Was wirklich zählt

(Wie) hat Jesus Kirche gemeint?

Wei hat sich Jesus die Kirche vorgestellt?
Und wie soll die eigentlich sein? Tausend verschiedene Kirchen- und Gemeindeformen, aber welche Kirche ist laut Bibel am Jesusmässigsten?

«Jesus verkündete das Reich Gottes und gekommen ist die Kirche.» – Alfred Loisy.

Genau genommen, hat Jesus die Kirche nie so richtig gemeint oder gepredigt. Jesus war ein Wanderprediger, der Menschen in seine Nachfolge gerufen hat. Er hat das Reich Gottes gepredigt und gebracht. Durch ihn ist es in diese Welt gekommen. Jesus war kein Gemeindegründer. Nicht eine einzige hat er gegründet.

Erste Christen waren wohl völlig verloren

Jesus hat das nicht forciert. Daher finden wir auch nichts darüber im Neuen Testament – keine Anweisungen Jesu darüber, wie Kirche sein soll – nach dem Motto: Übrigens, wenn ich mal nicht mehr auf der Erde bin und von mir noch die Kirche übrigbleibt, macht das doch so und so. Ne, die ersten Christen waren doch völlig lost. Alles, was denen klar war, war zuerst mal: Dieses ganze Jesus-Ding, diese Nachfolge, das, was wir hier die letzten drei Jahre gemacht haben, das geht irgendwie nur gemeinsam. Das ist kein Ego-Ding.

Falsche Frage?

Selbst am Tag vor seinem Tod hat Jesus mit seinen Jüngern gefeiert – das letzte Abendmahl. Am Tag nach seinem Tod haben die Jünger und Jüngerinnen um Jesus getrauert, gemeinsam. Das erste Überbleibsel nach dem Tod Jesu war Gemeinschaft!

Wenn wir jetzt danach fragen: «Was sagt eigentlich die Bibel dazu, wie Gemeinde heute aussehen soll?», dann ist das eine Frage, die die Bibel behandelt wie ein normatives Regelbuch, das mir für jede Situation einen guten Ratschlag gibt. Der Vibe bei den ersten Jüngern ist aber ein ganz anderer! Jesus hat denen nicht gesagt: Ihr müsst ganz dringend zusammenbleiben!! Das ist das Wichtigste. Er musste ihnen das nicht sagen. Sie wollten das so. Sie haben die gegenseitige Gemeinschaft gesucht. Das war ihr Herzenswunsch.

Was war Jesus ein Herzensanliegen?

Lasst uns die Bibel nicht so lesen: Was müssen wir als Kirchen tun, damit wir auf dem richtigen Kurs sind? Diese Frage richtet sich nach dem Minimum. Lasst uns so fragen: Was war Jesus ein Herzensanliegen? Und was war für seine Nachfolger so selbstverständlich, dass sie es nicht lassen konnten? Diese Frage richtet sich nach dem Maximum.

Leben im Maximum

Die Jünger hatten nach drei Jahren Wanderschaft mit Jesus, nach all seinen Predigten und Wundern eine Idee davon wie das Reich Gottes aussehen soll. Und sie wussten: Wir müssen das organisieren, verstetigen, sichtbar machen, was bei der Himmelfahrt Jesu wieder unsichtbar geworden ist.

Um das, was wir mit Jesus erlebt haben, immer und immer wieder zu erleben, brauchen wir Gemeinschaft – untereinander, miteinander, ständig, jede Woche, jeden Tag. Die hat Jesus immer gepflegt und jeder war darin willkommen. Und er hat uns versprochen, dass das in einem ganz bestimmten Moment passiert: da, wo zwei oder drei sich versammeln, bin ich mitten unter ihnen (Matthäus 18,20). Über das Abendmahl hat Jesus gesagt: Feiert das Mahl zusammen und erinnert euch dabei an mich.

Klar war also: Wir brauchen einen Ort, an dem sich alle treffen, um das zu tun: Gemeinschaft haben, beten, Abendmahl feiern (Apostelgeschichte 2,42). Die Dinge, die sich in den ersten Gemeinden entwickelt haben, waren nicht das Ergebnis von Befehlen. Sie sind die organische Folge aus dem, was Jesus gepredigt hat und entspringen dem innersten Wunsch der ersten Jüngerinnen und Jünger.

