«Dass ich lebe, ist ein Wunder Gottes»
«Der Tag des Unfalls begann wie ein normaler Arbeitstag», erinnert sich Simon Zingg gegenüber Jesus.ch an die Fahrt mit seinem MAF-Kollegen. «Nach dem Frühstück fuhr ich mit Chris Coffee zur Arbeit. Wir sprachen über unsere nächsten Flüge und diskutierten das Wetter, das hat natürlich immer einen Einfluss auf unsere Flüge und Flugplanung.»
Unterwegs auf einer langen Geraden mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h kam den beiden ein silbergraues Auto entgegen. «Nur wenige Meter vor uns steuerte es plötzlich auf unsere Seite. Es gab keine Möglichkeit auszuweichen. Ich kann mich erinnern, wie wir erschraken und Chris auf die Bremse trat. Dann weiss ich nichts mehr.» Drei junge Aborigines krachten mit einem gestohlenen Auto in das korrekt entgegenkommende Fahrzeug von Simon Zingg und Chris Coffee.
Wie in einem Katastrophenfilm
Als Simon Zingg wieder zu sich kam, sass er neben der Strasse. «Ich konnte nichts sehen, aber spürte, wie mich jemand hielt und mit mir sprach. Ich kannte die Stimme, sie gehörte einem der MAF-Mechaniker. Nach einiger Zeit konnte ich wieder etwas sehen und ich erinnerte mich an den Unfall.»
Die Szene, die sich seinen Augen bot, glich einem Katastrophenfilm. «Rechts sah ich unser Auto. Die Front war eingedrückt. Vor mir auf der Strasse erkannte ich Teile des anderen Unfallwagens. Das Auto musste in mehrere Teile gerissen worden sein. Ich erkannte einige der Ersthelfer wieder, die meisten waren MAF-Mitarbeiter, die auch auf dem Weg zur Arbeit waren.»
«Da kam ich lebend raus?»
Schon bald kamen Polizei, Feuerwehr und Sanitäter. «Ziemlich schnell erkannte ich, dass sie sich vor allem um mich kümmerten, obwohl ich ihnen gesagt hatte, dass es mir wohl ziemlich gut gehe. Da sagten sie, dass Chris und die anderen Unfallopfer alle auf der Unfallstelle gestorben seien. Bald war ich in der Ambulanz und wurde zu weiteren Untersuchungen in das Spital in Nhulunbuy gefahren.»
Einerseits war Simon dankbar, dass es ihm verhältnismässig gut ging. «Ich weiss noch, dass ich unser Autowrack sah und dachte: Da kam ich lebend raus? Andererseits erfüllte mich eine tiefe Trauer über den unnötigen Tod meines guten Freundes und der anderen Beteiligten. Warum musste das geschehen? Was ist Gottes Plan? Diese Fragen beschäftigen bis heute und es fällt schwer, darauf eine Antwort zu finden.»
Schockierender Anruf
Auch für Simons Familie in der Schweiz war es ein Schock. «Als das Telefon der MAF Schweiz mit der Botschaft kam, Simon sei der einzige Überlebende bei einem Unfall, dachte ich zuerst an einen Flugunfall», erinnert sich Simons Vater Daniel Zingg, Gründer und Leiter von «Aseba Schweiz», im Interview mit Livenet. «Als Eltern hatten und haben wir keinen Moment Angst vor einem Unfall, obwohl die Mission ‘Buschpilot’ mit vielen Gefahren verbunden ist. Aber eine gewisse Spannung ist immer da, die sich beim Anruf in einen Schock verwandelte.»
«Wir haben so gut wie möglich administrative Arbeiten für Simon und Rebekka übernommen und öfter miteinander telefonierten. Dass man im Gebet noch mehr für alle Betroffenen einsteht, ist selbstverständlich.»
«Dass ich lebe, ist ein Wunder Gottes»
Dazu, dass Simon Zingg überlebt hat, «gibt es selbstverständlich rationale, logische Gründe: Wir fuhren in einem grösseren Auto. Die Beifahrerseite wurde durch die Konstruktion des Autos gut geschützt. Der Zusammenprall mit dem entgegenkommenden Auto war auf der Fahrerseite. Die Sicherheitsgurte und die Airbags funktionierten einwandfrei. Ich war dadurch bestmöglich geschützt.»
Und doch: Die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Unfall praktisch unverletzt zu überleben ist unglaublich klein, erklärt Simon Zingg. «Vor allem, wenn man sich bewusst ist, dass ich tot wäre, hätte ich nur wenige Zentimeter weiter rechts gesessen. Deshalb bin ich gewiss: Dass ich heute auf deine Fragen antworten kann, ist ein Wunder Gottes. Er hat mich bewahrt. Es war seine Hand, die mich aus dieser Situation gerettet hat.»
