Hauskreis? Nein, danke!

Die Dynamik von 12-Schritte-Gruppen für Kleingruppen entdecken

Kleingruppen oder Hauskreise können die lebendigen Grundbausteine von Gemeinde sein oder gemütliche Treffen, die an der Lebenswirklichkeit ihrer Teilnehmenden vorbeigehen. Die Tendenz geht oft in die zweite Richtung. Hier können Christen viel von den Anonymen Alkoholikern und ihrer Gruppendynamik lernen. 
Kleingruppe

Eine gute Handvoll Menschen sitzt im Kreis. Eine beginnt: «Ich heisse Damaris und bin eine Sünderin.» «Hallo, Damaris», antworten die anderen. Dann stellt sich der nächste in der Reihe vor. Kommt Ihnen das bekannt und gleichzeitig fremd vor? Kein Wunder. Hier sind zwei Kleingruppenkonzepte vermischt: das der Anonymen Alkoholiker und anderer Selbsthilfegruppen und das einer typischen gemeindlichen Kleingruppe oder eines Hauskreises. Und während die einen sich fragen: «Darf man das denn mischen?» und sich die anderen überlegen: «Ist das sinnvoll?», gibt es etliche Kirchen und Gemeinden, die das schon längst tun – mit interessanten Ergebnissen. 

Der Philosophie-Professor Kent Dunnington ist Christ. Aber in einem Artikel des US-Magazins «Christianity Today» erklärt er, dass ihn die klassischen kirchlichen Kleingruppen eher abstossen und enttäuschen. Er fühlt sich in Gruppen der Anonymen Alkoholiker (AA) wohler. Auch als Nicht-Alkoholiker. Wie viele andere Menschen erlebt er AA als «die geistlichste und echteste Gemeinschaft», die er je erlebt hat. Und als Professor fragt er nach: «Wenn wir AA als Massstab nähmen – und zwar ganz –, was würde sich in unseren Kleingruppen ändern?» 

Eine echte Veränderung 

Fälschlicherweise denken viele Menschen, dass es in den Gruppen der Anonymen Alkoholiker (und allen anderen, ähnlich gelagerten Selbsthilfegruppen) in erster Linie darum geht, «trocken» zu bleiben. Tatsächlich ist die Sehnsucht, eine Sucht zu besiegen, ein wichtiger Teil. Aber das Ziel ist viel anspruchsvoller: «nüchtern gedeihen». Es geht nicht darum, (zeitweise) auf Alkohol oder ähnliches zu verzichten. Es geht darum, sich als Person weiterzuentwickeln, verändert zu werden. 

Hier werden die christlichen Wurzeln jedes 12-Schritte-Programms deutlich: Menschen ändern ihr Verhalten. Immer wieder werden die spirituellen Wurzeln des Programms kritisiert, doch die Erfolge sprechen für sich und lassen säkulare Kritik am geistlichen Gehalt des Programms ins Leere laufen, weil es einfach funktioniert. Doch gleichzeitig stellen diese praktischen Schritte viele kirchliche Programme infrage, bei denen es eher um ein «Hauptsache, du bist dabei» geht, als um tatsächliche Veränderungen. 

Eine neue Ehrlichkeit 

Eine wichtige Gemeinsamkeit unterscheidet jede 12-Schritte-Gruppe von einem typischen Hauskreis: Alle Teilnehmenden sind dort, weil sie ein echtes Problem haben, verzweifelt sind und Hilfe suchen. Nun muss eine gemeindliche Kleingruppe nicht zwangsläufig aus Personen bestehen, die extreme Probleme haben. Doch der typische Hauskreis thematisiert nur die «kleinen» Fragen des Glaubens: «Ich habe heute gebetet und einen Parkplatz gefunden» oder «Ich weiss nicht, welches meiner Stellenangebote ich annehmen soll». Fragen nach Abhängigkeiten, Eheproblemen oder dem, was uns nachts nicht schlafen lässt, bleiben meist aussen vor. AA-Gruppen haben hier zwei entscheidende Vorteile: Alles kommt zur Sprache. Und es bleibt «anonym». 

Eine typische AA-Gruppe kennt sich sonst kaum – das ist im gemeindlichen Kontext anders. Doch diese Anonymität lässt sich zum Beispiel dadurch herstellen, dass es jedem im Hauskreis klar ist: Was hier erzählt wird, bleibt in diesem Kreis. Es wird weder als interessante Story noch als Gebetsanliegen an andere weitergegeben. Heucheln ist tödlich für jede Art der Genesung oder Veränderung. Jeder – auch ein Nicht-Alkoholiker – braucht Orte, wo er seine Fehlerhaftigkeit eingestehen kann. Das erfordert Anonymität. Die katholische Kirche weiss dies ebenso wie die AA seit langem. Beichtgeheimnis bzw. Anonymität bieten eine Oase, in der wir über die Inkohärenz unseres Lebens sprechen können. 

Eine neue Einfachheit 

Hauskreise sind oft ziemlich «verkopft». Da wird über alle möglichen Aspekte des christlichen Glaubens nachgedacht – über den Bau des dritten Tempels, die 23 verschiedenen Bedeutungen des Wortes «Nachfolge» oder über alle möglichen Wortklaubereien. Dabei ging es Jesus meistens darum, wie wir als seine Nachfolger uns in ganz alltäglichen Fragen verhalten sollten. 

