Der lange Schatten des Traumas
Diese sogenannte transgenerationale Weitergabe von Traumata ist seit den 80er Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen: Kriegs- und Verfolgungserlebnisse, traumatische Erfahrungen mit Rassismus, Missbrauch und Unterdrückung sind dabei einschlägige Beispiele. Sebastian Muders, Fachbereich Umgang und Gesundheitsethik an der Paulus-Akademie in Zürich, moderierte zusammen mit Franz-Xaver Hiestand, Aki (kath. Hochschulgemeinde Zürich), ein Podiumsgespräch dazu. Sie stellten die Frage nach dem richtigen Umgang mit dieser Art traumatischer Erfahrungen, um die verursachten Verletzungen auch bei nachfolgenden Generationen zu lindern oder gar zu heilen. Die psychologische Beraterin und Coach, Therapeutin für Belastungen, Trauer und Stress, Dr. Mareike Augsbuger, und Dr. Rahel Bachem, Oberassistentin und Expertin für Trauma- und Stressfolgestörungen am Psychologischen Institut der Universität nahmen dazu Stellung.
Definition Trauma
Trauma wird als Konfrontation mit einer starken Verletzung definiert, die man selbst erlebt oder dabei zusieht, wie sie einer nahestehenden Person zustösst. Das kann zum Beispiel ein Verkehrsunfall, ein sexueller oder gewalttätiger Übergriff sein. Nicht jedes dieser Erlebnisse habe ein Trauma zur Folge, erklärte Rahel Bachem. Ein gutes Umfeld, Anteilnahme und die eigene Resilienz können dazu führen, dass die Traumafolgestörungen wieder verschwinden. Mit der Zeit kehrten diese Personen wieder in ihr früheres Funktionieren zurück.
«Wenn die Symptome auch nach Wochen noch vorhanden sind, spricht man von einer posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS.» Unmittelbar nach dem Trauma seien die Symptome normal. So zum Beispiel das Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Träumen, eine erhöhte Bedrohungswahrnehmung oder die Vermeidung von Triggern, welche die Erinnerung aktivieren. Nicht alle Menschen reagierten gleich stark und sie verarbeiteten auch unterschiedlich.
Transgenerationale Weitergabe
Welche Auswirkungen haben erlittene Traumata auf die Nachkommen von zum Beispiel Kriegs- oder Holocaust-Überlegenden, wollte Sebastian Muders wissen? Es gebe keine klare Definition eines Traumas bei deren Kindern. Sie hatte noch nie transgenerationale Traumafolgen zu behandeln, hält Mareike Augsburger fest. Doch am Beispiel einer Lebenskrise oder Depression erklärt sie: «Es kann es sein, dass die biografische Anamnese aufzeigt, dass dies eine Reaktion auf Verhaltensmuster der Eltern ist.» Wenn diese kaum Emotionen zeigten oder nie darüber redeten, was sie erlitten hatten, entstehe ein Klima des Schweigens.
Auch von den Eltern definierte Glaubenssätze oder Scham könnten sich negativ auf die Nachkommen auswirken. Kinder oder Menschen im nahen Umfeld reagierten dann auf das Verhalten der Traumatisierten und könnten dadurch selbst am Leben gehindert werden. «Es liegt nicht daran, was die Eltern erlebt haben, sondern dass zum Beispiel der Vater emotional nicht fürs Kind da war oder es spürte, dass er jederzeit explodieren könnte, und sich fragt: Liegt das an mir?» Es könne nicht wissen, ob die Ursache bei Erlebnissen des Vaters liege oder bei ihm. Das generiere Unsicherheit. «Das muss nicht so bleiben, es gibt gute Therapieformen zur Behandlung», ermutigt die Fachfrau.
Linderung und Heilung sind möglich
Mareike Augsburger war im Auftrag von NGOs schon mehrmals in Kriegsgebieten in Afrika, wo sie als Notfallpsychologin arbeitete. Neben medizinischer Versorgung, Essen und Unterkunft sei in den letzten Jahren die Bedeutung der psychologischen Unterstützung von Traumatisierten immer wichtiger geworden. «Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit», hält sie fest. Wer in einer Gemeinschaft lebe, von ihr unterstützt werde, gemeinsam trauern könne, erhole sich besser vom Erlebten. Beide Psychologinnen empfehlen eine professionelle Therapie. So lasse sich Linderung, manchmal auch Heilung erlangen.
Da jedoch viele Fachkräfte fehlten, sei Seelsorge eine gute Unterstützung oder eine Überbrückung, bis ein Therapieplatz gefunden sei. Bei der Diagnose PTBS sind Seelsorgerinnen und Seelsorger willkommene Ansprechpersonen. «Viel kann bei ihnen aufgearbeitet werden», bestätigt Rahel Bachem. Sie könnten zudem als Ergänzung dienen für eine Psychotherapie. Der Glaube sei eine Ressource und könne eine grosse Kraft entwickeln. Auch Freunde könnten Menschen in Krisen beistehen mit ihrer Zeit, offenen Ohren, liebevollem Begleiten. Ob Laie oder Fachperson: Jeder müsse seinen Arbeitsbereich kennen und sich selbst abgrenzen, betonen die beiden Psychologinnen.
Nicht ausgeliefert
Bachem: «Wer soziale Unterstützung erlebt, stabile, vertrauensvolle, verlässliche Beziehungen, kann besser reagieren.» Dabei komme es auf die Lebensgeschichte an. Bei gehäuften Ereignissen, zum Beispiel andauerndem sexuellem Missbrauch in der Kindheit, steige die Vulnerabilität. Dennoch sei es die Aufgabe einer erwachsenen Person, nicht in Schuldzuweisungen zu verharren, sondern sich um die Lösung der Blockaden im eigenen Leben zu kümmern. Unabhängig davon, wie sie verursacht wurden.
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Datum: 31.05.2024
Autor:
Mirjam Fisch-Köhler
Quelle:
Livenet