau noch Kinder zuhause. Darum bitte ich um Erlaubnis, anstelle dieses Familienvaters sterben zu dürfen.» Es war der katholische Pater Maximilian Kolbe und er deutete auf Franciszek Gajowniczek. Augenzeugen berichten, wie der Lagerführer zuerst verblüfft auf die Bitte von Pater Kolbe reagierte. Dann aber winkte er den Familienvater wieder zurück an seinen Platz, und Maximilian Kolbe reihte sich in die Gruppe der zehn Männer ein, die in den Hungerbunker abgeführt wurden, wo sie ohne Nahrung und Wasser langsam starben.
Eine Tat zieht Kreise
Diese Tat wurde in ganz Auschwitz bekannt. Ein Mithäftling, der das KZ überlebte, beschrieb die Wirkung so: «Unter diesen Umständen, inmitten der Brutalisierung von Gedanken und Gefühlen und Worten, wie die Welt es vielleicht noch nie gesehen hatte, wurde ein Mensch in seiner Beziehung zu anderen Menschen zum reissenden Wolf. Auf diesem Hintergrund bewirkte die heldenhafte Hingabe von Pater Maximilian geradezu Unglaubliches: Die Atmosphäre veränderte sich, seine Tat war wie ein tiefer und heilender Schock – ein Schock der Hoffnung, der neues Leben und neue Kraft für viele brachte.»
Der Familienvater Franciszek Gajowniczek lebte noch bis 1995 und wusste jeden Tag seines Lebens: Weil ein anderer sein Leben für mich hingab, darf ich heute leben!
Der ultimative Stellvertreter
Das Beispiel von Maximilian Kolbe, der später heiliggesprochen wurde, inspirierte unter anderem den Schriftsteller Rolf Hochhuth zu seinem Stück «Der Stellvertreter». Doch die Bibel spricht von einem anderen Stellvertreter, der nicht nur für einen einzigen, sondern für alle Menschen sein Leben gegeben hat: Jesus.
«Niemand liebt mehr als einer, der sein Leben für seine Freunde hingibt», sagt Jesus selbst (Die Bibel, Johannes-Evangelium, Kapitel 15, Vers 13). Das ist die ultimative Liebe: Wenn jemand bereit ist, an unserer Stelle zu sterben. Genau diese Liebe hat Gott erwiesen. Wir alle haben nach der Bibel den Tod verdient, weil wir an Gott und seinen Geboten schuldig geworden sind. Hier geht es nicht nur ums körperliche Sterben, sondern um das Getrenntsein von Gott in diesem und im kommenden Leben. Wer getrennt ist von Gott, dem Leben, ist lebendig tot.
Doch Gott liebt uns und leidet an diesem Getrenntsein – aber Schuld kann nicht einfach weggewischt werden. Darum tat Gott etwas Unerhörtes: Sein Sohn Jesus nahm freiwillig als Stellvertreter den Tod auf sich, den wir sterben müssten. «Jesus wurde blutig geschlagen, weil wir Gott die Treue gebrochen hatten; wegen unserer Sünden wurde er durchbohrt», sagte bereits das Alte Testament voraus (Prophet Jesaja, Kapitel 53, Vers 5)
Das bedeutet nichts anderes als «die Schuld ist gesühnt, die Trennung ist aufgehoben». Ein Schuldloser stellte sich als Opfer zur Verfügung, damit wir leben können. Durch den Tod des Stellvertreters Jesus werden wir «gratis» in Ordnung mit Gott gebracht. Gratis, aber nicht billig: Jemand anders ist an unserer Stelle gestorben.
Eine neue Leidenschaft
Was müssen, was können wir noch tun? Diese ganze Tatsache glaubend «packen». Uns auf diesen Jesus verlassen und uns nach ihm ausrichten lernen. Wer Jesus be- und ergriffen hat, lebt anders. Garantiert. Das Leben bekommt eine neue Richtung und eine neue Leidenschaft.
Maximilian Kolbe ist ein Beispiel dafür. Hier beschreibt er seine Motivation: «Das gefährlichste Gift unserer Zeit ist die Gleichgültigkeit. Das kann auch uns passieren, aber das Lob Gottes sollte keine Grenzen kennen. Lass uns darum danach streben, dass wir ihn mit dem Einsatz aller unserer Kräfte loben.»
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Datum: 10.02.2016
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Jesus.ch