Der Fall der Credit Suisse

Die Gier macht alles kaputt

Haupsitz der Credit Suisse am Zürcher Paradenplatz
Der mennonitische Theologe Lukas Amstutz zitierte an einer Tagung von «ChristNet» aus der Bibel: «Geldgier ist eine Wurzel allen Übels.» Mit dem Kollaps der Credit Suisse erwies sich diese Aussage als prophetisch. Gedanken von Hanspeter Schmutz.

Was die wenigsten wissen: Geld ist ein wichtiges Thema in der Bibel. Aus biblischer Sicht können wir nicht gleichzeitig dem Geld und Gott dienen: Gott oder Mammon, so heisst die Gretchenfrage.

Geld zwischen Segen, Gefahren und Ungerechtigkeit

Lukas Amstutz wies an der Tagung auf den heutigen Papst Franziskus hin, der schon 2013 in seinem ersten apostolischen Schreiben schrieb: «Geld muss dienen und nicht regieren.» Und dann am WEF in Davos ein Jahr später die Teilnehmenden aufrief, «sicherzustellen, dass Wohlstand der Menschheit dient, anstatt sie zu beherrschen».

Laut Amstutz gibt es im Alten Testament drei Positionen zum Geld: Reichtum als Segen – etwa bei Abraham –, die weisheitliche Warnung vor den Gefahren und die prophetische Kritik an unrechtmässig erworbenem Reichtum, der zu sozialen Ungerechtigkeiten führt.

Die göttliche Reaktion darauf ist der Ausgleich dieser Ungerechtigkeiten. Im Neuen Testament gibt es dann eine breite Kritik an den Reichen. Geld versperrt den Weg zu Gott, solange man es für sich behält. Amstutz sieht im Spendenverhalten am Opferstock, wie es in Markus, Kapitel 12 geschildert wird, mehr als den Gegensatz zwischen Reichen, die etwas aus ihrem Überfluss geben und einer Witwe, die trotz ihres Mangels alles gibt. Laut der Vorgeschichte geht es um viel mehr: nämlich um die Ausbeutung dieser Witwe durch die Reichen, welche die Häuser der Witwen leer fressen. Eigentlich müsste die Witwe das Geld erhalten, betonte Amstutz.

Schon der Sündenfall sei eine Konsumsünde gewesen: Eine Frage habe gereicht, um aus Neugierde Gier zu machen. Die Reichen sollten dafür sorgen, dass die Armen selber reich werden können. Soweit die prophetische Rede an der ChristNet-Tagung.

Die Suche nach ethischen Banken

Geld soll also dienen. Das wäre der sinnvolle Einsatz von Kapital. Kennen Sie eine Bank, die nach diesem Prinzip geschäftet? Die ursprüngliche Raiffeisenbank wäre ein gutes Beispiel in dieser Richtung. «Vor dem Hintergrund der sozialen Not und des Wucherunwesens seiner Westerwälder Heimat, kam Friedrich Wilhelm Raiffeisen durch die Bibel zur Erkenntnis, dass eine Verbesserung der Verhältnisse auf dem Lande von den Betreffenden selbst bewirkt werden müsste. Einer sollte für die anderen eintreten; alle sollten für den einstehen, der in Not geraten war. Keiner konnte es schaffen, den Teufelskreis von Verschuldung, Armut und sozialem Elend zu durchbrechen, aber gemeinsam würden sie der Not Widerstand leisten können – die Genossenschaftsidee war geboren.» Hier wurde in einem landwirtschaftlichen Umfeld Geld zusammengelegt, um allen Beteiligten zu helfen. Mit seiner Initiative wurde Raiffeisen zu einem bedeutenden Sozialreformer des 19. Jahrhunderts.

Etwas davon ist auch noch in der heutigen Genossenschaftsbank Raiffeisen zu spüren. Allerdings stehen die Banken in einem scharfen Konkurrenzkampf untereinander. In der Theorie führt die Konkurrenz zu besseren Unternehmen. In der Praxis gab es da zum Beispiel Pierin Vincenz, der bei Raiffeisen laut Medienberichten schalten und walten konnte, wie er wollte. Der Raiffeisenchef wurde vom Bezirksgericht Zürich Ende 2021 zu einer Haft von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Es ging um den Vorwurf des Betrugs im Zusammenhang von mehreren Firmenübernahmen. Vertrauen ist gut, Kontrolle wäre besser gewesen, könnte man hier sagen.

An dieser Stelle wären auch noch andere Banken mit einem ethischen Anspruch zu nennen, deren Gebaren man näher untersuchen könnte. Etwa die Alternative Bank Schweiz. Neben vielen guten Investitionen unterstützt sie aber auch zweifelhafte Projekte, wie Abtreibungen im Weltsüden, weil sie darin eine Frauenförderung erkennen will.

Der Fall der Credit Suisse

Wenn wir ein paar Etagen höher in die grossen internationalen Bankgeschäfte wechseln, gehen uns die ethischen Probleme leider nicht aus. Die Kreditanstalt (später: Credit Suisse, CS) wurde am 5. Juli 1856 vom Geschäftsmann Alfred Escher gegründet. Er brauchte Geld, um seine geplanten Eisenbahnprojekte in der Schweiz (u.a. auch durch den Gotthard) zu finanzieren. Ein hoch riskantes Unternehmen. Immerhin gab es dazu einen echten Gegenwert: Eisenbahnlinien als wichtiger Schritt zur wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz. Dass die meisten dieser Linien später durch die Kantone oder den Bund übernommen werden mussten, sei hier nur am Rande vermerkt.

So lange Geld dazu dient, Arbeit, Immobilien und überprüfbare wirtschaftliche Entwicklung zu finanzieren, ist ein realer Gegenwert ersichtlich. Banken können aber auch anders eingesetzt werden. Man kann sie zum Hort von zwielichtigen Geldern machen und damit viel Geld verdienen – statt mit Geld zu dienen. Obwohl die CS bereits unter Aufsicht der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) stand, tätigte sie in den letzten 20 Jahren immer wieder zweifelhafte Geschäfte. 2004 tauchten bei der Bank 60 Millionen Franken der japanischen Mafia auf.

Die Bank leistete sich Sanktionsbrüche am Laufmeter. Sie wickelte über Schweizer Filialen im Ausland bis 2006 Zahlungen in Milliardenhöhe für Länder und Personen ab, die auf der Sanktionsliste der USA standen, so Zahlungen aus dem Iran. Quasi eine Form von gelebter Neutralität. Dabei ersetzten die CS-Mitarbeitenden bei Transaktionen aus dem Iran den Namen der auftraggebenden Bank einfach mit einer neutralen Bezeichnung. Später einigte sich die CS mit den USA wegen dieser Geschäfte auf Strafzahlungen von 536 Millionen Dollar. Man hätte eigentlich gewarnt sein müssen.

Umso mehr, weil neben den dubiosen Geschäften auch spekulative Investionen getätigt wurden. Hier wurde quasi Geld in Geld investiert, um noch mehr Geld zu machen. Ein idealer Spielplatz dafür waren und sind die internationalen Börsen. Die Millardenverluste der CS durch ihr Engagement beim pleite gegangenen Hedgefonds Archegos oder beim heute geschlossenen Greensill-Lieferkettenfonds sind die bekanntesten Rauchzeichen dafür. Die Finma (Eidgenössische Finanzmarktaufsicht) meinte dazu nur, es sei zu «schweren Verletzungen von Schweizer Aufsichtsrecht» gekommen. Einschreiten konnte oder wollte sie nicht. Sie hat schliesslich kein Recht, Bussen auszusprechen. Trotz anderweitiger Versprechen und angekündigten Reformen konnten die CS-Manager deshalb weitermachen im Geschäft – bis zum abrupten Ende am 19. März.

Der Duft des Casino-Kapitalismus

Dabei gab es in der Politik immer wieder auch warnende Stimmen. Sie wurden aber von der bürgerlichen Mehrheit systematisch überhört. Die SP-Ständerätin Anita Fetz forderte schon 2011, als das Parlament die «Too big to fail»-Regeln diskutierte, eine Verschärfung der Regeln, die sich, wie wir heute wissen, im konkreten Fall als kaum umsetzbar erwiesen haben. Fetz forderte damals im Ständerat, bei Universalbanken den Eigenhandel zu verbieten. «Sie alle wissen, dass der Eigenhandel null Produktivität hat. Es wird schlicht und einfach mit Kundengeldern spekuliert. Mal hat man Glück im Casino, mal hat man Pech. Hat man Glück, bekommt man extrem viel Bonus; hat man Pech muss man nicht hinstehen, sondern dann werden die unteren Angestellten entlassen. Ich meine, das ist ein System, das wir im Schweizer Finanzsektor nicht brauchen

Kritiker, die ein Trennbankensystem in Investment- und Geschäftsbanken vorschlugen, wurden von der damaligen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf auf den wirtschaftsfreundlichen Schweizer Weg verwiesen, «weil wir eine Bundesverfassung haben, welche die Wirtschaftsfreiheit sehr hochhält». Dieser Gedankengang wurde auch vom damaligen UBS-Chef Oswald Grübel unterstützt: «Sollten die Grossbanken von der Politik gezwungen werden, sich zu verkleinern, hätte das den Verlust Tausender Arbeitsplätze zur Folge.» Und der damalige CS-Konzernchef Brady Dougan doppelte nach: «Wir jedenfalls machen uns Sorgen, dass die unzähligen Regulierungsvorhaben der Finanzbranche Handschellen anlegen und damit die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen.»

