Ein Experiment mit offenem Ausgang
Wer die Berichte von ehemaligen Mitarbeitenden und Leitungspersonen am 20. Oktober im Rocca-Saal des Campo Rasa mitverfolgte, musste zum Schluss kommen: Die Entstehung, Geschichte und Gegenwart dieses VBG-«Ferienzentrums», wie man es heute nennt, ist einmalig.
Evangelist der Studenten entdeckt Bergdorf
Speziell ist schon die Gründung. Hans Bürki, Evangelist, Zentrumsleiter der Casa Moscia, Impulsgeber der VBG, traf scheinbar zufällig auf einer Wanderung auf das Dorf hoch über dem Centovalli und merkte sogleich, dass hier seine Vision wahr werden könnte. Bürki suchte seit längerer Zeit einen Ort, wo die zahlreichen jungen Leute, die bei Evangelisationen in Unis und Mittelschulen zum Glauben gekommen waren, ihren Glauben vertiefen konnten. Dazu hielt er Ausschau nach einem Ort, der weitab vom Alltag eine Oase der Ruhe und Spiritualität wäre.
Den Berichten zufolge stiess Bürki, kaum in Rasa angekommen, auf Leute, die ihr baufälliges Haus verkaufen und nach Amerika auswandern wollten. Es war das erste Gebäude von etlichen weitern Ruinen, Ställen und Palazzi, welche die VBG im Laufe der Jahre kaufte, neu aufbaute, renovierte und für ihre Bedürfnisse einrichtete. Freiwillige, vor allem Studierende aus mehreren Ländern, packten hart an und bauten Mauern, renovierten und deckten Dächer neu mit Granitplatten. Und vieles Andere.
Am Anfang die Aufbaulager
Am Anfang stand ein Architekt der VBG, der dem Traum von Hans Bürki Konturen verlieh: Hansruedi Koller, der zusammen mit seiner Frau Gerda und den Kindern nach Rasa zog und die Aufbauarbeiten leitete. Es galt, nicht nur Häuser aufzurichten, sondern auch Menschen in die Bibel, ins Gebet und die Stille zu führen. Er sicherte sich dazu die Hilfe des deutschen Theologen Michael Kattmann, der neben andern Impulsen die Rasa-Mitarbeitenden namentlich mit der Schöpfungsspiritualität bekannt machte.Das Campo Rasa wurde in der Folge zu einem Ort, wo immer wieder neue spirituelle Impulse und Formen eingeübt und gelebt werden durften. Auch Formen, bei welchen mancher Christ im Unterland zumindest die Nase rümpfte. Angefangen von der charismatischen Bewegung, die zu ihrer Anfangszeit die VBG-Mitarbeitenden erfasste. Später mit Formen der Kontemplation und Meditation bis hin zu Exerzitien.
Bekannt wurde Hans Bürki als Transaktionsanalytiker. Er wollte, dass das Evangelium nicht nur den Kopf besetzt, sondern Menschen wirksam verändert und zu Jüngern machte. Zudem stzte man sich in Rasa auch mit zeitgeistigen Impulsen wie Gruppendynamik oder mit dem Spannungsfeld Psychologie und Glaube auseinander. Das ergab heisse Gespräche und Diskussionen, daneben ganz persönliche Lebensberatung und Krisenbewältigung.
Happige Lebenssschule
Eine Lebenschule war das Campo Rasa ganz besonders für die Leitenden und Mitarbeitenden des jeweiligen Saisonteams. Rasa glich in seiner Abgeschiedenheit und mit seiner Einbettung in eine andere Kultur einem Missionsfeld auf einem andern Kontinent. Da wurden Menschen mit ihren Grenzen konfrontiert, es gab Lebenskrisen und Brüche – aber auch viel Glaubens- und Lebensprägung.
Besonders in die Geschichte von Rasa gingen die Life-Revision-Seminare von Hans Bürki ein. Der vielseitig hochbegabte geistliche Leiter holte Leader aus allen Kontinenten bis hin nach Japan nach Rasa, krempelte ihr Leben um und vermittelte ein neue Sicht der Dinge. Impulse, die auch Bewegungen in der Schweiz wie etwa die BewegungPlus nachhaltig veränderten.
Integration ins Dorf
Besondere Erfahrungen machte das Campo Rasa auch mit dem erklärten Willen, Teil des Dorfes und seiner Kultur zu werden. Dazu startete die VBG im Bergdorf ein Landwirtschaftsprojekt, machte Felder neu urbar und produzierte biologisches Rindfleisch. Mit der Aufnahme der Landwirtschaft verbesserte sich auch der Kontakt mit den Einheimischen schlagartig. Man beteiligte sich am St. Anna-Fest. Später organisierte die VBG die 1. August-Feier für das Dorf.
Von der Aufbauphase in den 70er Jahren sind noch Elemente geblieben. So die benediktinische Losung Bete und Arbeite (ora et labora). Und ganz konkret die beiden Ferienlager «Ora et labora für Studierende» und «Ora et labora für Familien». Bis zum Mittag verbessert man Mauern, jätet und fährt das Heu ein, am Nachmittag trifft man sich zum Bibellesen und einer gemeinsamen Stille. Das Campo hat übrigens seit langem die ökologische Herausforderung erkannt. Es unterhält eine zentrale Holzfeuerung und bereitet sein Warmwasser mit Sonnenkollektoren auf. Vor und nach Saisonbeginn kommen dafür Dutzende Freiwillige nach Rasa, um beim Holzschlag zu helfen.
Im Zeichen der guten Integration des Campo in das Dorf fand der Jubiläumsgottesdienst in der Pfarrkirche Rasa statt – mit Predigt, Gesangsgruppe, liturgischen und freien Gebeten und dem Segen des Priesters der St. Anna Kirche. Deren Turmuhr schlägt immer ein wenig anders als die Kirchen im Tal – vielleicht ein Symbol für die Einzigartigkeit dieses besonderen Ortes?
Links zum Thema:
Website Campo Rasa
Website der VBG
Das Campo Rasa aus der Sicht der NZZ
Youtube Video «Ora et Labora für Studierende»
Datum: 24.10.2012
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet