Genozid in Ruanda

Wenn Opfer und Täter sich versöhnen

25 Jahre nach dem Genozid in Rwanda hat der Rheinfelder Pfarrer Leszek Ruszkowski einen Dokumentarfilm über die Versöhnungsarbeit im ostafrikanischen Land gedreht. Wir wollten wissen, wie das Friedensprojekt und das Filmprojekt zustande kamen.
Leszek Ruszkowski
Fulgence Rubayiza
Kivusee an der Grenze zu Kongo: Ort der grausamen Massaker

Wie sind Sie auf die Versöhnungsinitiative für Rwanda gestossen?
Leszek Ruszkowski:
Ich erfuhr über einen Zeitungsartikel von der Initiative, die in Nordrhein-Westfalen ihren Anfang nahm: Katholiken, Reformierte und Lutheraner in der Kleinstadt Detmold, die gemeinsam eine vorbildliche Ökumene betreiben, gründeten einen Arbeitskreis Rwanda, der sich bereits im Land engagierte. Die Beteiligten waren somit für die Tragödie in Ostafrika sensibilisiert. Sie wurden Gastgeber für zwei Treffen, bei denen sie sich selbst in den Prozess einbinden liessen. Im erwähnten Zeitungsartikel über die Rolle der Kirchen im rwandischen Versöhnungsprozess wurde der Einsatz dieser Gruppe gewürdigt.

Was hat Sie dabei besonders berührt und für ein Filmprojekt motiviert?
Filmen war immer mein Hobby, und ich entdecke es auch als Mittel, um Fragen rund um das Evangelium und die Kirche, auch deren Versagen, zu bearbeiten und die Gute Nachricht auch ausserhalb der normalen kirchlichen Arbeit bewusst zu machen. Die Ausdrucksformen der Reformierten sind ja tendenziell wortlastig. Mit der Bildsprache und Emotionen kann man Menschen erreichen, die keine Predigt hören wollen. Es bedeutet auch ein Hinausgehen aus der Komfortzone – aber auch ein Aufgreifen einer alten Leidenschaft. Ich habe nämlich schon als 14-jähriger Filme mit der 8mm-Kamera gemacht. Heute kann ich mit dem Medium Film auch eine zentrale Botschaft der Bibel platzieren.

Was meinen Sie damit konkret?
Das Thema Versöhnung war für mich schon länger faszinierend. Ich entdeckte spannende Bücher und Artikel über Rwanda, die das Thema ansprachen. Ich informierte mich weiter und stiess auf das Bekenntnis von Detmold. Also begann ich zu recherchieren und war fasziniert. Die Tatsache, dass der Impulsgeber eine Zeit lang in der Schweiz lebte, verlieh der Geschichte auch eine lokale Bedeutung. Ich setzte dafür meine Weiterbildungszeit ein und organisierte auch die Reise nach Rwanda und Detmold. Alles musste innerhalb von 14 Tagen über die Runden gehen!

Wie kam es zum ersten Treffen von Hutus und Tutsis in Detmold?
Das erste Treffen kam auf die Initiative des Gynäkologen Fulgence Rubayiza zustande, der entsetzt war, dass Hutus und Tutsis, also Christen, aufeinander losgingen, weil sie dazu angestachelt wurden. Er wusste, dass Vertreter beider Volksgruppen auch in Europa leben und sammelte Adressen, um Leute beider Volksgruppen zu erreichen. 1995 kamen sie zum ersten Mal zusammen. Sie schafften es bei diesem Treffen eine Kultur des gegenseitigen Zuhörens zu etablieren, bei der die persönlichen Betroffenheiten deutlich wurden. Man beschloss sodann ein zweites Treffen im Dezember 1996. Dabei war auch Pfarrer Jörg Zimmermann, der bis kurz vor dem Genozid für ein deutsches Missionswerk in Rwanda gearbeitet hatte. Er bat Dr. Rubayiza, auch westliche Christen in den Prozess einzubeziehen und konnte dazu beitragen, dass der Prozess konstruktiv verlief.

Können Sie das genauer beschreiben?
Während einer Woche entstand eine Dynamik, die zum Bekenntnis von Detmold führte, in dem alle Beteiligten ihre Mitschuld bekannten und die Opfer bzw. ihre Angehörigen um Vergebung baten. Hartnäckige Feindbilder wurden abgebaut. Es zeigte sich zum Beispiel, dass die Hutus durch die Propaganda der Regierung überzeugt waren, dass sie einem geplanten Angriff der Tutsis, die als Kakerlaken diffamiert wurden, zuvorkommen müssten. Als am Treffen in Detmold der erste Hutu-Vertreter die Gegenseite um Vergebung bat, löste er eine Dynamik aus, die darin gipfelte, dass auch ein Tutsi bekannte, seine Volksgruppe habe die Hutus in der Vergangenheit unterdrückt. Die weissen Vertreter bekannten, dass sie einen grossen Anteil an Schuld hätten, weil die Kolonialmächte und ihre Kirchen ethnische und rassistische Begriffe gefestigt hatten.