Das mit den Handschellen sollten wir uns vielleicht merken, allerdings angewandt auf einzelne Personen aus dieser Branche. Leider haben die ehemaligen CS-Manager aber trotz ihrem schlechten Wirtschaften und manchen Verstössen gegen die Regeln wenig zu befürchten. Anders als bei Pierin Vincenz kann den ehemaligen CS-Managern kein Betrug vorgeworfen werden. «Wenn allein schlechtes Wirtschaften strafbar wäre, wären viele Manager im Gefängnis», sagt Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz. Möglich seien allenfalls zivilrechtliche Klagen mit Schadenersatzforderungen, etwa durch Aktionäre oder auch die CS selbst. Eine strafrechtliche Haftbarkeit von Managern sei aber nicht sinnvoll. «Denn es ist absolut illusorisch zu glauben, dass sich mit einem solchen Gesetz dann noch Manager für eine Grossbank finden liessen.»

Was ist nach dem CS-Skandal zu tun?

Ich bin mit dem Hamburger Ethiker Udo Krolzik einig, dass die christliche Ethik «keine Sektenethik» ist – sie ist für alle Menschen heilsam. Deshalb greife ich an dieser Stelle die biblischen Massstäbe wieder auf und messe damit unsere Geldwirtschaft. Geld sollte nicht nur zum Verdienen gebraucht werden, sondern vor allem auch dafür, andern gemäss den biblischen Leitlinien zu dienen. Eine ethisch orientierte Geldwirtschaft wird lebensfördernde Prozesse in der realen Wirtschaft fördern und damit die soziale Gerechtigkeit und die Umweltgerechtigkeit unterstützen. Sie wird so zum Wohle der Gesellschaft handeln und die Armen reich machen. In den Geschäftsberichten müsste neben den nackten Zahlen auch dieses Wirken transparent ausgewiesen werden, damit wir entscheiden können, ob die Bank unseren Vorstellungen entspricht.

Vielleicht brauchen unsere Banken ja tatsächlich eine Trennung zwischen Investment- und Geschäftsbank, allenfalls auch die Trennung zwischen dem Inland- und dem Auslandgeschäft. Auch wenn der Casino-Kapitalismus unsere Wirtschaft kaputt macht, verbieten kann man ihn wohl nicht. Wer zocken will, soll dies weiterhin tun können. Aber er soll die damit verbundenen Risiken selber tragen müssen: als Investor und Aktionär, aber auch als Manager. Vorbild könnten die Privatbankiers sein. Sie haften schon heute mit ihrem eigenen Vermögen für das, was sie tun.

Die nun vollzogene Übernahme der CS durch die UBS ist eine Notlösung, die aus dem Moment und dementsprechend mit Notrecht geboren worden ist. Ob es dabei bleibt, wird sich zeigen. Der Präsident der UBS gilt als fromm. Dies könnte ein Hoffnungszeichen sein. «Der UBS-Präsident ist ein Pilger», schreibt Markus Baumgartner im Dienstagsmail vom 21. März. Der Ire Colm Kelleher war zwischendurch 500 Meilen als Pilger auf dem Jakobsweg unterwegs, bevor er letztes Jahr Präsident der UBS wurde. Ob er – zusammen mit dem neuen CEO der UBS – ein im oben genannten Sinne ethisches Banking zustandebringen kann, bleibt abzuwarten. Voraussetzung dafür wäre, dass er sich als integrierter Christ versteht, der den Glauben nicht auf den privaten und zwischenmenschlichen Bereich beschränkt, sondern dabei auch die Gesellschaft und die Kirche als Anwendungsbereiche einbezieht.

Dasselbe gilt natürlich auch für alle anderen Christinnen und Christen. Die Gier ist ein Kind der Habsucht. Es ist wichtig, dass wir uns von dieser Sucht befreien lassen. Als private Bankkunden und Anleger haben wir die Wahl, unser Geld sinnvoll arbeiten zu lassen, indem wir es nicht in Geld, sondern in Arbeit und lebensfördernde Projekte investieren. Sei es über eine ethisch orientierte Bank – oder gleich direkt durch Investitionen in Unternehmen oder kirchliche Projekte, die ethisch überzeugend und transparent aufgestellt sind.

Dieser Artikel erschien zuerst im Forum für integriertes Christsein

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Datum: 10.04.2023
Autor: Hanspeter Schmutz
Quelle: Forum integriertes Christsein

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