Das beste Beziehungskollektiv

Jesus predigte, dass Sünden vergeben und Beziehungen wieder heil werden, dass Armen und Kranken geholfen wird. Das Reich Gottes hat die Qualität eines Beziehungskollektivs, das besser ist als jedes andere, das sich bisher oder seitdem in dieser Welt vorfindet. Natürlich entstehen aus dieser Botschaft Jesu Glaubensgemeinschaften – das ist die logische Konsequenz. Die Gemeinden mit ihrer Gemeinschaft bilden die Botschaft ab (Vgl. Apostelgeschichte 2,42).

Die ersten Christinnen und Christen wollten sogar Gemeinschaft um jeden Preis. Die Qualität dieser Beziehungen in Gemeinden war so gut, dass sie sagten: Dafür würde ich sterben. Und sie sind gestorben. Sie wurden umgebracht für ihren Glauben. Sie waren sich sicher: Wenn ich diese Beziehungen zu meinem Glaubensgeschwistern nicht mehr leben darf – wenn unsere Gemeinschaft verboten wird – wenn wir nicht gemeinsam Gott anbeten dürfen, dann lohnt es sich nicht mehr in dieser Welt zu leben. Dann sterbe ich lieber und bin ein Zeugnis für meinen Glauben. Dann bin ich lieber in ewiger, liebevoller Beziehung mit und bei Gott. Das ist das Maximum, wie es in Apostelgeschichte 2,42 beschrieben wird. Mehr nicht.

Es gibt keinen heiligen Gral von Gemeindearbeit, der erst noch von hippen, durchgestylten, neugegründeten Gemeinden entdeckt werden muss oder wurde. Gemeinde hat zwei Möglichkeiten. Entweder sie dreht sich um Gemeinschaft mit Jesus und untereinander und erlebt das Maximum oder sie dreht sich um sich selbst.

Das gefährdet das Maximum und geschieht immer öfter und nicht erst seit heute. Schon Paulus findet diese Gemeinden vor.

Paulus und seine Briefe

Die blosse Tatsache, dass es so viele Briefe im Neuen Testament gibt, zeigt, dass es viele Probleme gab. Überall handelt Paulus Probleme von bestehenden Gemeinden ab, die sich in Kürze zusammengefasst darum drehen: Irgendwelche Menschen, die sich miteinander aus persönlichen und inhaltlichen Gründen streiten, sollen doch bitte um Christi Willen ihren Streit beenden und sich vertragen. Danke. Tschüss.

Die Paulusbriefe haben oft einen problemorientierten Einschlag, denn in vielen Gemeinden war das Maximum gefährdet. Statt Gemeinschaft herrschte Egoismus. Ganz konkrete Situationen werden angesprochen. Von denen können wir für heute lernen, aber nicht blind ableiten. Die Briefe sagen nicht: So und so muss Gemeinde sein. Sie besprechen konkrete Fälle und deren Lösungen, die uns als Hilfe für unsere Konflikte dienen. Sie wollen im Kontext der damaligen Zeit verstanden werden.

Was Jesus gemeint hat

Die Bibel liefert uns also Anschauungen dafür wie wir´s nicht machen sollten und hat auf der anderen Seite ein Idealbild von Kirche parat: Wie hat Jesus Kirche gemeint? Gar nicht. Aber er hat das Reich Gottes verkündet und gebracht. Heilsame und heilvolle Gemeinschaft für alle. Das ist nun Kirche, in dem sie Apostelgeschichte 2,42 lebt.

Das ist das Maximum. Mehr geht nicht. Denn das bildet das grösste Wunder Jesu ab. Schuld zu vergeben und Gemeinschaft zu ermöglichen, wo sie kaputt war. Liebe Kirche, sei doch einfach der Ort, an dem das möglich ist. Dreh dich nicht um dich selbst. Dreh dich um Jesus.

Jannik Müller, 29, ist Jugendpastor und fragt sich, ob Jesus Kirche überhaupt gemeint hat.

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Datum: 19.08.2024
Autor: Jannik Müller
Quelle: Magazin Dran 4/2024, SCM Bundes-Verlag

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