Unglaublich grosse Lücke
«Wir haben uns in der Zwischenzeit damit abgefunden, dass Chris nicht mehr hier ist. Aber die Lücke, die er hinterlässt, ist unglaublich gross. Er war nicht nur ein guter Pilot, sondern auch stellvertretender Country Director sowie ein guter Freund und Nachbar», bedauert Simon Zingg.
«Die Gewissheit, dass er nun bei unserem Vater im Himmel ist, und dass sein Erbe und seine Visionen für Arnhemland (Anm. d. Red.: eine Region in Australien) weiterleben, spendet uns Trost. Aber die Trauer über seinen Tod und die Frage, warum Gott das zulässt, beschäftigt uns weiterhin sehr stark.»
Schock ohne Glauben nicht zu überwinden
«Ich weiss nicht, wie man einen solchen Schock ohne Glauben bewältigen kann», bilanziert Vater Daniel Zingg. «Für uns als Eltern war es eine grosse Hilfe zu erleben, wie Simon und Rebekka den Schock überwunden haben. Wir haben keine Resignation, keinen Gedanken ans Aufgeben gespürt. Das ist gelebter Glaube!»
Seit Simon Zingg denken und reden kann hatte er nur ein Ziel: das Fliegen. Daniel Zingg: «Für ihn ist das Beruf, Berufung und Leidenschaft, eingebettet in die wichtigste Aufgabe auf dieser Welt: Menschen zu helfen! An diesem Ziel wird er festhalten, egal was kommt.»
Wertvolle Erinnerungen
Es gebe so viele schöne Erinnerungen an Chris, dass es schwerfalle, eine herauszupicken, reflektiert Simon Zingg. «Es schien, als hätte er immer eine positive Einstellung. Zwischen den Flügen war er oft in unserem Pausenraum anzutreffen, virtuos auf der Gitarre spielend. Sein Gesang füllte die Räume und wir mussten oft schmunzeln, als er gekonnt bekannte Sänger imitierte. Generell hatte Chris ein grosses Herz und eine unglaubliche positive Ausstrahlung. Sein liebevoller Umgang mit Menschen und seine tiefe Verbundenheit mit Gott sind mir ein grosses Vorbild. Es war seine Berufung, den Menschen hier zu dienen. Dass ich mit meiner Arbeit die Vision von Chris weiterführen kann, ist sehr schön.»
Grosse Betroffenheit
Die Reaktionen der lokalen Bevölkerung war eindrücklich. Simon Zingg: «Man muss sich vorstellen: In den beiden Ortschaften Yirrkala und Nhulunbuy leben zwei- bis dreitausend Menschen, die nächste grössere Ortschaft ist etwa 700 Kilometer entfernt. Man ist aufeinander angewiesen und hier kennt jeder jeden. Die Betroffenheit innerhalb der Bevölkerung war deshalb sehr gross. Viele lokale Organisationen und Privatpersonen boten uns und auch der Familie von Chris sofort ihre Hilfe an.»
Nachdem er aus dem Spital entlassen worden war, konnte Simon Zingg und seine Familie für zwei Wochen bei einer befreundeten Familie wohnen. «Wir bekamen Essen geliefert und noch heute gibt es immer wieder Begegnungen mit Bekannten, die fragen, wie sie helfen können. Auch die Unterstützung und Anteilnahme der MAF und von unseren Freunden in der Schweiz haben wir sehr geschätzt. Es hat uns gezeigt, dass wir in dem ganzen Prozess nicht allein sind, sondern auf ein gutes und tragendes Netzwerk zurückgreifen können.»
Bewegende letzte Worte
Zwei Tage vor seinem Tod hat Chris noch ein kurzes Handyvideo gemacht und seinen Freunden geschickt. Daniel Zingg erinnert sich: «Starker Regen verzögerte den Start, das gab ihm Zeit aus dem Cockpit zu Filmen. Stephan, einer unserer Söhne, kennt Chris und hat das Video auch erhalten. Er meinte: ‘Als ich das Video bekam, verstand ich die Botschaft nicht. Erst am Tag des Unfalls, als Chris gestorben war, begriff ich den Sinn: Das erste Bild auf dem Video war ein Kreuz, direkt neben dem Flugzeug, darauf stand: 'Jesus spricht: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich.’»
Daniel Zingg: «Das war die letzte Botschaft von Chris an seine Freunde. Diese Hoffnung trug er im Herzen, diese Hoffnung lebt auch im Herzen seiner Frau Alison weiter und wird sie in allem Leid durchtragen.»
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Datum: 24.02.2025
Autor:
Daniel Gerber
Quelle:
Jesus.ch