Weniger ist mehr

Was Influencer-Marketing mit Gottesdienst zu tun hat

Jugentliche beim Worship
Wie sollte Kirche für die Generation Z aussehen? Social Match und PlayTheHype befragten Jugentliche, wie sie zu Marken stehen. Sem Dietterle ist der Meinung, dass man die Ergebnise auch auf Kirchen und Gemeinden übertragen kann.

Social Match und PlayTheHype fragten im Rahmen ihrer OMR Masterclass in der Generation Z, wie sie zu Marken stehen. Das Ergebnis zeigt, dass sich 71 Prozent der GenZler nahbare Marken wünschen. Eine von drei Personen sagte sogar, dass Marken wie Influencer kommunizieren sollten. Obwohl die Umfrage sich auf Marken wie Nike, Addidas, Zalando und viele andere bezieht, bin ich der Meinung, dass wir die Ergebnisse auch auf Institutionen wie Gemeinden und die Kirche übertragen können. Meine eigenen Erfahrungen mit der jungen Generation bestätigen diese beiden Aspekte. Was ist also mit Nahbarkeit und Influencer-Kommunikation gemeint?

Weniger Pastor, mehr Persönlichkeit

Vor kurzem traf ich einen Pastor, der früher eine grosse Gemeinde in Kanada leitete. Er war schon sehr lange mein grosses Vorbild und ich war hoch erfreut, dass ich ihn in einer etwas kleineren Runde treffen durfte. In seiner Nähe ist eines passiert: Der Pastor ist für mich ein ganz normaler Mensch geworden. Die grosse Persönlichkeit wurde zu meiner Freude entzaubert. Da habe ich erlebt, dass in nahbarer Leitung Stärke liegt.

Grosse Persönlichkeiten sind für mich nicht greifbar, auch wenn sie ein Vorbild sind. Aus der Ferne bleiben sie immer auch ein Geheimnis und nicht zugänglich. Doch was heutzutage viel relevanter ist: Die Leitungspersonen sollten Freunde und keine Stars oder Amtsträger sein. Viele Menschen lieben es, die Pastorin, den Pastor persönlich zu kennen und haben vermutlich sogar deren Handynummer. Können wir das so wertschätzen und die Stärke darin sehen, dass die Leitung in unserer Gemeinde einfach aus «Normalos» besteht?

Weniger gross, mehr klein

Ein weiterer Punkt zum Thema Nahbarkeit ist schlicht und einfach die Grösse von Kirchen und Gemeinden. «Für lange Zeit dachten wir, das grösser besser sei», sagt Pastor Karl Vaters aus Kalifornien über Kirchen. Er meint, Gemeinden wären besessen vom Kirchenwachstum und der Idee grosser und starker Kirchen. Doch er plädiert dafür, dass wir umdenken. Wenn wir in die USA schauen, sehen wir diesen Gegentrend zu den Megachurches bereits. Hillsong verfolgt neben dem Aufbau von grossen Gemeinden ganz neu die Strategie, viele kleine Gemeinden zu gründen.

Auch der Pastor John Mark Comer sagt dazu in einem Podcast: «Kirchen sollten nicht um Bühnen sein, sondern um Tische». Er spricht damit klar gegen den Trend von grossen Gemeinden. Er will sagen, wie wichtig es ist, gemeinsam Gläser zu heben, eine Pizza zu vernaschen und dabei in ehrliche Gespräche über den Glauben und über das Leben zu verfallen. Also Nahbarkeit als zentrales Element. Klar ist aber auch, dass wir grosse und kleine Gemeinden in unserem Land brauchen. Die grossen Gemeinden haben oft mehr Möglichkeiten, grosse Events auf die Beine zu stellen oder Aussenstehende anzulocken, die einfach einmal anonym in einen Gottesdienst hineinschauen wollen, ohne aufzufallen.

Weniger Programm, mehr Präsenz

Früher dachte ich auch, dass in einer guten und ansprechenden Gemeinde auf der Bühne alles durchgestylt ist und die Gäste ins Staunen kommen, eine Jugendstunde von Aktion zu Aktion springt, wie Videos auf TikTok. Doch oft wollen die Studierenden in meiner Gemeinde nicht unbedingt eine perfekte Show, Andacht oder Programm. Es scheint mir heute wichtiger zu sein, auf die Stimmung im Raum zu achten, auf die Menschen, die gerade da sind, und auf das, was sie gerade bewegt und was sie brauchen. Also weg von starren Abläufen und hin zu einer sensiblen Haltung gegenüber dem, was gerade im Raum gebraucht wird. Wenn in unserer Jugendgruppe eine ehrliche Frage zu einem Thema auftaucht, das überhaupt nicht in den vorbereiteten Rahmen passt, nehme ich es dennoch auf. Manchmal übernimmt sogar das unerwartete Thema den restlichen Ablauf. Es gilt also, flexibel zu sein. So werden die Angebote der Kirche nahe und relevant für persönliche Situationen.

Weniger perfekt, mehr echt

Darin spielt Kommunikation eine ausschlaggebende Rolle. Gen Z möchte, dass Marken wie Influencer kommunizieren. Wie also kommunizieren Influencer? Als Social Media Nerd ist mir bewusst, dass in Kurzvideos kaum etwas ungeplant geschieht – da wird alles geskripted, gefilmt, produziert und bis ins kleinste Detail perfektioniert. Doch die Community schätzt dennoch die Ehrlichkeit, Offenheit und die authentische Art, wie viele Influencer online auftreten und reden. Die grossen Creator nehmen ihre Followerschaft mit hinein in ihren Alltag, sie reden ungefiltert drauf los und teilen ihr Herz in ihrer Instagram-Story. Wir lieben es, wenn Menschen ihr Herz für andere öffnen. Genau so wünschen sich junge Menschen angesprochen zu werden – nicht belehrend oder von oben herab, sondern auf Augenhöhe und echt.

Daher braucht es in Gemeinden mehr ehrliche Predigten, anstatt perfekter Skripte. Es darf mehr Einblick geben, mehr «erzähl mir, wie du das lebst» und weniger «so macht man es eben als Christ.» Die Studierenden in meiner Gemeinde wollen die Vielfältigkeit einer theologischen Diskussion verstehen und die Meinungen kennenlernen, die es dazu gibt. Sie wollen diskutieren und manchmal auch nur hören: «Ich weiss es momentan auch nicht so genau.»

Gesunder und reifer Glaube

Michael Herbst hat den Begriff «mündig glauben» geprägt und meint damit, dass wir einen gesunden und reifen Glauben entwickeln, der weder toxisch für mich noch für andere ist. Und dieser mündige Glaube entsteht im Dialog, im Miteinander, im Ringen um die Wahrheiten und um Glaubenssätze, die wir von der Bibel lernen – also im echten Leben.

Ich träume von einer Kirche, die von den Menschen wieder als nahbar und relevant angesehen wird, nicht als eine grosse Institution, sondern als eine Kirche, die ehrliche Antworten anbietet und echte Gemeinschaft für andere öffnet. Hoffentlich bleibt das nicht nur ein Träumchen.

Sem Dietterle ist Jugendpastor in der Ev. Gemeinschaft München-Bogenhausen. Als Digital Creator supportet er Gemeinden durch Projekte wie die Social Media Night.

Mehr Infos zum Briefing der OMR Masterclass von Social Match und PlayTheHype

 

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Datum: 26.08.2024
Autor: Sem Dietterle
Quelle: Magazin Dran 4/2024, SCM Bundes-Verlag

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