500 Jahre Trennung sind genug

Leiter-Brunch in Bern: «Reformation muss weitergehen!»

Zum Start in die Allianz-Gebetswoche organisierte die Evangelische Allianz Bern am Samstag, 7. Januar 2017, einen Leiter-Brunch zum Reformationsjahr. Dieser liess Hoffnung aufkeimen, dass ein neues Miteinander der verschiedenen Kirchen möglich ist.
Leiterbrunch zum Reformationsjahr
Stefan Wenger

Schon die Begrüssung durch Gastgeber Niklaus Burkhalter, Pastor von ICF Bern, deutete die besondere Atmosphäre dieser Veranstaltung zum Jahresanfang 2017 an: der Leiter einer der jüngsten Kirchen in der Stadt Bern (ICF Bern wurde 1999 gegründet) begrüsste mit Bernhard Waldmüller den Leiter der Pastoralräume im Dekanat der katholischen Kirche Region Bern. Auch Annemarie Imhasly von der Fokolar-Bewegung war unter den Gästen.

Wo Christus im Zentrum ist...

Dass ein gemeinsamer Brunch und Gottesdienst in dieser Breite möglich ist, sei ein starkes Zeichen, sagte der ehemalige Berner Allianzpräsident Kurt Kammermann, der vor vier Jahren den Brunch für Pastor/innen und Leiter/innen in der Region Bern ins Leben rief. «Wo Christus im Zentrum steht, ist so ein Miteinander möglich», freute sich Kammermann.

Dies bestätigte auch die Talkrunde, die von Richard Stern, ref. Pfarrer (Ittigen BE) moderiert wurde. Annemarie Imhasly berichtete, wie sie es immer wieder geniesse, Christen mit unterschiedlichstem Hintergrund zu treffen: «Wo es um Christus geht, da ist es einem wohl.» Die Fokolar-Bewegung engagiert sich in 182 Ländern für Einheit und Geschwisterlichkeit unter Christen. Sie ist 1943 entstanden und wird zu den christlichen Aufbruchsbewegungen des 20. Jahrhunderts gerechnet. Ihre Ursprünge liegen in der katholischen Kirche, doch engagieren sich in der Bewegung inzwischen Christen aller Kirchen.

Kirche muss sich ständig erneuern

Das Referat am Leiter-Brunch in Bern hielt Dr. theol. Stefan Wenger. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Studienzentrum für Glaube und Gesellschaft an der Universität Freiburg und doziert unter anderem auch am TDS in Aarau und am ICF-College.

Martin Luther und seinen Gefolgsleuten sei es immer um eine Erneuerung der Kirche gegangen, betonte Wenger. Im Zentrum sei dabei die Rechtfertigung des Menschen durch Gott gestanden. «Im Glauben an Jesus als Gottes Christus erfährt sich ein Mensch als von Gott geliebt, gewürdigt und befreit. Damit war klar: Aufgrund des Kreuzes- und Ostergeschehens um Christus konnte Versöhnung immer nur (noch) von Gott ausgehen und in keinem Fall (mehr) Resultat eigener Bemühungen sein – das war die grundlegende Einsicht, die jene Raum greifende Bewegung auslöste, die wir heute Reformation nennen.» Für Stefan Wenger ist klar, dass die Reformation nicht abgeschlossen ist, «ganz im Gegenteil: Sie geht weiter, ja, sie muss weiter gehen! –, denn der reformatorische Wahlspruch' ecclesia semper reformanda' (Kirche muss sich ständig erneuern) greift, gilt und provoziert nach wie vor.»