Wie wurde das ausformulierte Bekenntnis in Rwanda selbst aufgenommen?
Das Schuldbekenntnis der Hutus und der Europäer wurde von offizieller Seite positiv aufgenommen. Dass es auch ein Schuldbekenntnis der Tutsis enthält, stiess auf Widerspruch.

Welche konkreten Folgen hatte diese Initiative in Rwanda?
Bei meinem Besuch in Detmold erkannte ich, wie umstritten dieses gegenseitige Bekenntnis nur zwei Jahre nach den Massakern war. Doch mir war auch klar, dass die guten Früchte sichtbar sind gemäss dem Wort Jesu «An den Früchten sollt ihr sie erkennen». Ich wollte nach den Früchten suchen. Zum Beispiel was die Leute, die das Bekenntnis unterschrieben hatten, in Rwanda machten. Ich erlebte dabei, dass die konkreten Ergebnisse ebenso umwerfend sind wie die Worte des Bekenntnisses. Eindrücklich sind besonders die aufgebauten Versöhnungsdörfer, wo zum Beispiel 20 Täter nach ihrem bis 20-jährigen Gefängnisaufenthalt mit Angehörigen von Opfern zusammen leben und arbeiten.

Wie war das möglich?
Sie wurden miteinander zusammengeführt und danach weiter gecoacht. Täter erfuhren Vergebung. Die Opferangehörigen, die vergeben hatten, erlebten, dass ihnen eine grosse Last abfiel und der selbstzerstörerische Hass wich. Es war ein anspruchsvoller und oft ein mehrjähriger Prozess, der auch spirituell begleitet wurde und wird.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich traf einen Geschäftsmann, der diesen Prozess begleitet und den betroffenen Menschen vermittelt: Ihr seid unendlich wertvoll in den Augen Gottes. Denn die Opferangehörigen fühlten sich nach der Katastrophe oft selbst wertlos. Sie mussten damals zusehen, wie die Leichen ihrer Liebsten auf der Strasse lagen, zum Teil von Hunden angefallen wurden und schliesslich von Müllwagen eingesammelt und in Massengräben verscharrt wurden. Es gibt daher kaum etwas Grösseres als wenn man den betroffenen Menschen wieder ihre Würde als Geschöpfe Gottes zurückgeben kann.

Wann hat diese Versöhnungsarbeit begonnen?
Um die Jahrtausendwende. Ein Pfarrer, der auch im Film vorkommt, begann aber schon viel früher, Witwen der Tutsis und Frauen der gefangenen Männer aufzusuchen und sich um ihre alltägliche Not und um Versöhnung zu bemühen.

Wie waren die Reaktionen nach der Uraufführung im Kino Monti in Frick?
Die Feedbacks zeigten mir: Die Botschaft ist angekommen. Viele haben sich auch vorgenommen, sich über Rwanda weiter zu informieren. Sie nahmen mit, dass die Kirchen in Rwanda weithin versagt haben, dass es aber Menschen gab, welche glaubwürdig die Kirche vertreten und einen Versöhnungsprozess in Gang setzten. Einige sahen darin Parallelen zur Kirche im Dritten Reich.

Über den Film

Der von Pfarrer Leszek Ruszkowski produzierte Film zeigt, wie das Bekenntnis von Detmold, in dem sich Hutus und Tutsis gegenseitig vergeben, zustande gekommen ist. Er dokumentiert die Ereignisse vor 25 Jahren und Resultate der Friedensinitiative. Er zeigt auch Versöhnungsdörfer in Rwanda, in denen Angehörige der Opfer mit den ehemaligen Tätern zusammen leben und arbeiten. Der Film wurde im November erstmals im Kino Monti in Frick vorgeführt. Er porträtiert und befragt auch die wichtigen Akteure wie zum Beispiel Lorien Ntezimana, den Initiator der Friedensdörfer. Der Film kann auch in Gemeinden vorgeführt werden. Leszek Ruszkowski ist ebenfalls bereit, sich nach Aufführungen für Fragen und das Gespräch zur Verfügung zu stellen.

Mehr Informationen und das Bekenntnis von Detmold im Wortlaut finden Sie hier.

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Datum: 05.12.2019
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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