Ausserdem geht es im typischen Hauskreis immer wieder um organisatorische Fragen: Wer bringt zum Beispiel nächstes Mal das Chili con carne mit? Gerade diese Angelegenheiten sind sehr zwiespältig zu bewerten. Einerseits wird daran deutlich, wie Jesus feiernd und weltzugewandt die Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellte, andererseits zeigt sich daran, dass wir «oft vergessen, dass es die Wüstenzeiten sind, wie es der ehemalige Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, betonte, 'wo Gott deutlich wird'». 

Ein praktisches Gehen der nächsten Schritte 

Die meisten Hauskreise oder Kleingruppen drehen sich um irgendeine Art von Bibelstudium. Andere betonen ein christliches Buch oder betrachten eine Predigt. Jedenfalls geht es in erster Linie darum, «was das geistliche Wachstum fördert und wie Christen denken». Viele Gruppen beschäftigen sich dabei mit der praktischen Anwendung. Sie wollen praktisch werden und Gebetsanliegen miteinander teilen. Doch der Grossteil der Kleingruppentreffen dient dazu, dass ihre Mitlieder das eigene Miteinander neu und hilfreich betrachten. 

Das ist nicht verkehrt, doch AA-Gruppen betonen in der Regel zusätzlich das Befolgen von einfachen, praktischen Schritten. Diese sind nicht schwer zu verstehen, doch gar nicht so einfach umzusetzen. AA ist kein Bibelstudium zum Thema Sucht, es ist stattdessen eine Unterstützung für das geistliche Leben. Es geht darin um den täglichen Kampf der Teilnehmer um die wichtigsten christlichen Praktiken – nicht um ein gemeindekonformes Denkens. 

Eine neue Art von Kleingruppe 

Dunnington betont, dass «AA nicht das vollkommene Beispiel zum Wiederbeleben von Kleingruppen ist, doch es kann trotzdem viel dazu beitragen, die Einstellung in den Gruppen von einem gemütlichen Zusammensein mit Studiencharakter zu einer echten Unterstützung fürs christliche Leben zu machen». Dabei kann es hilfreich sein, nicht zu viel zu wollen. AA-Gruppen treffen sich regelmässig, haben keinen besonderen Leiter, tauschen sich offen aus, beten gemeinsam und gehen wieder heim. 

«Oft sind wir müde, wir haben nichts mitzuteilen, aber wir brauchen die Unterstützung anderer auf dem gleichen Weg und wollen denen nah sein von ihnen hören, die etwas weitersagen. Das Letzte, was wir brauchen, sind irgendwelche ‚Eisbrecher’ oder erzwungene Aktivitäten, die uns zu einer künstlichen Leistung anspornen.»

Darüber hinaus beschreibt Dunnington einige hilfreiche Aspekte für christliche Kleingruppen, die ihnen helfen in die richtige Richtung voranzugehen: 

  • Treffen Sie sich in einer Gruppe von Christen vor Ort. 
  • Setzen Sie sich wöchentlich mit Kaffee oder Tee zusammen, anstatt sich monatlich bei einem grossen Essen zu begegnen. 
  • Entscheiden Sie sich für eine machbare Reihe von täglichen Übungen, die Ihr geistliches Leben bereichern, anstatt für ein ausführliches Bibelstudium. Wenige Übungen reichen aus, mit Sicherheit nicht mehr als zwölf. 
  • Weisen Sie den Gruppenmitgliedern eine Aufgabe zu, in der sie eine Übung erstellen und sich dabei auf das Leben der Heiligen, die grossen Theologen und schriftliche Gebete stützen. 
  • Wechseln Sie regelmässig die Leitung Ihres Treffens. Beten Sie als Gruppe mit einem festen Gebet, gefolgt von einer Lesung und einer Zeit des freiwilligen Mitteilens. Schliessen Sie das Ganze mit einer freiwilligen Zeit der Fürbitte und einem gemeinsamen Vaterunser ab. 

Kent Dunnington schliesst mit der Feststellung: «Als ich darüber nachdachte, wie AA-Weisheiten Kleingruppen verändern könnten, wusste ich nicht, dass ich zu diesen Schlussfolgerungen kommen würde. Also muss ich mit einem Geständnis enden. Ich bin nicht sicher, ob ich etwas damit zu tun haben möchte. Einerseits möchte ich es, andererseits bin ich nicht sicher, ob ich das will. Und dies zeigt eine verstörende Möglichkeit: Vielleicht bekommen wir genau die Kirchen und Kleingruppen, die wir verdienen.» 

Sicher geht es nicht darum, bestehende Hauskreise und Kleingruppen aufzulösen. Es geht auch nicht darum, Probleme zu säen, wo keine sind. Aber eine neue Ehrlichkeit und Ausrichtung hin auf echte Veränderung tut jeder Kleingruppe bzw. jedem Hauskreis gut. Konkret wir das Ganze zum Beispiel bei endlich-leben.net .

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Datum: 18.05.2019
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Christianity Today

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