Frauen- und Kinderhandel

«Jährlich 500.000 Menschen nach Westeuropa verkauft»

Die Zwangsprostitution nimmt erheblich zu. 500.000 Menschen werden laut UNO jährlich nach Westeuropa verkauft und zur Prostitution gezwungen. 3000 von ihnen gelangen so in die Schweiz.
Irene Hirzel arbeitet in der «Christlichen Ostmission» (COM) als Projektleiterin gegen Frauen und Kinderhandel.
Kinder aus Osteuropa werden teilweise Opfer von Menschenhändlern.
Junge Mädchen aus dem Osten werden oft mit falschen Versprechen gelockt.

Irene Hirzel kämpft für die Frauen und Kinder, die Opfer der Menschenhandel-Industrie geworden sind, insbesondere der Sexindustrie. Hirzel arbeitet für die «Christliche Ostmission» (COM) als Projektleiterin gegen Frauen und Kinderhandel, vorher hatte sie sich im Milieu in Basel als Sozialhelferin um Prostituierte gekümmert.

Wir sprachen mit Irene Hirzel über die moderne Sklaverei, die auch in unser Land Einzug gehalten hat.

Livenet.ch: Wie gross ist das Menschenhandel-Problem in der EU?
Irene Hirzel:
Jährlich werden laut der UNO rund 500.000 Frauen in westeuropäische Länder geschleust und als Zwangsprostituierte gekauft und verkauft. 150.000 Frauen kommen allein aus östlichen Länder.

Wie kann so etwas in der Schweiz passieren?
Frauen- und Kinderhandel spielt sich in Europa überwiegend in reichen westlichen Ländern ab. Die Schweiz gehört da auch dazu und hat zum Prostitutionswesen eine relativ liberale Haltung. Die KSMM – also die «Koordinationsstelle Menschenhandel, Menschenschmuggel» – schätzt, dass ungefähr 3000 Frauen jährlich in die Schweiz gebracht werden und sich zwangsprostituieren müssen.  

Woher kommen die Frauen?
Die Frauen kommen vorwiegend aus armen Ländern, wo sie kaum Zukunftsperspektiven haben. In vielen Nationen werden Frauen diskriminiert. Dies sind die häufigsten Gründe, weshalb sich Frauen auf die Migration einlassen und den falschen Versprechungen glauben.   

Was tun Sie und die «Christliche Ostmission» (COM)?

Wir unterstützen vorwiegend Projekte in Ostländern und Asien. Prävention, Befreiung und Betreuung von Opfern sind unsere Hauptanliegen.

Prävention schützt gefährdete Kinder und Jugendliche vor Menschenhandel. Das sind zum Beispiel Kinder und Jugendliche aus staatlichen Heimen, wie etwa aus Moldawien, dem ärmsten Land Europas, oder sie kommen aus zerrütteten, oft sehr armen Familien.

In asiatischen Ländern werden Kinder aus Not von ihren unwissenden bitterarmen Eltern verkauft, indem man den Eltern zum Beispiel verspricht, dass die Tochter eine Schule besuchen kann und eine Ausbildung erhält.

Befreiung findet in verschiedenen Ländern statt, immer in Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort. So werden etwa in Indien nepalesische Kinder aus Bordellen befreit, eine aufwendige und gefährliche Sache. Das Problem ist, dass die meisten geretteten Kinder mit Aids infiziert sind.

Sowohl Prävention wie auch Rettung bedeuten immer eine intensive, jahrelange Betreuung und Begleitung durch Fachpersonen, also Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, aber auch durch Familien, die Kinder präventiv bei sich aufnehmen. Dazu kommt auch der Beistand vieler ehrenamtlicher Helfer und Helferinnen.

Die Schulung oder Nachschulung und eine Berufsausbildung sind sehr wichtig. Wir bieten immer eine ganzheitliche Betreuung an mit dem Ziel, die Betroffenen selbständig zu machen, also Hilfe zur Selbsthilfe.

Was wird in der Schweiz generell unternommen?
In der Schweiz machen wir viel Sensibilisierungsarbeit, wir halten Vorträge und veröffentlichen Artikel. Wir bieten Workshops für Jugendliche zum Thema Pornographie, da es Zusammenhänge zwischen Konsum, Frauenhandel und Prostitution gibt. Eigens dafür findet im März 2011 eine Fachtagung statt, die Zusammenhänge zwischen Pornokonsum und Frauenhandel aufzeigen wird.

Für kirchliche Kreise haben wir ein  Gebetsnetz gegen Frauen- und Kinderhandel aufgebaut. Zusätzlich pflegen wir viele Kontakte zu anderen Organisationen, aber auch zu Politikern. Natürlich nicht nur in der Schweiz, sondern europaweit.

Die COM arbeitet dazu auch an einer Petition mit. Was beinhaltet sie?
Die Forderung, die Konvention des Europarats zum Schutz für Minderjährige zu unterschreiben, besteht schon länger. 35 Ländern haben sie unterzeichnet, die Schweiz hat lange gezögert. Das Schutzalter erlaubt es, dass sich Jugendliche in der Schweiz mit 16 Jahren legal prostituieren können. Wir haben deshalb Sextourismus in die Schweiz, und einige Escortservice sind auf jugendliche Prostituierte spezialisiert.

Dies war für mich ein Anlass, mit Nationalräten darüber zu sprechen, die zum grossen Teil nichts davon gewusst haben. Sie haben sehr schnell reagiert und eine parlamentarische Initiative und Petition lanciert, im vergangenen Juni wurde die Europaratskonvention dann endlich unterschrieben.

Die Gesetze müssen allerdings noch angepasst werden, damit sich Jugendliche erst mit 18 Jahren legal prostituieren können.

In Ihrem Gebetsbrief haben Sie auch den Sextourismus in Nepal erwähnt. Wie sieht es dort aus?
In Asien floriert der Handel mit Kindern. Zum einen, weil viele Männer glauben, je jünger die Mädchen, desto kleiner ist die Chance, Aids zu bekommen. Dann tummeln sich viele Pädophile, auch aus der Schweiz in diesen Ländern.

In Nepal etwa verschwinden jährlich um die 12.000 Mädchen bereits ab 8 Jahren und werden nach Indien in Bordells gebracht und an Händlerringe verkauft. Etwa ein Drittel wird in arabische Länder weiterverkauft. Die wenigsten Mädchen überleben das und wenn, dann sind sie HIV-positiv.

Auch in Europa spielen sich solche Dramen ab. Schildern Sie doch ein Beispiel dazu ...
Eine Frau aus Moldawien, wir nennen sie Maruschka, hat mit ihrem Mann erfolglos im Ausland eine Arbeit gesucht. Endlich bekommt sie in einem östlichen Land eine Stelle und lässt den Mann und Kinder zurück. Zusammen mit anderen Frauen wird sie in ein anderes Land, an einen abgelegenen Ort gebracht. Dort erfährt sie, dass sie verkauft worden ist. Sie muss nun als Sexsklavin arbeiten.

Die verzweifelte Maruschka beschliesst, mit zwei weiteren Frauen zu fliehen. Ihre Kolleginnen werden auf der Flucht umgebracht, sie überlebt nur knapp. Spaziergänger finden sie schwerverletzt in einem Waldstück und bringen sie in ein Spital.

Monate später erwacht sie aus dem Koma und erinnert sich daran, dass sie aus Moldawien kommt. Sie wird nach Moldawien ausgeschafft. Diese schwer traumatisierte Frau lebt völlig verarmt in einem Dorf. Maruschka hat kein Einkommen. Ihr Mann hat sie bei der Rückkehr verlassen, da er ihr nicht glauben wollte. Wir haben die Frau besucht und einen Massnahmenplan für sie ausgearbeitet.

Fachtagung Pornographie
Samstag, 19. März 20119.30 – 16.00 Uhr, im EGW Nägeligasse 3011 Bern
Thema: Auswirkungen und Folgen des Pornographiekonsums und Zusammenhänge mit dem Frauen- und Kinderhandel. Handlungsmöglichkeiten aus christlicher Sicht.
Anmeldung zur Tagung unter: www.ostmission.ch


Datum: 12.01.2011
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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