«Wenn Kirche Christus verliert, verliert sie die Daseinsberechtigung»

Anhand der vier Soli von Luther, welche einige Kernanliegen reformatorischer Theologie beinhalten, zeigte er auf, welche Reformationen die heutige Kirche brauchen könnte. Sein Referat kann in voller Länge auf der Webseite der Evangelischen Allianz Bern heruntergeladen werden:

Hier auszugsweise ein paar Aussagen aus seinem Referat:

Solus Christus – allein Christus

«Reformatorische Theologie meint damit: Gottes Christus genügt – Christus ist derjenige, der Erlösung und Vergebung zu schenken vermag, er ist das Bild Gottes, das Haupt der Gemeinde, der erste Auferstandene, der Versöhner und Friedenstifter, das Geheimnis Gottes, in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind… Kirchgemeinden müssen sich wieder fokussieren, und zwar auf Christus. Wir haben Christus immer neu wieder ins Zentrum unserer Existenz und Botschaft zu stellen. Wo die Kirche das nicht tut, verliert sie nicht nur ihre innere Mitte, sondern auch – ich formuliere provokativ – ihre Daseinsberechtigung.»

Sola gratia – allein aus Gnade

«Reformatorische Theologie meint damit: Gottes Gnade genügt. Für Gerechte gibt es keine Gnade, denn wo ein Mensch sich selbst nicht mehr als sündige, gebrochene Existenz erfährt und also keine Schuld mehr eingestehen kann, kann es auch keine Vergebung geben. Gerechte werden nicht begnadigt; dieses Privileg ist den Bedürftigen dieser Welt vorbehalten, denen, die (z.B. mit dem Galaterbrief) wissen, dass ihre gesamte Existenz allein in Gottes Gnade ruht.»

Sola scriptura – allein aufgrund der Schrift

Reformatorische Theologie meint damit: Gottes Wort genügt. Die Bibel muss und darf als schriftlich fixierte Glaubensgrundlage aller Christen hochgehalten werden, denn sie ist es, die Jesus als Gottes Christus am klarsten bezeugt. An ihr darf und soll sich unser Denken, Reden und Handeln ausrichten. Das aber bedeutet schlicht und ergreifend: Wir sollten sie lesen, unsere Bibel – und damit meine ich nicht nur den Losungs- und Lehrtext, sondern alles, was sie zu bieten hat!»

Sola fide – allein durch den Glauben

Reformatorische Theologie meint damit: Der Glaube genügt. Glaube ist biblisch verstanden niemals rein intellektuell (quasi platonisch), sondern stets existentiell… Wenn Gott mich durch seinen Christus anspricht, wenn er mir in ihm sein Wort zukommen lässt, dann wird mein Leben zum Ant-Wort-Geschehen… Weil Glaube recht verstanden immer existentiell ist, kann er niemals untätig bleiben – im Gegenteil! Das Leben eines von Christus ergriffenen Menschen, eines Heiligen, wird ein Leben sein, das zum einen im Glauben verwurzelt, zum anderen von der Hoffnung getragen und aus Dankbarkeit und Liebe gelebt wird. Deshalb wird kirchliches und christliches Leben sich niemals auf rein geistliche Themen beschränken können, sondern ganz in der Nachfolge jenes Mannes aus Nazareth stets umfassend denken und handeln: Zum politischen, wirtschaftlichen, sozialen und geistlichen Wohl unserer Gesellschaft – alles andere ist zu wenig.»

Zusammenfassung

«Über diese vier Soli sollten wir im eben erst angebrochenen Jahr 2017 immer wieder nachdenken. Denn diese vier Soli haben auch heute noch die Kraft, uns anzusprechen und herauszufordern. Sie können auch heute noch unsere kirchliche Praxis und unser persönliches Leben als Christenmenschen in Frage stellen, neu schärfen, glaubens- und verheissungsvoller ausrichten. Und das sollten wir zulassen. Denn in ihrer kumulativen Kraft wollen die vier Soli vor allem eines: auf das fünfte Soli hinweisen, jenes Soli, das uns allen Massstab und Ziel unseres gesamten irdischen und ewigen Lebens sein sollte: Soli Deo gloria – allein Gott sei die Ehre!»

Zum Thema:
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Datum: 10.01.2017
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet

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